Gestörte Blutbildung mit schwerwiegenden Folgen
von Jacqueline Heß
Die Polycythaemia vera (kurz „PV“) ist eine relativ seltene, bösartige Bluterkrankung, die zu den sogenannten chronisch myeloproliferativen Neoplasien zählt. Bei der PV ist die Zahl der roten Blutkörperchen (Erythrozyten) aufgrund einer Überproduktion deutlich erhöht.
„Die Patienten leiden oft unter einem breiten Spektrum von schwerwiegenden Symptomen, die sich mit fortschreitendem Krankheitsverlauf meist verschlimmern. Zu diesen gehören u.a. Erschöpfung (Fatigue), die mitunter jede Aktivität zur Belastung werden lässt.
Zusätzlich liegt insbesondere in späten Krankheitsstadien eine ausgesprochene Entzündungskonstellation – ein sog. Inflammationssyndrom – vor. Dieses besteht aus brennendem Juckreiz, Fieber, Nachtschweiß, und Auftreten von Entzündungsmarkern im Blut. Weitere Symptome können sein: Konzentrationsstörungen, Schlaflosigkeit, Kopfschmerzen sowie teils eine starke Vergrößerung der Milz, verbunden mit Oberbauchschmerzen. Gerade zu Beginn sind die Symptome relativ unspezifisch, weshalb sie oft nicht bemerkt oder falsch zugeordnet werden“, so Prof. Dr. Thomas Fischer, Direktor der Universitätsklinik für Hämatologie und Onkologie Magdeburg.
Ein charakteristischer Laborbefund bei der PV ist, dass der Anteil der Erythrozyten am Gesamtvolumen des Blutes (sog. Hämatokrit-Wert) bei diesen Patienten erhöht ist. Der Hämatokrit ist ein Gradmesser für die Zähflüssigkeit des Blutes und bei einem erhöhten Hämatokrit-Wert kommt es zu einer Häufung von Thrombosen (Blutgerinnseln), Herzinfarkt und Schlaganfall. Die Krankheitslast schlägt sich nicht nur in der Symptomatik nieder, sondern wirkt sich auch auf Lebensqualität, Alltagsaktivitäten und Arbeits-/Leistungsfähigkeit aus. Die Betroffenen bringen diese Symptome in der Regel nicht mit dieser Erkrankung in Verbindung, da diese selten auftritt und daher wenig bekannt ist. Gefährlich an dieser Krankheit ist, dass sie in einigen Fällen das Auftreten von Folgeerkrankungen, wie z. B. die sekundäre akute Leukämie begünstigt, die durchaus zu einer drastischen Lebensverkürzung führen können.
Ursache der Polycythaemia vera ist eine gestörte Blutbildung, die unter anderem zu einer Überproduktion von Erythrozyten führt. Prof. Fischer: „In unserer Klinik beginnt die Diagnostik zunächst damit, dass die Symptome erfragt werden und eine körperliche Untersuchung erfolgt. Mittels Gen-Diagnostik wird dann geprüft, ob eine Veränderung (Mutation) im sogenannten JAK2-Gen vorliegt und über das Blutbild und das Knochenmark werden u.a. die Blutplättchenzahl, die Anzahl roter und weißer Blutkörperchen und der Hämatokrit-Wert bestimmt. Aufgrund des unspezifischen Beschwerdebildes bleibt die PV vor allem in der frühen Phase oft unerkannt. Das Alter bei Diagnosestellung beträgt meist 60 bis 65 Jahre. Oft führen erst Folgekrankheiten zu einer Zufallsdiagnose.“
Die erste Wahl bei der Therapie ist der wiederholte Aderlass, wobei dem Patienten bis zu 500 Milliliter Blut abgenommen werden. Weiterhin erfolgt eine medikamentöse Therapie mit niedrig-dosierter Acetylsycylsäure (ASS). Aktuelle Therapien zielen aufgrund des hohen Risikopotenzials insbesondere auf die Reduktion des Thromboembolie-Risikos ab, indem man den Hämatokrit-Wert auf unter 45 Prozent senkt. Die Verbesserung der Lebensqualität durch Beseitigung oder Linderung belastender Symptome stellt einen weiteren wichtigen Aspekt der Behandlungsstrategie dar.
„Betroffene können mit einer komplexen Symptombelastung konfrontiert sein, die auch psychosoziale Folgen nach sich zieht. Daher bieten wir für Betroffene und Angehörige eine Sprechstunde im Bereich Psycho-Onkologie in unserer Klinik an. Diese liefert einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Lebensqualität. Die Polycythaemia vera wird vor allem hinsichtlich der Symptomlast oft verkannt und verdient mehr Aufmerksamkeit mit dem Ziel einer möglichst frühzeitigen Diagnose und adäquaten Therapie. Ein verstärktes Bewusstsein für dieses Krankheitsbild sowie eine optimierte Kommunikation zwischen Arzt und Patient sind notwendig, um die effiziente Behandlung der PV sicherzustellen. Im Gesundheitscampus ´Immunologie, Infektiologie und Inflammation (GC-I3)“ der Medizinischen Fakultät der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg wird diese Erkrankung schwerpunktmäßig erforscht“, so der Klinikdirektor.