Auf den Spuren eines Meistermachers

20160820_HSI_SCM_Celje07Der erfolgreiche SCM-Handballtrainer Klaus Miesner wird alljährlich mit einem nach ihm benannten internationalen Turnier in Ilsenburg geehrt. Von Rudi Bartlitz

Der Mann im grauen T-Shirt sitzt in der Ilsenburger Harzlandhalle inmitten des sogenannten VIP-Bereichs. Doch ein VIP im herkömmlichen Sinne ist er nicht. Aufmerksam verfolgen seine Augen, was sich da unten auf dem Spielfeld beim Klaus-Miesner-Handballturnier tut. Man spürt schon nach wenigen Augenblicken, da ist einer, der versteht etwas von diesem Sport. Sein Name: Peter Miesner, 55 Jahre alt, Sohn jenes Mannes, dessen Namen das traditionelle Handball-Event im Harz seit 27 Jahren trägt. Zum dritten Mal ist der selbständige Magdeburger Elektronik-Ingenieur nunmehr Schirmherr des Turniers, das seit mehr als zwei Jahrzehnten zu den wichtigsten Vorbereitungswettkämpfen der Handball-Bundesligisten auf die neue Saison dient. Spitzenteams aus fast 20 Ländern haben in dem Harzer Luftkurort bisher ihre Visitenkarte abgegeben. „Für mich war mein Vater mehr als nur der erfolgreiche Magdeburger Handballtrainer, als den ihn die meisten in Erinnerung haben, mit dessen Namen der Aufstieg des SC Magdeburg in den siebziger und achtziger Jahren in die internationale Klasse verbunden war“, erzählt Peter Miesner im Gespräch mit Magdeburg Kompakt. „Ich kann es in einem Satz sagen: Er war für mich ein Vorbild, als Mensch und als Sportler. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Sein plötzlicher Tod im Januar 1989, ich war damals 29, war für mich ein Tiefschlag.“

Wer war dieser Klaus Miesner, den die Handball-Annalen als einen der erfolgreichsten Klubtrainer der Welt überhaupt bezeichnen? Der den SC Magdeburg neunmal zum DDR-Meistertitel führte, dreimal zum Pokalsieg, viermal stand seine Mannschaft im Europafinale, unvergessen bleiben die zwei Europapokalsiege 1978 und 1981 im Cup der Landesmeister und der Erfolg in der Europameisterschaft für Vereinsmannschaften.

Man könnte es sich mit der Antwort einfach machen und mit einem heute gängigen Slogan antworten: Klaus Miesner war eben ein Meistermacher. Punkt. Damit läge man zwar keineswegs falsch, die Person Miesner wäre damit allerdings höchst ungenau beschrieben. „Arbeit und Vorbild sein, so ließe sich das Erfolgskonzept meines Vaters vielleicht beschreiben“, erinnert sich Peter Miesner. „Er war, so habe ich ihn in Erinnerung, ein guter Pädagoge und ein sehr bescheidener Mensch, der für den Handball lebte.“ Ein Herzversagen riss ihn am 11. Januar 1989 während eines SCM-Trainingslagers in Drei Annen im Harz im Alter von 53 Jahren jäh aus dem Leben. Der Absolvent der Deutschen Hochschule für Körperkultur (DHfK) in Leipzig war einst selbst mit dem Team von Lok Südost Magdeburg DDR-Handballmeister (1963) geworden und übernahm dann 1968 das Amt des Cheftrainers beim SC Magdeburg. „Aus oft nur mittelklassigen Spielern“, umriss SCM-Faktotum Heinz Herke die Arbeit seines Freundes Miesner, „machte er mehr als andere Trainer, die wirklich große Talente unter ihren Fittichen hatten.“ Er formt Weltklassespieler wie Ernst Gerlach, Günter Dreibrodt, Wolfgang Lakenmacher, Ingolf Wiegert, Wieland Schmidt, Hartmut Krüger und Holger Winselmann.

Einer, der Klaus Miesner mehr als ein Jahrzehnt tagtäglich als Trainer erlebte, ist Gunar Schimrock. „Er war einfach ein wunderbarer Mensch“, beschreibt die SCM-Torwart-Legende (57 Länderspiele) seinen einstigen Übungsleiter, den Freunde nur „Monti“ nannten. „Was ich von ihm über all die Zeit vor allem in Erinnerung behalten habe: Er hatte einen guten Charakter, und er war natürlich ein sehr, sehr guter Trainer.“ Der Magdeburger Ex-Coach gilt in Deutschland als einer der Begründer des schnellen Handballs, des flotten Umkehrspiels. So ließ er seine Mannschaften in der Regel auch agieren.20160820_HSI_SCM_Celje07

Miesner war es, der den jungen Schimrock, der heute im Marketing der SCM-Handball-GmbH tätig ist, 1977 Stück für Stück an die erste Mannschaft heranführte, ihn reinschnuppern ließ. „Es klingt sicher etwas abgedroschen, aber Fördern und Fordern – das war sein Motto.“ Und Kritik war etwas, so weiß Schimrock noch heute ganz genau, was bei Miesner stets eine sehr große Rolle spielte: „Einmal, da war ich längst Nationaltorhüter, hat er mir gesagt: Wenn ich aufhöre, dich zu kritisieren, musst du misstrauisch werden, denn dann spielst du in meinen Plänen keine Rolle mehr.“

