Der Osten kommt gewaltig

20150909_HSI_DHfK-SCM_7Nicht nur im Fußball, zumindest in Liga drei, macht der Osten derzeit gehörig von sich reden. Auch im Handball läuft eine richtige Welle Ost durchs Land.

Von Rudi Bartlitz

Drei Klubs aus den neuen Ländern mischen in der Bundesliga mit – so viele wie noch nie in der nunmehr 50jährigen Geschichte der deutschen Eliteklasse.

Neben dem Traditionsteam SC Magdeburg, das der höchsten Liga seit 1991 ununterbrochen angehört, schafften im Sommer der ThSV Eisenach und erstmals der SC DHfK Leipzig den Sprung nach ganz oben.
Während vielerorts der Aufschwung Ost bestaunt wird, stellt  dies für Liga-Chef Frank Bohmann keine allzu große Überraschung dar. Der Handball dort, so Bohmann, sei immer vital geblieben, „das Gefälle im Handball war nie so groß wie im Fußball“. Außerdem gebe es im Osten eine sehr gute Nachwuchsarbeit. Bohmann will deswegen nun auch nicht von einer Wiederauferstehung des Handballs im Osten reden – er hält ihn längst sogar für so stark, dass er ihm bald einen großen Coup zutraut. Bohmann meint damit den SC Magdeburg, der in der vergangenen Saison Bundesliga-Vierter war und im DHB-Pokal erst in einem dramatischen Finale nach Siebenmeter-Schießen der SG Flensburg-Handewitt unterlag. „In ein, zwei Jahren“, sagte Bohmann der „Frankfurter Allgemeinen“, „werden die Magdeburger um die Meisterschaft mitspielen.“
Als in der vergangenen Woche in der Arena am Waldplatz nun wieder das erste Ostderby zwischen Leipzig und Magdeburg – nach 24 Jahren Pause – über die Bühne ging, deutete allerdings angesichts der Magdeburger Niederlage (25:26) herzlich wenig darauf hin, dass Bohmanns Prognose von hohem Wert sei. Sicher, das Handball-Herz Ost feierte. Und noch mehr feierten die Fans der Messestadt: Schließlich gelang dem Underdog in dem Duell David gegen Goliath gleich ein sensationeller Sieg. Riesen-Jubel auf der einen Seite, betretenes Schweigen und blasse Gesichter auf der anderen.
Die Gründe für den (sehr späten) Handball-Aufschwung in Sachsen sind gar nicht so leicht zu definieren. Schließlich waren vor einem Vierteljahrhundert die Ausgangspositionen nahezu identisch. 1991, mit dem Ende der DDR-Oberliga, rangierten beide Teams ganz weit oben – auf den Rängen eins (SC Magdeburg) und drei (seit 1975 unter dem Namen SC Leipzig).  Beide waren seinerzeit von volkseigenen Großbetrieben großzügig gefördert worden. Doch die waren nun treuhänderisch abgewickelt. Während man an der Elbe unter Regie des umtriebigen Managers Bernd-Uwe Hildebrandt alles daransetzte, dennoch ein konkurrenzfähiges Team zu formieren (mit  zuweilen zweifelhaften und den Rechtsrahmen sprengenden Methoden, wie sich später herausstellte), setzte man an der Pleiße das Produkt Handball regelrecht in den Sand. Hildebrandt warb Sponsoren und knüpfte Kontakte in höchste Kreise der  Politik, in Leipzig betätigte man den Schalter – und ließ die Lichter ausgehen.
Erst 2007 besann man sich dort, inzwischen eine prosperierende Großstadt und in der wirtschaftlichen Leistungskraft  Magdeburg weit überlegen,  wieder auf den Männerhandball; die Frauen des HCL hatten es unterdessen bis in die Champions League gebracht. Unter Mithilfe des Ex-Magdeburgers Stefan Kretzschmar marschierten die Leipziger von der vierten Liga bis in die Bundesliga – und der exzentrische frühere Nationalspieler frohlockte: „Für mich ist ein Traum wahr geworden.“
