Die größte Barriere im Leben ist der eigene Kopf. Die Tatsache ist leicht dahin gesagt und wird wohl selten abgestritten. Doch erst, wenn wir stolpern, werden die gedanklichen Hürden wirklich bemerkt. Es sind die unzähligen Einstellungen, Verhaltensweisen und die Grenzen unseres Wissens, die Mauern im Kopf errichten.
Und dabei kann eine Hürde auch eine Wissenslücke sein oder eine offensichtliche Tatsache, die wir nur zu gern verdrängen, weil wir an die Misslichkeiten des Lebens nicht denken wollen.
So finden wir uns beispielsweise ganz selbstverständlich in die Gegebenheiten unseres Lebensumfeldes ein, nutzen die Bedingungen des Wohnraumes und der Umgebung, wie diese geschaffen wurden. Gebaut wurde schon immer für die sogenannte Normalität. Häuser und Wohnungen sind für den mobilen Menschen errichtet. Erst, wenn körperliche Defizite auftreten – seien es welche, die infolge von Unfällen plötzlich auftreten oder solche, die der Altersprozess mit sich bringen – kann alles, was bisher normal war zur unüberwindlichen Hürde werden. Selbst Türschwellen oder Teppichkanten qualifizieren sich von Stolperfallen zu schwierigen Hindernissen.
Die Altersentwicklung unserer Gesellschaft ist uns bewusst. Der steigende Anteil alter Menschen geht unweigerlich mit einer wachsenden Immobilität einher. Die Wohnungsbaugesellschaft Magdeburg, der größte Vermieter der Stadt, registriert diesen Trend in der Mieterschaft. Allein 2014 leisteten Mitarbeiter in den Kundenzentren 166 Beratungen für bauliche Anpassungen in Wohnungen. Daraus wurden 60 altersgerechte Umbauten. Pflegekassen unterstützen die Veränderungen auf Antrag mit Zuschüssen. Monique Wagner vom sozialen Management der Wobau weiß, dass das Unternehmen mit dieser Thematik verstärkt konfrontiert werden wird. Alle heutigen Bauvorhaben der städtischen Firma werden deshalb unter den Gesichtspunkten altersgerechtes Wohnen und Barrierefreiheit geplant. Dennoch wird der gesamte Wohnungsbestand in Magdeburg nicht mit der rasanten demografischen Entwicklung verändert werden können. Häuser werden nicht für den Zeitraum von 30 Jahren gebaut.
Irgendwann wird jeder vom natürlichen Lauf der Dinge eingeholt. Selbst Häuslebauer denken beim Bau ihres Eigenheims selten an die dritte Lebensphase. Mehrheitlich richtet man sich für das aktive Leben ein und baut später alles um oder muss das Haus gar aufgeben. Verdrängung und Wissenslücken sind hier die eigentlichen Hürden im Kopf. In der Landeshauptstadt gibt es auch eine größere Anzahl an Gegnern, die den Ausbau des Straßenbahnnetzes kritisieren. Vielleicht seien sie daran erinnert, dass die Fähigkeit, ein Auto lenken zu können, irgendwann schwindet. Spätestens dann werden sie für jede Mobilitätsmöglichkeit innerhalb der Stadt dankbar sein. Es geht eben nicht nur darum, Behinderten eine aktive Lebensgestaltung zu ermöglichen, sondern auch der älteren Bevölkerung Chancen zu erhalten, kommunikativ zu bleiben oder Wege zur Versorgung oder für die Gesundheit zu finden.
Im Prinzip sind unsere schlichten Denkbarrieren oft sehr traditioneller Natur. Sie werden eben in der Vermittlung des sogenannten Normalen gehegt und weitergetragen. Aber auch Vater Staat schafft Ungleichgewichte und gesetzliche Barrieren, die zu Kopfschütteln führen können. So wird beispielsweise einem freien Träger für die Errichtungen eines barrierefreien Pflegehauses derzeit die Genehmigung von der Sozialagentur Sachsen-Anhalt versagt, weil die kalkulierte Warmmiete mit 12,15 Euro pro Quadratmeter für behinderte Menschen zu hoch angesetzt wurde. Die Planungen sehen dabei eine Appartementgröße von rund 16 Quadratmeter plus Bad vor. Für Sicherheitsverwahrte schreibt das Gesetz im Gegensatz dazu 20 Quadratmeter zuzüglich Nasszelle vor. Die Warmmiete für Flüchtlinge, für die wir Hilfe leisten, liegt in Magdeburg derzeit bei 13,33 Euro pro Quadratmeter. Die Frage muss lauten: Welches sind die Barrieren, aufgrund derer Menschen, die eine Unterstützung der Gemeinschaft brauchen, mit unterschiedlichem Maß gemessen werden.
Jedes Hindernis, das uns irgendwann begegnet – egal, ob ein bauliches, gesetzliches, kulturelles oder soziales – ist durch Menschen entstanden und hat sich in den Köpfen eingenistet.
Thomas Wischnewski