Umwelt- und Naturschutz sind wichtige Anliegen. Wir stellen das Leben unter deren Maßstäbe, allerdings selten das eigene. Von Thomas Wischnewski
Das grüne Gewissen lässt mich manchmal zweifeln, ob der Anspruch, den ich damit verbinde auch einem wirksamen Umwelt- und Naturschutz gerecht wird. Natürlich finde ich es gut, wenn Menschen um jeden Baum kämpfen. Wenn sie sich mit ihrem Engagement einer Abholzung entgegenstemmen, damit die Stadt grün bleibt. Im selben Moment bin ich dann darüber verwundert, wenn sich andere im Glauben an ihr Grundstückseigentum, darüber aufregen, dass sie staatlich reglementiert werden, wenn sie einen Baum auf ihrer Landscholle fällen wollen. Denken wir eigentlich manchmal darüber nach, dass die Stadt, in ihrer Ausbreitung nur existiert, weil Menschen schon vor Jahrhunderten die Bäume ringsum abholzten, um Platz für Lebensraum zu gewinnen?
Eines vergangenen Tages fahre ich aus Österreich kommend über eine bayerische Autobahn und mir wird bewusst, dass sich vor nur 100 Jahren an dieser Stelle überhaupt gar keine Straße befand. Und ich denke daran, mit welcher Selbstverständlichkeit wir diese Pisten nutzen und in welchem engmaschigen Netz sie sich über die Landschaft legen. Wir regen uns darüber auf, wenn wir eine Strecke von A nach B nicht in einer selbst gedachten Zeitspanne überwinden können. Schimpfen über den dichten Verkehr und jeder, der darin steckt, ist selbst Verursacher des Problems. Aber man sieht ja nur die anderen, die vor und neben einem fahren. Den eigenen Anteil zu erkennen – sich selbst im Strom als Hindernis zu sehen – fällt schwer.
Das grüne Gewissen lässt mich auch zweifeln, wenn ich an die weitere Verdichtung dieses Straßennetzes denke, wenn wir noch schneller und bequemer von einem Ort zum anderen gelangen wollen; so als könnten wir dadurch etwas gewinnen – Zeit zum Beispiel. Bei passender Gelegenheit frage ich den Staatssekretär Klaus Klang im Bauministerium von Sachsen-Anhalt, ob schon einmal jemand darüber nachgedacht hätte oder ob der Bau der vielen Zusatzanlagen für Autobahnen, die dem Schutz für Flora und Fauna dienen sollen, auf ihre Energieeffizienz überprüft wurden. Ob überhaupt jemand berechnet und ermittelt hätte, welche natürlichen Ressourcen der gewollte Schutz für Fledermäuse, Wildtiere oder Kröten durch das zusätzliche Bauen verschlingen würde oder wie viel Energie dafür erzeugt und verbraucht werden müsste und welche natürlichen Rohstoffe dafür verbrannt würden? Ich war erschüttert, dass mir der Regierungsmitarbeiter nachdenklich und kopfschüttelnd gegenübersaß und keine Antwort wusste. Wir proklamieren also Umwelt- und Naturschutz aus einem erzeugten schlechten Gewissen und denken nicht darüber nach, welche Folgen daraus erwachsen könnten. Dabei sind wir Deutschen doch sonst schnell und laut mit unseren Urteilen über alles, was in der Zukunft liegt und uns Angst macht.
So höre ich die Rufe eines grünen Gewissens, dass ich um Himmelswillen keine genetisch veränderten Plfanzen essen dürfte. Die würden sich durch beeinflusstes Erbgut in meinen Zellen ganz gewiss wie ein Virus oder ein Krebsgeschwür hineinfressen. Mir fällt dazu die gar nicht so alte Geschichte ein, als Ärzte und Wissenschaftler vor rund 180 Jahren inbrünstig abrieten, mit der Eisenbahn zu fahren. Der Mensch sei für die Geschwindigkeiten über 30 Kilometer pro Stunde nicht geschaffen. Das Gehirn könnte sich in dieser Raserei aufweichen. So stand es in großen Lettern in der damaligen Presse. Heute gilt die Eisenbahn als umweltfreundliches Verkehrsmittel und wird in ihren Fahrpreisen teurer und Strecken werden stillgelegt. Aber warum? Weil wir mit dem Auto lieber selbst schneller direkt an einem Ziel ankommen wollen und weil dies bequemer ist. Ein Bekannter beschwerte sich kürzlich über die angeblich unerschwinglichen Fahrpreise und argumentierte, die Bahn müsse sich nicht wundern, dass sie zu wenig Fahrgäste hätte. In keinem Moment konnte er ergründen, dass er als Nur-Autofahrer selbst Erzeuger und Zementierer dieser Entwicklung wäre. Und dann frage ich mich eben, ob die Unkenrufe über die Gefahren der grünen Gentechnik wirklich gerechtfertigt sind oder ob da nicht auch eine institutionelle Selbstrechtfertigung für Umweltschutzverbände dahinter stecken könnte. Wer Grünes proklamiert, ist halt automatisch auf der Seite der Guten!
Wir wissen doch, dass es keine genetisch veränderten Plfanzen auf Feldern mehr gibt. Und zwar schon seit geschätzten 10.000 Jahren. Seit die Menschen sesshaft wurden und Ackerbau betrieben, verändern sie die Nutzpflanzen genetisch per Kreuzung zu ihren Gunsten. Mir klingt noch der Satz im Ohr, den mir vor sechs Monaten ein Nahrungsmittelwissenschaftler herüber raunte: Wollten wir heute auf der bestehenden Nutzfläche der Erde die Menschheit mit konventioneller Landwirtschaft versorgen, könnten wir nur rund 2,4 Milliarden satt machen. Sollen die anderen 5 Milliarden Menschen also verhungern und wer will ihnen das unter einem grünen Gewissen sagen?