Dennoch bleibt Magdeburg für Leipzig so etwas wie eine große  sportliche Vaterfigur. Nicht nur Handball-Ikone Kretzschmar wechselte einst vom SCM zum SC DHfK in den Aufsichtsrat, auch Trainer Christian Prokop sowie die Spieler Philipp Weber, Maximilian Janke, Felix Storbeck, Benjamin Meschke und Christoph Steinert verdienten sich ihre Sporen zunächst in Sachsen-Anhalts Metropole, einige von ihnen gingen hier aufs Sportgymnasium . Geschäftsführer Karsten Günther, so hört man, sucht durchaus öfters den Rat seines Magdeburger Kollegen. Manager Marc Schmedt: „Ich freue mich wirklich über den Leipziger Aufstieg. Das tut dem Osten gut, auch wenn wir jetzt direkte sportliche Konkurrenten sind. Man denke nur an die reizvollen Ostderbys.“
Und auch in der Vermarktung hilft ein Magdeburger: Der Unternehmer Dirk Roswandowicz, im Ehrenamt Präsident des Gesamtvereins SCM, steuert mit seiner Firma Screen Rent die Werbung auf den hochmodernen LED-Hallenbanden. Roswandowicz: „Wir kommen mit unseren Werbebanden jetzt bereits das dritte Jahr nach Leipzig zum Handball und sind sehr zufrieden mit der Zusammenarbeit. Geschäftsführer Günther musste seinen Sponsoren angesichts der Fußball-Konkurrenz von RB ja einiges offerieren.“
Der dritte im Bunde der Bundesliga, der ThSV Eisenach, versucht sein Glück nach mehreren Abstiegen aus dem Oberhaus diesmal mit einem Neun-Nationen-Team – und einem eigenwilligen Slogan: „Tradition bewahren heißt für uns, nicht um die Asche vergangener Erfolge zu sitzen, sondern das Feuer am Lodern zu halten.“ Die Thüringer mussten sich mächtig strecken, um überhaupt Handball am Ort anbieten zu können. Ihre Halle hatte zunächst nicht den Standards der ersten Liga genügt; erst nach dem Einbau einer provisorischen Zusatztribüne erhielten die Eise-nacher vorerst grünes Licht von der HBL. Sie hatten dafür, ohne Zuschuss von der klammen Stadt, 140.000 Euro aufbringen müssen. Ein enormer Kraftakt für einen Klub, der mit 1,85 Millionen Euro den kleinsten Etat der Liga hat – und um das sportliche Überleben wird kämpfen müssen. Das gilt auch für die Leipziger, die ihr Budget um eine halbe Million Euro auf 2,2 Millionen Euro aufgestockt haben. „Unsere finanzielle Situation ist stabil“, sagt Kretzschmar, „wir haben kein Harakiri betrieben.“ Und zumindest in ihrer Stadt möchten Kretzschmar und Co. nun einen Platz (fast) an der Sonne einnehmen. „Ich traue uns zu“, sagt Günther, „dass wir uns perspektivisch als Nummer zwei etablieren können.“ Direkt hinter dem Fußball und RB Leipzig. Immerhin sind sie, den Liga-Status betreffend, den Rasenballern erst mal einen Schritt voraus.
In der Bundesliga selbst will man Stück für Stück den Abstand zu Magdeburg verringern. Mit dem Sensationserfolg der vorangegangenen Woche scheint  dies zunächst auch gelungen. Wenn da nicht die desaströse Vorstellung des Ost-Primus gewesen wäre, der vorübergehend viele Parameter verschoben hat. Experten rätseln. „Ich war entsetzt“,  sagte etwa Uwe Jungandreas, der einst beide Vereine trainierte.  „Warum sich Magdeburg von Leipzig so beeindrucken ließ, weiß ich auch nicht. Ich hätte gedacht, die Jungs kommen nach der unglücklichen Heimniederlage gegen die Rhein-Neckar Löwen mit Wut im Bauch nach Leipzig. Das ist aber nicht passiert. Das sah beim SCM kraftlos, mutlos, teilweise ängstlich aus. Es war keine Dominanz einer Spitzenmannschaft gegen einen Aufsteiger da. Komisch.“ Der Coach weiter: „Der Sieg im ersten Spiel gegen den BHC war auch nicht riesig. In Lübbecke war es am Ende noch glücklich gewonnen. Gegen die Löwen war die Abwehr stark, im Angriff lief es aber nicht rund. Jetzt die unnötige Niederlage in Leipzig. Beim SCM passt vieles noch nicht.“ Wo der Mann recht hat, hat er recht.