Wie der SC Magdeburg wirtschaftliche Standortnachteile wettmacht.
Geld schießt eben doch Tore. Eine These, die zu äußern es mittlerweile keiner allzu großen Verwegenheit mehr bedarf. Eine Behauptung zudem, die nicht nur im Profifußball, sondern ebenso in der Handball-Bundesliga nahezu Woche für Woche mit Fakten belegt wird. Egal, ob der Blick nun auf die Titelträger der, sagen wir, letzten Dutzend Jahre oder eben die aktuelle Tabelle fällt.
Oben stehen, von Ausnahmen zu Beginn einer Saison vielleicht einmal abgesehen, in der Regel die, die auch in einer Geld-Rangliste der Vereine die Spitzenplätze einnehmen. Haben wir es hier also quasi mit einem inzwischen unverrückbaren Naturgesetz des Sports zu tun? Haben die, die per Herkunft und fehlender Wirtschaftskraft (die im Osten nämlich) oder mangels reicher Mäzene (gleichfalls Ost) nicht zum privilegierten Kreis der finanziell Begüterten gehören, haben die möglicherweise nie mehr eine Chance, in Deutschlands zweitwichtigster Mannschaftssportart ganz oben mitzumischen?
Marc Schmedt zögert kurz mit einer Antwort, verneint dann jedoch die Frage. Er sieht das nicht so; zumindest nicht ganz so. Als sich Magdeburg Kompakt mit dem Manager des SC Magdeburg in diesen Tagen in der Geschäftsstelle des Traditionsvereins trifft, breiten sich auf dessen Schreibtisch diverse Statistiken aus, an einem Wandboard und auf seinem Computer prangen Zahlen. Sie zeigen, wie der SCM versucht, mit bisher nicht beschrittenen Wegen und zum Teil unkonventionellen Mitteln den Anschluss an die Spitzenklubs wieder herzustellen. Wirtschaftlich wie sportlich.
Auch wenn der SCM selbst seit einiger Zeit keine eigenen Etatzahlen mehr veröffentlicht (Schmedt: „Die Kriterien, nach denen diese Zahlen für die einzelnen Bundesligisten zusammengestellt werden, sind nicht mehr vergleichbar“), zeigen Erhebungen beispielsweise des Magazins „Handball Inside“, dass die Magdeburger für ihr Team eine Summe zur Verfügung haben, die zwischen 20 und im Extremfall bis zu fast 50 Prozent unter denen der Spitzenklubs (Kiel, Flensburg, Mannheim) liegt. „Dies auszugleichen, ist natürlich enorm schwer“, sagt der 46-jährige ehemalige Banker. „Im strukturschwächeren Osten existieren eben nicht die Großunternehmen, die ein Sponsoring wie in den westlichen Landesteilen ermöglichen. Wir haben es hier oft nur mit den verlängerten Werkbänken westdeutscher Firmen zu tun. Deshalb versuchen wir mit unseren Möglichkeiten, den Nachteil fehlender Wirtschaftskraft wettzumachen.“
Aber wie sehen diese Möglichkeiten nun aus? „Wir besitzen zwei Chancen“, betont Schmedt. „Zum einen müssen wir über die Breite wachsen. Zum anderen unseren großen Trumpf, die Verwurzelung in der Region, ausspielen.“ Dabei greift der Begriff Region durchaus weiter als er üblicherweise mit den Landstrichen zwischen Altmark und Burgenland umrissen wird. „Mittlerweile geht der Blick ebenso nach Sachsen und Thüringen wie nach Mecklenburg-Vorpommern.“ Der SCM profitiert dabei von der Tatsache, dass er der einzige Verein aus dem Osten ist, der es nach der Wende geschafft hat, sich fest im gesamtdeutschen Handball zu etablieren. Er gehört seit 1991 ununterbrochen der Bundesliga an, wurde 1996 Pokalsieger, 2001 Meister und 2002 als erstes deutsches Team überhaupt Champions-League-Gewinner. Das honorieren die Fans, gestern wie heute.
