Der Neue im Haifischbecken

handball2Mit Bennet Wiegert als Trainer setzt Handball-Bundesligist SC Magdeburg auf die Jugend und ein Urgestein des Vereins zugleich.

Mit wem man sich in diesen Tagen im handballverrückten Magdeburg auch unterhält, es vergehen meist nur einige Augenblicke, bis die Kardinalfrage im Raum steht. Sie lautet, simpel formuliert: Wird es Benno schaffen? Was übersetzt so viel heißt wie: Gelingt es dem neuen Hoffnungsträger auf der Trainerbank des Bundesligisten SCM, den auf Rang 11 abgerutschten ambitionierten ostdeutschen Traditionsverein wieder in die Erfolgsspur zu führen? Mitte Dezember hatte Wiegert den zuletzt in die Kritik geratenen Isländer Geir Sveinsson abgelöst.
Im Gespräch mit Magdeburg Kompakt gibt sich der 33-Jährige kämpferisch: „Ich bleibe dabei, wir haben mehr Potenzial. Ohne Wenn und Aber. Für mich ist Rang elf nur eine Momentaufnahme. Ich bin überzeugt davon, dass die Mannschaft die Qualität besitzt, weitaus besser zu sein.“ Dazu müsse aber die Verletzungsmisere, zuletzt fehlten zuweilen fünf Stammspieler, möglichst schnell überwunden werden. Und: „Zum anderen muss man sich den Erfolg natürlich verdienen.“
140712PG_ESB_SCM9Es spricht für die Selbstreflexions- und Kritikfähigkeiten des Neulings auf der Bank (Charakteristika übrigens, die in den vergangenen Jahren auf diesem Platz nicht unbedingt zu den signifikanten Merkmalen der seinerzeit dort Verantwortlichen gehörten), dass er mit seinem Start ins neue Metier keineswegs zufrieden ist.  „Ja, das habe ich mir anders vorgestellt“, räumt er ein. In der nüchternen Sprache der Statistik heißt das, von bisher vier Begegnungen haben  Wiegert und sein  Team eine gewonnen, zwei verloren, eine endete Remis. Aber: Mit dem einzigen Sieg gelang seinen Schützlingen – der Coach war gerade einmal 36 Stunden im Amt – im Pokalwettbewerb gegen Frisch Auf Göppingen gleich der Sprung ins begehrte Final  Four in Hamburg. „Aber natürlich bin ich nicht zufrieden mit den Ergebnissen in den drei Punktspielen. Als wir da reingegangen sind, habe ich schon gedacht, dass mehr für uns herausspringt als ein Punkt von sechs möglichen. Und selbst der Punkt daheim gegen Wetzlar war für mich kein gewonnener, sondern ein verlorener.“
Da vermag  es den als sehr ehrgeizig geltenden Neu-Coach auch kaum trösten, dass seine Jungs sowohl in Hamburg als auch beim Spitzenreiter Rhein-Neckar Löwen lange engagiert mitgehalten haben. „Ich habe uns auswärts eine Chance eingeräumt“, sagt er. „Und, da bin ich ehrlich, auch auf die neuen Reize durch den Trainerwechsel gehofft. Hätten wir in Mannheim in der ersten Hälfte nicht so extrem viele Chancen liegenlassen, wäre die Chance dagewesen, tatsächlich etwas mitzunehmen. Das ärgert mich schon sehr. Unterm Strich bleibt ein Punkt von sechs möglichen. Das ist zu wenig, und das kann mich nicht zufriedenstellen.“
Auf der Ursachensuche für den derzeit labilen Zustand des Teams kommt man an der Vergangenheit nicht vorbei. Doch ein Blick zurück im Zorn ist Wiegerts  Sache nicht: „Zu Dingen, die vor meiner Zeit  lagen und die meinen Vorgänger Geir Sveinsson betreffen, möchte ich mich nicht zu gern äußern.“  Er sei seinerzeit als Jugendkoordinator und Trainer der in der dritten Liga spielenden Youngsters „zu weit weg vom Bundesliga-Team“ gewesen.  Deshalb sei der Blick für ihn nur nach vorn gerichtet.
Wer ist dieser Mann, der bei den Grün-Roten nun für frischen Wind sorgen soll? Mit Bennet Wiegert kehrt ein großer Name des Magdeburger Handballs in die Szene zurück. Vater Ingolf, ein Weltklassekreisspieler und mit der DDR-Auswahl 1980 Olympiasieger in Moskau, hatte den Klub in der Saison 1993/94 betreut. An die Erfolge des Vaters, der heute am Magdeburger Sportgymnasium lehrt,  kann Bennet, der schon als Heranwachsender  die grün-roten Farben trug, als Spieler zwar nicht ganz herankommen (da überwiegt das Olympia-Gold des Seniors wohl doch noch den Champions-League-Triumph des Filius 2002 mit dem SCM), aber als Coach könnte er aus dem internen Familien-Duell möglicherweise erfolgreicher hervorgehen.
