Professor Matthias Puhle – langjähriger Direktor des Museums, dann im Kultusministerium tätig – ist im ersten Jahr Magdeburgs Beigeordneter für Bildung, Kultur und Sport. Birgit Ahlert unterhielt sich mit dem Historiker über Pläne und Herausforderungen in dem Amt, das sein Vorgänger fast 20 Jahre prägte.
Herr Professor Puhle, Sie sind ein gutes halbes Jahr im Amt – wie ist Ihr erstes Resümee?
Sehr positiv. Ich habe mich schnell zuhause und akzeptiert gefühlt. Die Stadträte und Beigeordneten kannten mich, ich war ja 17 Jahre Stellvertreter von meinem Amtsvorgänger Dr. Koch. Es gab keine große Notwendigkeit der Eingewöhnung – der Einarbeitung schon. Schule und Sport sind ja Bereiche, die ich zuvor nicht betreut habe, auch Kultur in dieser Breite nicht, wobei ich es in den zwei Jahren Tätigkeit im Ministerium gelernt habe, die eigenen Vorlieben zurückzustellen und die verschiedenen Formen der Kultur von Literatur über bildende Kunst bis hin zu Archäologie, Theater, Musik kennenzulernen und es interessant zu finden. Von Dr. Koch habe ich ein sehr gut bestelltes Feld übernehmen können und war in den ersten neun Monaten noch in keine großen Kämpfe verwickelt. Bei vielen Fragen hat es Konsens gegeben, bei anderen konnten wir uns nicht durchsetzen, wie bei der Öffnung der Schulbezirke. Anderes ist auf einem guten Weg, wie die Förderschule für Körperbehinderte. Wir hoffen, dass sich das Land im Herbst dem Kompromiss anschließt, dass sich die Landkreise mit Magdeburg zusammenschließen, um eine neue Schule zu bauen, deren Kapazität ausreicht, um alle Schüler mit körperlichem Handicap unterzukriegen. Zirka 30 Kinder aus den anderen Landkreisen gehen hier zur Schule, das kann Magdeburg nicht alleine tragen. Die Schule platzt aus allen Nähten.
Das ist seit langem ein Problem. Wo soll die neue Schule gebaut werden?
Das ist noch nicht 100-prozentig sicher. Wir haben einen Standort im Blick, in der Nähe der Universitätsklinik. Wichtig ist die Nähe zu einer der großen Kliniken, da im Notfall schneller Transport ins nächste Klinikum notwendig wird. Das muss gewährleistet sein.
Welche speziellen Ziele haben Sie sich gestellt, welche Herausforderungen im Blick?
Natürlich die Kulturhauptstadt-Bewerbung und das Dommuseum. Am 8. Oktober sind beide Drucksachen zur Entscheidung im Stadtrat. Daraus ergibt sich die Weichenstellung für die nächsten fünf Jahre und darüber hinaus.
Was muss Magdeburg tun, damit die Kulturhauptstadt-Bewerbung erfolgreich ist?
Zunächst schaffen wir mit dieser Drucksache die Grundlagen, um ein dreiköpfiges Organisationsbüro einrichten zu können. Das soll im Frühjahr 2016 tätig werden. Wir brauchen eine Geschäftsstelle, die ständig an diesem Thema arbeitet, direkt der Stadtverwaltung zugeordnet. Ab 2020 wird es eine andere Organisationsform geben, eine Art Kulturhauptstadt GmbH. Ein großes Unternehmen, wie wir es in anderen Städten gesehen haben, wie in Breslau, das nächstes Jahr Kulturhauptstadt ist.
Aber erstmal müssen wir das Ziel erreichen. Dafür haben wir ein Beraterteam aus Essen engagiert – einen Professor der Folkwang Universität und eine Marketingexpertin, die maßgeblich mitgewirkt haben bei der Kulturhauptstadt „Ruhr 2010“, und einen Experten aus England, einer der Kreativdirektoren 2008 für Liverpool. Sie sind mit den Gepflogenheiten vertraut, da sie bereits für andere Städte wie Plovdiv arbeiten. Sie haben die Netzwerke, die man braucht, und werden unsere Dialogpartner sein, damit wir nicht am Thema vorbei arbeiten. Es nützt alles nichts, wenn man nicht zielgenau auf die zu erwartenden Fragen und Themen bei der Jury vorbereitet ist. Da können wir noch so viel Begeisterung entfacht, noch so schöne Projekte gestartet haben… Man muss sich das vorstellen wie ein Casting: Wir stellen uns eine Stunde lang einer 12-köpfigen Jury in Berlin und genau auf diese eine Stunde kommt es an. Da muss alles stimmen. Bis zur Fertigkeit, sich im Englischen auszudrücken und auf kritische Fragen zu reagieren. Je nachdem, wie man in dieser Stunde drauf ist, entscheidet sich die Arbeit von fünf Jahren. Bis auf zwei bis vier Städte werden alle aussortiert. Bleiben wir dabei, reichen wir im Frühjahr 2020 eine neue Bewerbungsschrift ein, überarbeitet nach den Anmerkungen der Jury. Dann folgen Besuche der Jury und schließlich eine erneute Anhörung, die die Entscheidung bringt.
Das allein reicht ja nicht. Magdeburg muss auch etwas vorweisen können …
Ja, natürlich. Wir haben ein Grundkonzept, das sich nach den Vorgaben richtet. Die Bewerbung enthält sechs große Themenfelder: Nachhaltigkeit, Stadtgesellschaft, Unterstützung durch Verwaltungen und Medien, Kulturszene vor Ort, kulturelles Erbe und die Frage, ob die Stadt organisatorisch in der Lage ist, ein solches Event durchzusetzen.