Seit 2010, als der gebürtige Rheinländer bei den Grün-Roten die Manager-Funktion übernahm, wurde der Partnerpool der Sponsoren systematisch ausgebaut. „Seit drei Jahren verfolgen wir ein konsequentes Regionalkonzept“, fügt er hinzu. Dies ist auch eine Reaktion darauf, dass sich als aussichtslos erwiesen hatte, welt- oder zumindest deutschlandweit agierende Top-Unternehmen für eine Zusammenarbeit gewinnen zu wollen. „Wir möchten zeigen, wir schaffen das auch ohne Firmen wie etwa Coca Cola oder SAP.“ Mit 320 sogenannten Partnern verfügt der SCM inzwischen über die breiteste Sponsoren-Struktur in der gesamten Liga. Darauf ist man stolz. Zu Recht. „Auf die Partner vor Ort ist Verlass und die Unternehmen in Sachsen-Anhalt sind sich der Strahlkraft des Imageträgers SCM bewusst“, unterstreicht Schmedt. „Dazu kommt die identitätsstiftende Funktion des SC Magdeburg, transportieren wir doch das Selbstbewusstsein und die wirtschaftliche Kraft der ganzen Region nach ganz Deutschland und Europa.“
Als vor knapp drei Jahren der Hauptsponsor, die Brauerei Hasseröder, sicher nicht ohne Zutun der Bremer Konzernzentrale, absprang, beschritt man beim SCM einen seinerzeit von einigen zunächst belächelten, aber auf jeden Fall ungewöhnlichen Weg. Aus der Not wurde eine Tugend gemacht: Unter dem Motto „Wir für Magdeburg“ taten sich 17 heimische Unternehmen zusammen, die jeweils für ein Spiel pro Saison als Brustsponsor auf den Trikots der Spieler erscheinen. Mit diesem Modell ist man jetzt bereits in die dritte Spielzeit gegangen. „Dadurch sind wir nicht mehr auf Gedeih und Verderb von einem Großen abhängig“, erläutert der Manager, „setzen auf Vielfalt, haben sozusagen das Risiko auf viele Schultern verteilt.“ Inzwischen stößt das „Magdeburger Modell“ sogar bei dem einen oder anderen Westverein auf Interesse, wird Schmedt zuweilen gefragt: „Wie macht ihr das eigentlich?“
Heute ist es so, dass etwa 60 Prozent des Saison-Etats der Grün-Roten durch Einnahmen aus dem Sponsoring generiert werden, 30 Prozent kommen durch den Ticketverkauf rein, die restlichen zehn Prozent laufen unter der Rubrik „Sonstiges“ (u.a. TV-Gelder).
Eine ganz bestimmte Idee ist es, die sich hinter all den vielfältigen Aktivitäten des Machers und seiner Marketing-Mannschaft verbirgt: Der SCM soll als unverwechselbare Marke angesehen werden. Im TV hat man dieses Ziel bereits erreicht. Dort steht der Klub in einer Untersuchung für die Saison 2014/15, hoppla, an der Spitze der Bundesliga, ganz klar vor dem Branchen-Riesen THW Kiel. Das gilt sowohl für die Anzahl der gesendeten Beiträge (356 SCM/290 Kiel) als auch für die Reichweite. So sahen deutschlandweit mehr als 67 Millionen Sportfans van Olphen & Co. auf der Platte in Aktion, bei den Norddeutschen waren es gut 49 Millionen. Um die eigene Popularität zusätzlich zu befördern und die Marke zu kräftigen, unternimmt die Bundesliga-Mannschaft alljährlich eine Tour quer durch Sachsen-Anhalt, präsentiert sich in kleinen Orten („Wir wollen in der Fläche wahrgenommen werden“), bietet Handball zum Anfassen. Für die Anziehungskraft der Partien in der heimischen Getec-Arena (7.200 Plätze) spricht, dass mit über 4.000 verkauften Dauerkarten nicht nur ein neuer Rekord verzeichnet wurde, sondern der Ansturm auf die Plätze im VIP-Bereich gleichfalls alle bisherigen Dimensionen sprengte: Die Karten für die nunmehr 750 Plätze gingen im Sommer weg wie die sprichwörtlichen warmen Semmeln.
In ein paar Wochen dann, wenn der SCM nach mehrjähriger Pause wieder in den Europapokal eingreift, wird es ein weiteres Novum im Handball geben: Mit dem Slogan „WILLKOMMEN WELTOFFEN Sachsen-Anhalt“ werben die Magdeburger auf ihren Trikots kontinentweit für ein tolerantes Bundesland. „Wir könnten uns für das Willkommmenslogo kaum einen geeigneteren und glaubwürdigeren Botschafter wünschen als unseren erfolgreichen Bundesligisten. Er verkörpert in idealer Weise Willkommenskultur und Weltoffenheit“, freut sich denn auch pflichtgemäß CDU-Ministerpräsident Reiner Haseloff. Nicht nur am Rande: In der Kaderplanung hat sich der SCM für einen Mittelweg zwischen Legionären und einheimischen Spielern entschieden. Auf acht ausländische Akteure kommen neun mit deutschem Pass. Die Ausländerquote des Vize-Pokalsiegers liegt damit leicht über dem Durchschnitt der Liga. Dieser ist im Vergleich zur letzten Saison von 38,5 auf 35,5 Prozent gesunken.
Bei aller Bedeutung des Wirtschaftlichen (so war Magdeburg in der Bundesliga ein Vorreiter bei der hochmodernen LED-Bandenwerbung), weiß Schmedt dennoch: Ohne weitere sportliche Meriten – die in der vereinseigenen Hochglanzbroschüre mit dem etwas sperrigen Begriff „regionale Weltklasse“ umschrieben werden – sind alle anderen Anstrengungen zwar nicht für die Katz‘, aber höchstens die Hälfte wert. Deshalb hat er als Zielmarke vorgegeben: Den Abstand nach oben Stück für Stück verringern, „die Top 5 als realistisches Ziel für die nächsten drei Jahre anzugehen“. Das Zeug dazu hat das Team. Oder, wie ein Bundesliga-Kenner kalauernd meinte: „Der SCM ist heute wieder seines eigenen Glückes Schmedt.“
Rudi Bartlitz