Das grüne Gespenst von der grünen Gentechnik

Landwirt_Bt Aubergine

Ein Kleinbauer in Bangladesch präsentiert stolz seine Auberginen. Foto: Dr. Uwe Schrader (Forum Grüne Vernunft)

Gentechnikphobie: Europa befindet sich im Würgegriff einer epidemischen Paranoia – Von Reinhard Szibor

Im Jahre 1987 schüttelte noch die Mehrheit der Bundesbürger über „Die Grünen“ den Kopf. In deren Bundestagswahlprogramm hieß es: „Wir unterstützen den Widerstand gegen Informations- und Kommunikationstechniken und fordern: Keine Digitalisierung des Fernsprechnetzes, keine Dienste und Netzintegration im Fernsprechnetz (ISDN), keine Glasfaserverkabelung (Breitband-ISDN)! Stopp des Kabel- und Satellitenfernsehens!“ Die grüne Partei konnte sich nicht durchsetzen. Inzwischen ist die Lage anders.

Mit Ausnahme der FDP und Teilen der CDU gibt es gegen die Zukunftstechnologie Grüne Gentechnik (GT) eine Super-Koalition aus Grünen, NPD, AfD, CSU, Teilen der CDU, SPD und Linken.
Im Koalitionsvertrag ließ die ursprünglich wissenschafts- und wirtschaftsfreundliche CDU den folgenden Passus zu: „Wir erkennen die Vorbehalte des Großteils der Bevölkerung gegenüber der Gentechnik an.“ Die EU hat inzwischen eine „Opt-Out“-Genehmigung beschlossen. Danach dürfen Mitgliedsländer den Anbau der in der EU zugelassenen gentechnisch veränderte, sogenannte gv-Pflanzen auch dann verbieten, wenn es dafür kein wissenschaftlich haltbares Argument gibt. Die wissenschaftliche Chefberaterin der EU, die Biologin Anne Glover, wurde auf Drängen von Greenpeace & Co. kurzerhand gefeuert. Bundestag und Bundesrat streiten nicht etwa darüber, ob es ein Verbot geben soll oder nicht, sondern nur, wie das Verbot rechtssicher gestaltet werden kann. Dabei haben 20 Jahre Sicherheitsforschung gezeigt, dass die Gentechnik keine Risikotechnologie ist. Im Vergleich zu konventioneller Züchtung zeigen gv-Pflanzen, wenn sie nach den Regeln guter fachlicher Praxis angebaut werden, eine bessere Umweltverträglichkeit. Die Produkte werden viel intensiver geprüft, sodass diese Pflanzen sicherer sind als konventionelle Neuzüchtungen. Die Appelle der Nationalen Akademie Leopoldina, der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften und der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften, die aus gegebenem Anlass zum rationalen Umgang der molekularen Züchtung mahnen, werden ignoriert. Auch die Ministerin für Bildung und Forschung Johanna Wanka (CDU), die sich gegen den Kurs der SPD- und CSU-geführten Ministerien für Umwelt bzw. Landwirtschaft stemmt, ist chancenlos.
Wir fallen zurück in die Bauchgefühl-Demokratie der 60iger Jahre, als es beispielsweise noch möglich war, dass das deutsche Spießertum mit seiner Mehrheit ohne belastbare Argumente Homosexuelle aus dem Staatsdienst entfernen konnte. Die Industrie zieht inzwischen ihre Konsequenzen. „BASF“, „Bayer CropScience“ und andere verlegen ihre Saatzuchtsparten ins Ausland und Wissenschaftler emigrieren scharenweise. Damit wird Verwertung der Gentechnik in den USA monopolisiert. Kritisiert werden hierzulande nicht die Monopolisierungshelfer. Der Hass richtet sich gegen die von der deutschen Politik begünstigte Firma Monsanto. Was ist Gentechnik überhaupt und wozu wird sie gebraucht?
