Prophezeiung aus dem Raub der Heiligen Lanze.
Ach du heiliger Bimbam, jetzt ist die Heilige Lanze aus dem Dom weg. Zumindest deren hochwertige Kopie. Und der Diebstahl geschah auch noch am Tag vor Karfreitag. Es scheint nichts mehr heilig zu sein. Gut, man kann einwenden, dass wertvolle Gegenstände – selbst solche, die als heilig tituliert sind – schon immer begehrte Trophäen für Spitzbuben waren.
Ausgeraubte Gräber und fürstliche Schätze fielen in der Geschichte oft Verbrechern in die Hände. Was soll also die Aufregung über einen Kopie-Diebstahl? Vielleicht kann der dreiste Raub aus dem Dom aber als Anhaltspunkt für eine Veränderung im Kriminalitätsgeschehen herhalten. Wenn man die Polizeimeldungen der vergangenen Wochen verfolgt, gewinnt man den Eindruck, als würden Schwellen für Anstand sowie Respekt vor Gesundheit und Privatsphäre gesunken sein. Da wird ein junges Pärchen beim Abendessen in der Wohnung von Maskierten ausgeraubt. Von Gewalt gegenüber Menschen mit offensichtlichem Migrationshintergrund ist noch häufiger zu hören. Diebstahls- und Einbruchsdelikte gehören ohnehin zur Tagesordnung. Nun sind Eindrücke noch keine Tatsachenstatistik, aber ein Sicherheitsgefühl eben etwas, was im Kopf entsteht. Genauso wie sinkende Hemmschwellen hin zu kriminellen Handlungen im Geiste fallen. Amerikanische Psychologen hatten zu Verwahrlosungstendenzen vor Jahren bereits ein Experiment gemacht. In einer gutsituierten Wohngegend wurde ein Auto abgestellt. Zunächst passierte nichts. Als aber von den Wissenschaftlern die Reifen zerstochen wurden, nahm die Zerstörung ihren Lauf. Bald waren die Scheiben eingeschlagen und der Anblick des Wagens glich nächstens einem Schrotthaufen. Damit einher ging der Trend zur stärkeren Verschmutzung der Umgebung und im Viertel kam es häufiger zu Vandalismus. Asoziales Verhalten nimmt bei sichtbaren Zerstörungsspuren im jeweiligen Lebensumfeld von Menschen zu. Bisherige Linien zur Einhaltung von Ordnung und Sicherheit werden schneller überschritten. Man kann aus solchen Untersuchungsergebnissen ableiten, dass zunehmende Kriminalität, vor allem Gewalttaten selbst ein Katalysator für ihren weiteren Anstieg sein werden. Insofern müssen sich Zeitgenossen, die ein gewaltsames Vorgehen gegen wen auch immer fordern, gefallen lassen, dass sie Mitproduzenten von Verrohungstendenzen sind, auch innerhalb der eigenen Gesellschaft. Sicherheit ist nicht nur das Feld von Polizei und Strafverfolgungsbehörden, sondern es gründet sich vielmehr darauf, wie sich die Mehrheit der Bürger an Normen hält. Anderenfalls ist es irgendwann mit der heiligen Sicherheit vorbei. Bleibt zu hoffen, dass der Lanzenklau im Dom keine Prophezeiung eines gesellschaftlichen Trends für wachsende Kriminalität ist, immerhin werden der Lanze magische Kräfte zugeschrieben.
Thomas Wischnewski