Der Fall der Festung

Abriss SternMagdeburg stößt an seine Grenzen – die Industrialsierung erfordert Wachstum.

Magdeburger Festungsbaugeschichte im Laufe der Jahrhunderte:  Die Anlagen mit ihren Wällen waren am Ende größer und wichtiger als die Stadt selbst.

Der „Alte Fritz“ wollte sogar die Einwohner komplett nach Schönebeck umsiedeln. Die Festung nahm 200 Hektar ein, das Areal der Elbestadt dagegen nur 120 Hektar. Insgesamt fünf Tore samt Sicherungsanlagen führten aus der Altstadt hinaus. Die Ausdehnung war mit Beginn der Industrialisierung durch die Ringbefestigung eng begrenzt. Doch die Bevölkerung zwischen 1815 und 1840 wuchs rasant. Es war der prozentual größte Bevölkerungsanstieg einer deutschen Stadt in diesem Zeitraum. Die Altstadt verdoppelte nahezu ihre Einwohnerzahl von 1812 (28.000 Menschen) bis 1840 (51.000). Sudenburg war von 764 Menschen im Jahr 1818 auf 2.800 Einwohner im Jahr 1840 angewachsen und auch in der Neustadt verdoppelten sich die Einwohner im selben Zeitraum auf 7.500 Menschen.
Oberbürgermeister Francke sprach 1842 im Magistrat den drückenden Platzmangel an und verfügte, die Stadterweiterung zu prüfen. Wohnverhältnisse, der Mangel an Licht und Luft und die sanitären Anlagen waren schlichtweg katastrophal. Zwischen 1780 und 1846 wuchs die Bevölkerung um das Doppelte, der verfügbare Raum blieb hingegen gleich. Das stete militärische Interesse prägte die gesamte Stadtentwicklung und bremste städtebauliches wie auch wirtschaftliches Wachstum aus. Das preußische Kriegsministerium war noch nicht bereit, die einengenden Festungsanlagen zu beseitigen; erst in den 1870er Jahren wurden die strengen Bestimmungen gelockert. Auf den freigeräumten Arealen der alten Festung entwickelten sich großzügige Bürgerquartiere, wie um den Hasselbachplatz, zwischen Hauptbahnhof und Kaiserstraße (Otto-von-Guericke-Straße) sowie um die Augustastraße (Hegelstraße). Auch außerhalb der neuen Festungsmauern setzte ein Bauboom ein. Denn die moderne Kriegstechnik, besonders die Entwicklung von Geschützen mit größerer Reichweite und Treffsicherheit, stellte den Sinn der Festungsanlagen längst in Frage.
Der Drang zur Industrialisierung setzte den Magistrat unter Druck. Magdeburg brauchte Platz und keine Festungen. Ab 1860 begann die Diskussion um die Eingemeindung der Vorstädte – es mangelte überall an Wohnraum. Den ersten Kaufvertrag mit dem Militärfiskus für neues Gelände schloss die Stadt 1871. Damit kam es zu einer sprunghaften Expansion in alle Richtungen: Die Einwohnerzahl verdreifachte sich, Magdeburg entwickelte sich zu einem industriellen Zentrum. Wasser und Schiene trug wesentlich dazu bei und es wuchs ein Verkehrsknotenpunkt wichtiger Linien. Mit der Erweiterung und dem Rückbau der Verteidigungslinien gab es endlich auch Platz für Schulen, den Bahnhof und ein neues Stadttheater. 1904 wurde auch das Kavalier II „Stern“ abgerissen. Reste seines einstigen Eingangstores stehen heute am Domplatz.
Am 1. April 1912 kam mit Aufhebung der Festungskommandantur das endgültige und von vielen Magdeburgern ersehnte Ende der Festungszeit. Etliche der robusten Bauwerke jedoch fanden auch weiterhin Nutzung. Erst in den kommenden Jahren begann man große Teile der Anlagen abzutragen. Viele Anlagen wurden überbaut und fanden neue Nutzer. Heute sind nur noch wenige Spuren der einstigen gewaltigen Festung zu finden. Sie sichtbar zu machen und zu erhalten hat sich die Fachgruppe Festungsanlagen im Kultur- und Heimatverein Magdeburg e. V. auf die Fahnen geschrieben. (rf)