Mit molekulargenetischen Methoden kann man gezielt in das Erbgut von Lebewesen eingreifen. Man erhält gv-Pflanzen mit verbesserten Eigenschaften, indem man Gene zwischen Individuen der gleichen Art (cisgen) und auch artübergreifend (transgen) überträgt. So erhält man z. B. mit der cisgenen Übertragung von Resistenzgenen der Wildkartoffel auf Kultursorten Pflanzen, die den Ertragsreichtum und den guten Geschmack der Kultursorte mit der Resistenz gegen die Kraut- und Knollenfäule verbinden. Analog kann man die Resistenz gegen Apfelschorf von Wildäpfeln auf die bewährten alten Kultursorten übertragen. Beide genannten Pflanzenkrankheiten verursachen bisher Schäden in Milliardenhöhe. Gentechnik kann die Vielfalt erhöhen, indem sie alte Sorten wieder marktfähig macht! Ein Peperoni-Gen schützt Bananen vor der verheerenden Bananen-Welke, eine Seuche, die die Ernährungsgrundlage afrikanischer Länder bedroht. In Uganda läuft gegenwärtig der Erprobungsanbau resistenter gv-Bananen. Die erste Generation von gv-Pflanzen enthält oft ein Gen aus dem Bacillus thuringiensis (Bt). Bt-Pflanzen produzieren ein Eiweiß, das Raupen, die von der Pflanze fressen (und nur diese!), umbringt. Sogenannte „Biobauern“ versprühen übrigens dieselbe Substanz auf ihren Felder und vernichten damit nicht nur die Zielinsekten, sondern auch nützliche Schmetterlinge! Der bei uns aus populistischen Gründen verbotene Mais „MON810“ gehört in diese Gruppe der Bt-Pflanzen. In vielen Ländern Südostasiens gehört die Aubergine zu den wichtigsten Gemüsearten, aber eine spezielle Mottenart vernichtet oft bis zu 90 Prozent der Ernte. Bauern spritzen deshalb bis zu 120 Mal in einer Anbausaison. In Bangladesch hat jetzt eine Bt-Aubergine, die in Indien entwickelt wurde, die Anbauzulassung erhalten. In Indien hat eine Allianz aus Greenpeace und den heimischen Pestizidherstellern die Zulassung verhindert.
Erfolge feiert die Wissenschaft mit der Methode der Genabschaltung. Damit kann man auch Viruser-krankungen der Pflanzen bekämpfen. Das Bohnen-Mosaik-Virus ist in Südamerika für Hungersnöte verantwortlich. Das Papaya-Ringspot-Virus hatte in vielen Regionen den Papayaanbau zum Erliegen gebracht. Beide Krankheiten hat man mit der GT besiegt. Von solchen Erfolgen wollen die Gegner nichts wissen, selbst dann nicht, wenn großes Leid verhindert werden kann. Wissenschaftlich gesehen, ist es ein Triumph, dass es schon vor längerer Zeit gelungen ist, Reis und Bananen mit Beta-Carotin (Provitamin A) anzureichern. In den Armutsgebieten der Welt sterben allein wegen Vitamin-A-Mangels täglich ca. 6.000 Menschen. „Goldener Reis“ und gv-Bananen mit Provitamin A könnten die Katastrophe signifikant mildern. Allerdings gelingt es Greenpeace & Co. seit Jahren von Deutschland aus, die Zulassung zu verhindern. Der Greenpeacegründer Patrick Moore, der sich von Greenpeace abgewandt hat, bezichtigt die Organisation der Sabotage und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. In den „Politbüros“ von Greenpeace und „Friends of Earth“ (hier als BUND bekannt) hat man erkannt, dass bei einem Erfolg des „Golden Reis“ die Angst vor der Gentechnik schwindet und die wegen des Anti-GT-Kampfes reichlichen Spenden versiegen könnten. Greenpeace erhält allein in Deutschland jährlich über 60 Millionen Euro Spendengelder. Damit das Tetzel-Prinzip weiter funktioniert, nimmt man in Kauf, dass täglich 6.000 Kinder sterben!
„Wer weiß, wie Gesetze und Würste zustande kommen, kann nachts nicht mehr ruhig schlafen“, formulierte einst Otto v. Bismarck. Dabei kannte er das Gentechnikgesetz noch nicht! Wirklich tiefe Eingriffe in das Erbgut nehmen Pflanzenzüchter mit Methoden vor, die aus unerfindlichen Gründen nicht als Gentechnik gelten. Mit extrem hohen Strahlendosen oder vergleichbar wirkenden Chemikalien zerschlagen sie das Erbgut und erzeugen mit dieser primitiven Form der Gentechnik, die aber nicht als solche ausgewiesen werden muss, rund 50.000 Veränderungen im Erbgut. Sie erhoffen sich zufällig nützliche Mutationen. Wenn eine Neuzüchtung dieser Art glückt, darf diese ohne Prüfung der Nahrungsmittelsicherheit auf den Markt