Wir werden auf verschiedenen Ebenen Kunst- und Kulturprojekte fördern – mehr als bisher. Das geht von Jugendkultur wie Graffiti-Kunst bis zum Telemann-Jahr 2017 und einer Großausstellung zum Magdeburger Recht 2019. Für 2018 ist eine große Aktion geplant mit Indoor- und Outdoor-Kunstwerken, regionale Künstler wollen wir verstärkt fördern und sie animieren, sich einzubringen. Auf vielen Ebenen wollen wir die Stadtgesellschaft aktivieren, viele Ideen zu entwickeln. Wir sind auf dem Weg, dies zu tun. Das Forum Gestaltung hat ja hier schon Vorarbeit geleistet seit 2011 und eine Grundlage gelegt. Es gibt Gespräche mit den Hochschulen und internationale Kontakte. Es geht auch darum, dass Magdeburg internationaler wird, sich die Stadt mehr öffnet für Europa und die Welt. Bei aller Belastung und Diskussion um Flüchtlinge – Magdeburg hat die Chance, sich zu internationalisieren. Momentan haben wir wenige Mitbürger mit Migrationshintergrund, drei Prozent. Manche sagen, das ist gut so – ich sage, da fehlt uns etwas. Sie geben uns eine demografische Chance und vergrößern unsere Chance, Kulturhauptstadt Europas zu werden. Denn eine Kernfrage ist: Wovon kann Europa profitieren, wenn Magdeburg Kulturhauptstadt wird? Deshalb müssen wir international denken, mit europäischem Bezug. Blicken wir in die Geschichte: Magdeburg ist eine Stadt der Europäisierung von der ersten Stunde an. Sie ist unter Karl dem Großen erstmals erwähnt und unter Otto dem Großen Kaiserstadt und Erzbistum geworden. Wenn ein Kaiser sich eine Stadt als Grabstätte auswählt, ist das eine Auszeichnung. Wie die Historie heute noch die Menschen bewegt, erlebten wir bei der Editha-Ausgrabung 2009. Magdeburgs historische DNA ist viel europäischer geprägt, als wir das heute spüren. Deshalb haben wir das Magdeburger Recht als neues Thema mit aufgenommen. Bis zum 15. Jahrhundert hatten 1.000 Städte dieses Recht übernommen, in Kiew sind die Menschen dafür sogar auf die Straße gegangen. Sie wussten wohl nicht, wo Magdeburg ist, aber es war ein Gütesiegel, stehend für Freiheit, Recht und Wohlstand. Das sind ganz moderne Werte und die Verbindung zur Gegenwart. Wir wollen daraus ein europäisches Kulturmanifest entwickeln, eine Vision für das 21. Jahrhundert. Dazu planen wir eine internationale Performance mit Magdeburgs Partnerstädten.
Zweite Herausforderung ist das Dommuseum.
Wir wollen es 2018 eröffnen, als Vervollständigung des Museumsquartiers zwischen Kloster, Dom und Kulturhistorischem Museum. Wir sind auf einem guten Weg, haben eine Kooperationsvereinbarung der Stadt mit Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie und der Stiftung Dome und Schlösser Leitzkau. Im Stadtrat werden wir einen genauen Vorschlag präsentieren, wie dieses Dommuseum umzusetzen ist. Auf 2.000 Quadratmetern soll das Museum entstehen, mit 700 Quadratmetern Ausstellungsfläche. Jetzt muss die Entscheidung getroffen werden, dass wir die Gelder dafür erhalten. Wenn wir die Autorisierung des Stadtrates haben, können wir das Vorhaben umsetzen.
Was sind Magdeburgs kulturelle Stärken und Schwächen?
Stärken gibt es im Bereich Theater / Museen / Musik, es sind die Angebote der freien Theater, die soziokulturelle Zentren, die hoch interessant und gut frequentiert sind, große Lebendigkeit bringen. Was die Schwäche angeht: Durch die Kriege haben wir viele Schätze verloren, wie den Dom- und den großen Gemäldeschatz des Museums. Manches ist unbringbar, anderes wäre wiederbeschaffbar mit viel Geld, das wir aber nicht haben. Das sind Lücken, die können wir nicht mehr schließen. Das schmerzt und schmälert vielleicht die kulturelle Ausstrahlungskraft Magdeburgs. Aber es schmälert nicht unsere Chance als Kulturhauptstadt.
Sie leben seit 1991 in Magdeburg. Wie hat sich die Stadt seitdem verändert?
Sie hat sich natürlich vom Bauzustand her gravierend verändert. Wunderbar, wie historische Bausubstanz wie die großen Siedlungen der 1920er Jahre saniert worden sind. Grandios ist die Entwicklung des Gebiets entlang der Elbe. Ich freue mich über jedes Café, jedes Restaurant. Es ist heute viel mehr Leben in der Stadt, Leben auf der Straße. Es muss noch mehr werden, aber wir haben nicht mehr das Gefühl, dass um 18 Uhr die Bürgersteige hochgeklappt werden. Das hatte ich in den ersten Jahren ganz stark. Die Szene um den Hassel, die Kunstszene in Buckau, die Lebendigkeit und Offenheit hier … Die hat mich an Magdeburg von vornherein fasziniert. Wie die Bereitschaft, Hinzugezogene, dazu gehöre ich als gebürtiger Braunschweiger ja auch, danach zu beurteilen, wie man anpackt und sich einbringt in die Stadt. Das hat mir immer gut gefallen. Und ich hoffe, dass Magdeburg sich diese Offenheit erhält. Das ist eine Stärke, die es in anderen Städten so nicht gibt. Das hat mir von vornherein gefallen. Der berühmte grobe, unfreundliche Magdeburger ist mir nie begegnet.