Auf einem anderen Feld hat Wiegert junior – mit 33 derzeit nicht nur jüngster  Trainer in der als stärkste Liga der Welt bezeichnete Bundesliga, sondern auch jüngster Coach des SCM seit der Wende überhaupt – mit dem Vater vor knapp einem Jahr schon gleichgezogen: Er folgte ihm in die „Hall of Fame“ des Klubs. Eine kleine Episode am Rande: Als im Dezember Manager Marc Schmedt Bennet das Trainer-Angebot machte, musste der sich ganz schnell entscheiden. Also tat er es, ohne ausdrücklich den Rat seines Vaters einzuholen. Bennet lacht heute: „Vielleicht wäre er ja gern gefragt worden. Aber ich bin 33. Da sollte ich schon in der Lage sein, eine solche Entscheidung  selbst zu treffen.“
Seit zwei Wochen steht  Wiegert nunmehr mit seinem Team in der Vorbereitung auf den zweiten Teil der Saison, der am 10. Februar daheim mit dem Ost-Derby gegen Aufsteiger DHfK Leipzig beginnt. Bei allen Rückschlägen der Vergangenheit: Noch tanzt der SCM auf drei Hochzeiten – in der Bundesliga, im Europapokal (Start der Gruppenphase am 14. Februar in der Getec-Arena gegen das dänische Spitzenteam Aalborg) und im Final Four im deutschen Pokal. Doch die  Ehrlichkeit gebietet es, in der Liga angesichts des großen Abstands zu den Plätzen eins bis fünf  keinen hochfliegenden Plänen mehr  nachzuhängen.
Viel Zeit hat der Neue nicht, der Mannschaft  in der mit einem Monat nur knapp bemessenen Vorbereitungsphase seinen Stempel aufzudrücken. „Veränderungen brauchen Zeit“, weiß er. Und die hat er nun mal nicht ausreichend. „Fakt ist: Wir müssen die wenige Vorbereitungszeit effektiv und super nutzen. Das muss passig sein! Aber ich kann weder hexen noch zaubern, auch wenn ich versuchen werde, noch mehr meine Spielphilosophie reinzubringen.“ Was darunter zu verstehen ist, erläutert er so: „Im Prinzip ist es das, was den Magdeburger Handball über Jahrzehnte hinweg auszeichnet: Aus einer stabilen Deckung heraus, mit zwei guten Torhütern dahinter, Tempohandball spielen. Das habe ich zuletzt doch ein wenig vermisst.“
Andererseits zeigt sich Wiegert „ziemlich überrascht“, wie gut die unter Sveinsson  des Öfteren gescholtene Abwehr funktioniert. „Sie stand in den ersten vier Partien stabil, das eins gegen eins und auch das Spiel mit dem Torhüter war okay. Unser Problem ist vielmehr der Angriff. Da kommen wir nicht auf den Punkt, da lassen wir zu viele Chancen liegen und bringen die individuellen Stärken noch zu wenig zum  Tragen.“
Eines kann der Neue, so betont er jedenfalls,  seinen Schützlingen nach den bisher absolvierten Trainingseinheiten ebenfalls nicht absprechen: mangelnde Einstellung. Ein Autoritätsproblem, das einige Beobachter aufgrund seines Alters befürchteten, sieht  er gleichfalls nicht: „Nein, absolut nicht. Eher das Gegenteil ist der Fall. Mit einigen habe ich noch zusammen auf der Platte gestanden. Das sehe ich schon eher als Vorteil. Ich kenne sie, weiß, wie sie ticken, wie man sie anfassen sollte.“ Generell hält er nichts von der Frage alt oder jung: „Es gibt nur gut oder weniger gut.“ Deshalb sei er dem Verein auch dankbar, dass er ihn trotz des jungen Alters die Aufgabe anvertraut hat: „Ich sage, man sollte alle Möglichkeiten nutzen, die einem geboten werden. Deshalb habe ich mit meinem Ja keine Sekunde gezögert.“ Obwohl er noch vor zwei Jahren mit Nachdruck gesagt hatte, das „Haifischbecken Bundesliga ist nichts für mich“.
Als er im Dezember in einer für den Verein sehr schwierigen Situation dem  SCM spontan  sein Wort gab, ging er zunächst einmal von einer Frist bis Saisonende aus.  „In dem Geschäft“, sagt er heute, „ist der Erfolg das stärkste Argument. Dafür werde ich alles, was in meiner Macht steht, geben.“ Der nachfolgende Satz liest sich wie eine Kampfansage – und ist wohl auch so gemeint: „Mein Ziel ist es, dem Verein die Entscheidung, ob es mit mir weitergeht und man sich nach einem neuen Coach umsieht, so schwer als möglich zu machen.“
Rudi Bartlitz