kommen. Die Hartweizensorten, die den Rohstoff für die bei unseren Kindern so beliebten Spaghetti und Nudeln liefern, sind alle so entstanden. Wenn der Anbau bestimmte Regeln einhält, gibt es dafür sogar ein Biosiegel, das Nahrungsmittelsicherheit vorgaukelt. Erstaunlicherweise kommt es nur selten vor, dass Neuzüchtungen dieser Art wegen Giftigkeit wieder vom Markt genommen werden müssen. Trotzdem handeln Gesetzgeber, die das „atomare Gärtnern“ ohne Sicherheitsprüfung zulassen, unverantwortlich. Die Gentechnik-Gegner, allen voran die „Gentechnikexperten“ der Grünen, feiern diese Praxis als „gute Alternative“.
Nach naturwissenschaftlichen Gesichtspunkten ist die Übertragung von etwa 60 Mitochondriengenen vom Japanischen Rettich auf Kohlsorten oder von der Sonnenblume in Chicorée ganz klar als Gentechnik zu erkennen. Das Verfahren, mit dem man sogenannte CMS-Hybride erzeugt, ist die Protoplastenfusion und betrifft nahezu alle Chicorée- bzw. ca. 80 Prozent unserer Kohlsorten. Trotzdem werden alle diese Produkte, dem wissenschaftsfernen Gentechnikgesetz folgend, nicht als gentechnisch verändert deklariert. Rund 70 Prozent unserer Baumwollkleidung und auch unsere Euro-Geldscheine enthalten Bt-Baumwolle. GT-Gegner, die eben noch ihre in Wahrheit transgene Kohlroulade genossen und mit Bt-Baumwoll-Euro bezahlt haben, sind stolz, dass sie in einer angeblich „gentechnikfreien Region“ leben. Die politischen Gremien, auch der Stadtrat von Magdeburg, haben sich so proklamiert. Das ist eine Nachahmung des Konstanzer Konzils (1414 bis 1418), das den Biber zum Fisch erklärte, um die Speisekarte der Mönche in der Fastenzeit aufzuwerten.
Die Gentechnik-Gegner finden mittlerweile bei etwa 85 Prozent der Bevölkerung Gehör. Dieser Quote liegt eine Desinformationskampagne zugrunde, die von unglaublich reichen Organisationen wie Greenpeace getragen wird. Zeitungsartikel, die sich mit GT befassen, werden mit Warnsymbolen für Biogefahren illustriert und sind gespickt mit demagogischen Begriffen wie „manipuliert“, „kontaminiert“ und „verseucht“. Campaigner, die Schauspielerei, Germanistik oder Theologie, aber kein für dieses Thema relevantes Fach studiert haben, werden als „Gentechnik-Experten“ präsentiert. Vandalen, die Felder zerstören und im Extremfall nachhaltig mit Diesel vergiften, werden von Medien als „Umweltschützer“ bezeichnet. Ungeprüfte Verschwörungstheorien über „käufliche Wissenschaftler“ und Märchen von angeblich durch gv-Saatgut hervorgerufene Suizidwellen in Indien werden veröffentlicht. Demagogen wie Vandana Shiva denken sich so etwas aus und werden für hohe Gagen von Kirchen und Parteien zu Vorträgen eingeladen. Die 18 Millionen Bauern (vorwiegend Kleinbauern), die sich weltweit aus gutem Grund für den Anbau von gv-Pflanzen entschieden haben, werden zu von Monsanto gekauften Marionetten erklärt. In einer Studie eines Prof. Seralini suggerieren grausame Bilder von Ratten, dass gv-Pflanzen Tumore auslösen würden. Seralini gehört einer Sekte an, die okkulte Medizin betreibt und der es angeblich gelingt, durch bloße Gebete Feuer zu löschen. Demagogie fällt bei einer Bevölkerung, die der esoterischen Vorstellung anhängt, dass DNA aus gv-Pflanzen in unserer Nahrung auf irgendeine geheimnisvolle Weise auch unser Genom beeinflussen könnte, auf fruchtbaren Boden. Die Gegnerschaft der Gentechnik wird heute als Sache des „gesunden Menschenverstandes“ angesehen. Spitzenwissenschaftler – darunter zahlreiche Nobelpreisträger – werden als Deppen dargestellt. Die Presse hat es geschafft, dass der grüne Hass gegen innovative Technologien in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Er erfasst gesellschaftliche