Und was für ein Trainertyp war der Mann an der Außenlinie denn so? Diktator? Menschenfreund? Schimrock: „Man konnte auf jeden Fall mit ihm diskutieren, er war da keineswegs nachtragend. Aber wenn es um grundsätzliche Dinge ging, hat er schon selbst entscheiden. Die Erfolge haben ihm ja Recht gegeben. Andererseits hatten wir im Team gestandene Persönlichkeiten wie die 80er Olympiasieger, die haben oft auf dem Feld selbst entschieden, da brauchte sich der Trainer kaum noch einzumischen. Auch das hat funktioniert.“

Dennoch, Disziplin wurde groß geschrieben. „Wenn der Trainer jemanden mit einer Zigarette oder mit Schnaps erwischte, hagelte es drastische Strafen“, verrät Schimrock. Für einen Schnaps mussten laut Strafkatalog 50 DDR-Mark, für eine Zigarette sogar 100 DDR-Mark hingeblättert werden. Happige Summen seinerzeit. „Andererseits hatte er nichts dagegen, wenn wir nach einem Spiel um die Häuser gezogen sind. Da haben ihn auch zehn Bier nicht gestört. Er nannte dies einen Beitrag zur Teambildung. Richtig grantig wurde er nur, wenn einer allein zum Trinken losgezogen ist…“ Wenn der Ex-Keeper über seinen früheren Chef redet, treibt ihn ein Gedanke immer noch um: „Wir beide hatten beim Training wieder mal eine kontroverse Diskussion gehabt und waren zerstritten am Abend auseinandergegangen. Am nächsten Morgen musste ich zur Nationalmannschaft nach Kienbaum, dort erfuhr ich dann durch unseren Nationalcoach Klaus Langhoff von Miesners plötzlichem Tod. Es war mir also nicht mehr vergönnt, unseren Zwist beizulegen. Das belastet mich bis heute.“

Das Gedenken an den erfolgreichsten Magdeburger Coach zu bewahren, an ihn zu erinnern, das haben sich die Handballer vom Ilsenburger HV fest auf ihre Fahnen geschrieben. Warum gerade sie? Die Gründe dafür nennt Vereinschef Michael Löwe: „In den achtziger Jahren wollten wir unser eigenes kleines Turnier etwas aufwerten und haben beim SCM angefragt, ob sie nicht einmal bei uns mitmachen könnten. Klaus Miesner erklärte sofort sein Einverständnis, kam mit all seinen Stars – und stellte keinerlei Bedingungen. Nach seinem tragischen Tod haben wir dann, nach Abstimmung mit seiner Witwe und dem SCM, unsere Veranstaltung mit dem Namen Miesners verbunden.“

Inzwischen hat sich der einst auf den Harz und sein Umland begrenzte Wettbewerb zu einem der wichtigsten deutschen Handballturniere gemausert, für das sich eine ganze Region engagiert. „An den drei Turniertagen sind 60 unserer 120 Vereinsmitglieder im Einsatz“, so Löwe. „Unterstützt werden wir von 80 bis 90 Sponsoren.“ Sie stellen die Summen bereit, die für Teams (neben Antrittsgeldern wird eine Siegprämie von 2500 Euro gezahlt), Unterkünfte, Hallenmiete, Schiedsrichter usw. benötigt werden. „Auch wenn es für einen kleineren Verein und die Ehrenamtlichen zuweilen recht schwierig ist, einen inzwischen derart gewachsenen Wettbewerb zu organisieren und zu finanzieren, wir sind fest entschlossen, das Turnier zu Ehren dieses großen Trainers fortzuführen.“ Zumal sich Schirmherr Peter Miesner entschlossen hat, künftig jedes Jahr ehemalige Schützlinge seines Vaters zu dem Traditionstreffen in das Harzstädtchen einzuladen.

„Tradition muss sein“ – Drei Fragen an SCM-Manger Marc-Henrik Schmedt

Braucht ein moderner deutscher Handball-Spitzenverein im Jahr 2016 überhaupt noch eine Traditionspflege? Marc Schmedt: Aber natürlich. Bei Klaus Miesner gilt es, den Namen eines der erfolgreichsten Trainer des SC Magdeburg hochzuhalten. Seinem Wirken war es schließlich vor allem zu verdanken, dass der Klub bereits vor der Wende auf europäischer Ebene erfolgreich unterwegs war.

Marc-Henrik Schmedt.

Marc-Henrik Schmedt.

Wie sehen Sie beim Miesner-Turnier das Zusammenwirken mit dem Ilsenburger HV? Schmedt: Die Veranstaltung im Harz ist unser Heimatturnier. Und wir sind den Ilsenburgern äußerst dankbar dafür, wie sie sich engagieren. Wir können uns bei ihnen quasi ins gemachte Nest setzen.

Die Traditionspflege des SCM ist doch sicher nicht auf Ilsenburg und den Namen Miesner begrenzt? Schmedt: Nein. Wie viele wissen, haben wir bei uns in der Getec-Arena seit drei Jahren eine Klaus-Miesner-Lounge eingerichtet. Dort sind auch Fotodokumente aus der Zeit Miesners zu sehen. Der Ältestenrat unter Leitung unseres früheren Spielers Ingolf Wiegert kümmert sich ansonsten um die Kontakte zu ehemaligen Aktiven, lädt sie regelmäßig ein. Dies ist eine der Säulen unserer Traditionsarbeit. Auch zum 60. Jahrestag unserer Vereinsgründung haben wir uns in der einen oder andern Form der Vergangenheit gewidmet.