Das grüne Gewissen lastet beim Hunger in der Welt besonders stark auf meinen Schultern. Es schmerzt regelrecht, weil mir von Tierschützern heute immer öfter das Ausmaß industrieller Tierproduktion vorgeführt wird. Man möchte wegschauen bei den grauenhaften Videobeweisen, die unzählbar in den sozialen Netzwerken verbreitet werden.
Mein grünes Gewissen will mir dann sagen, dass ich dagegen bin und dass dies nichts mit mir zu tun hätte. Hat es aber doch. Schließlich bin ich kein Veganer und ich will es auch nicht werden. Dann kommt da wieder der Gedanke an den Welthunger auf und mit ihm die Frage, was ist nun richtig und was falsch. Ich höre die andere Experten-Meinung, die mir erklärt, dass wir die Riesenmenge der Tiere gar nicht halten müssten. Nicht etwa, weil wir zu viel Fleisch verzehren würden – was wir ohnhin tun – sondern, weil wir zu enge Regeln beim Verbraucherschutz hätten. Hygienevorschriften und Ablaufdaten für Lebensmittel sind derart knapp und restriktiv, dass wir möglicherweise einen viel größeren Berg an Nahrungsgütern wegschmeißen würden, bevor er überhaupt in die Nahrungskette käme. Und trotz des erdrückenden Gewissens werden die Einkaufskörbe in den Supermärkten nicht kleiner und lieber nimmt man noch eine Packung Hähnchenbrüste mehr mit. Die kann man schließlich zu Hause in die Tiefkühltruhe legen. Den Strom dafür bezahlt man ja ohnehin und wie er erzeugt wurde, das kann man nicht sehen.
Dafür kann man das Elend anderer Menschen auf anderen Kontinenten sehen und in Ländern, die weit weg von Deutschland sind. Da reisen wir dann hin, im Gedanken an Entspannung und Abschalten. Deshalb schauen wir auch nicht auf das existierende Leid, dass man von seinem Urlaubsreservat und den Tourismuspfaden aus gar nicht sehen kann. Über das Kerosin, das während unseres Jettens um die Welt verbrannt wurde, denken wir eh nicht lange nach. Spreche ich jemanden darauf an, der gerade von der anderen Seite des Erde zurückgekehrt ist, ernete ich nur ohnmächtiges Schulterzucken. Es fällt dann fast immer der Satz, dass es die anderen doch auch tun würden und die rhetorische Frage folgt, warum der Betroffene ausgerechnet der sein sollte, der zuerst verzichten müsste. Es sind also die anderen, die alles vorleben und die verantwortlich sind. Vor allem ist es die Industrie, die jeden in das Verhalten zwingen würde. Diesem Werbedruck ist der Mensch offensichtlich nicht gewachsen, genauso wenig wie einem Herdentrieb, durch den wir anscheindend willenlos hinter allem hertrotten, was vor uns läuft.
Vielleicht laufen wir wegen des grünen Gewissens mancher grünen Botschaft kritiklos hinterher. So sind doch Windräder umweltfreundliche und nachhaltige Energieerzeuger. Für die bis 1998 mitregierenden Grünen in Sachsen-Anhalt war dies rechtlich so bedeutsam, dass die Genehmigung für das Aufstellen der Windkraftanlagen von den Landkreisen auf die Landesebene delegiert wurde. In Möckern und Umgebung sollen die Menschen vor vollendete Tatsachen gestellt werden. Dort wehrt man sich in Bürgerinitiativen gegen den weiteren Ausbau, weil man echte Beeinträchtigungen für die lokale Flora und Fauna befürchtet. Ist Grün etwa nicht gleich Grün? Die Umweltorganisation Greenpeace verlangt von der Europäischen Union die Abschaffung von wissenschaftlichen Beratern. Für Greenpeace ist grüner Sachverstand nur gegeben, wenn er durch eigene Experten besetzt wird. Fast religiös glauben wir den Aufdrucken von „Bio“ auf den Lebensmitteln, dass diese wegen des Siegels besonders gut für uns sind, dass sie Gesundheit und ein langes Leben verheißen. Dass der Bio-Glaube mittlerweile ebenso eine eigene Industrie hervorgebracht hat, zählt wenig.
Das grüne Gewissen lässt mich daran zweifeln, dass der Stempel grün und ökologisch eben nicht ausreicht, um zu erkennen, was der Welt hilft. Das Problem ist wohl das Wunder der Schöpfung selbst: der Mensch – der sich weiter wie ein Parasit auf dem Planeten ausgebreitet, der unter seinen Ansprüchen nie zurückstecken will. Weil alles, was er jemals als persönliche, technische, kulturelle oder gesellschaftliche Erungenschaft begreift, das lässt er nicht mehr los. So umklammern wir jedes Ding als gehöre es unumkehrbar zu uns selbst. Also kämpfen wir für jeden Baum, den andere fällen wollen und scheren uns wenig darum, was wir selbst zertreten, verbrennen, wegschmeißen und vernichten. Wir tun das alles mit gewachsenem grünen Gewissen. Es verfolgt uns und ständig appelliert jemand daran. Zum grünen Gewissen gehört die progressive Seite als auch die degressive. Es ist nicht so einfach mit dem richtigen Gewissen, wenn man beginnt tiefer darüber nachzudenken.