Institutionen, denen man das nicht zutrauen würde. So hat sogar das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) seine bisherige Praxis aufgegeben, Urteile durch wissenschaftliche Gutachten zu untermauern. Im Verfahren um eine Verfassungsbeschwerde des Landes Sachsen Anhalts gegen das Gentechnikgesetz führte das BVerfG die These von einem Basisrisiko ein (das von Wissenschaftlern nicht geteilt wird) und gesteht dem Gesetzgeber eine Einschätzungsprärogative zu, die ihn davon befreit, einen wissenschaftlich-empirischen Nachweis über das reale Gefährdungspotential von GVOs zu führen. Professor Dr. Winfried Kluth, Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht an der Martin-Luther-Universität und Mitglied des Landesverfassungsgerichts von Sachsen-Anhalt, kommentiert das Urteil des BVerfG mit der Feststellung: „Die Zulassung von Freiheitsbeschränkungen ohne jede empirische oder fachwissenschaftliche Grundlage ist nichts anderes als ein Deckmantel für schlecht kaschierte Willkür, die vor einer gesellschaftlichen Mehrheitsmeinung kapituliert“. Prof. Hans-Georg Dederer, Lehrstuhlinhaber für Staats- und Verwaltungsrecht, Völkerrecht, Europäisches und Internationales Wirtschaftsrecht der Universität Passau stellt fest, dass das BVerfG hinsichtlich des Basisrisikos von einem Stand der Annahmen von 1990 agiert und die Ergebnisse von 20 Jahren Sicherheitsforschung, die den Steuerzahler 100 Millionen Euro gekostet haben, ignoriert. Wenn der Schiedsspruch, wie Prof. Kluth und Prof. Dederer feststellen, nicht durch juristisch gültige Normen getragen ist, bleibt zu fragen, ob der in diesem Fall zuständige Berichterstatter, der auf Vorschlag von Bündnis90/Die Grünen ins BVerfG berufen worden ist, den „Grünen Hass“ als Richtschnur des Verfassungsgerichts etabliert hat.
Kombiniert wird das Phänomen des „Grünen Hasses“ sogar mit menschenverachtenden Haltungen. In einer Diskussion zum Thema Gentechnik kontra Hungertod erklärte Oliver Wendenkampf (BUND Sachsen-Anhalts), dass er eine Ertragssteigerung pro Hektar ablehne. Der Feststellung, dass dies auf den Hungertod zahlloser Menschen hinauslaufe, widersprach Wendenkampf nicht. Es zeigt sich eine neue Form des Rassismus. Die angestrebte Malthusianische Bremse trifft natürlich keine europäischen Kinder, sondern fordert den Hungertod für Kinder Afrikas und Asiens.
In einem Land in dem Produkte der esoterischen „biodynamischen Landwirtschaft (Demeter)“ Konjunktur erleben, können wir nicht mit einer wissenschaftsgestützten Politik rechnen. Trotzdem erhebt sich die Frage, wie die zum Populismus neigende Regierungskoalition – der Oppositionsparteien sowieso – den Willen der Mehrheit bedienen wird, wenn außer der Gentechnik-Phobie noch andere emotionale Strömungen die Mehrheitsmeinung prägen werden? Wer Vorurteile der Mehrheit in Gesetze gießt, anstatt dafür zu werben, Politik an Fakten auszurichten, besteht den Demokratietest nicht.

Der Autor: Prof. Dr. Reinhard Szibor lernte den Beruf Gärtner und studierte anschließend Biologie an der FSU Jena. Molekulare Genetik erlernte er am Max-Delbrück-Zentrum in Berlin-Buch. An der OvGU arbeitete er wissenschaftlich auf dem Gebiet der Molekularen Abstammungsgenetik. Er ist Mitglied des Wissensschaftskollegiums „emeritio“ und gehört dem Forum Grüne Vernunft an.


 

Der Autor: Prof. Dr. Reinhard Szibor lernte den Beruf Gärtner und studierte anschließend Biologie an der FSU Jena. Molekulare Genetik erlernte er am Max-Delbrück-Zentrum in Berlin-Buch. An der OvGU arbeitete er wissenschaftlich auf dem Gebiet der Molekularen Abstammungsgenetik. Er ist Mitglied des Wissensschaftskollegiums „emeritio“ und gehört dem Forum Grüne Vernunft an.