Wenn das meine Großmutter noch erlebt hätte, möchte ich ausrufen. Doch sie kam leider nicht in den Genuss eines langen Lebens. Nach dem heutigen Stand der Medizin hätte sie sehr wahrscheinlich nicht mit 72 Jahren sterben müssen. Die durchschnittliche Lebenserwartung von Frauen lag 2012 bei 83,05 Jahren, die der Männer bei 78,13 Jahren. Im Land leben derzeit rund 130 Menschen, die bereits das 100. Lebensjahr überschritten haben. Nun muss und will gar nicht jeder 100 werden. Aber etwas anderes wird im Alltagsbild sichtbar: Senioren jenseits der 65 prägen mit ihren selbstverständlichen Aktivitäten das Leben.
Als ich vor über 34 Jahren mit Erreichen der Volljährigkeit begann, meine Nase in Kultur und Nachtgeschehen zu stecken, war es eine Seltenheit dort Menschen im Rentenalter anzutreffen. Selbst in meiner 70-jährigen Großmutter erkannte ich schon eine Greisin. Heute starten in dieser Altersphase Senioren noch einmal richtig durch. Viele Vereine und ehrenamtliche Aufgaben würden ohne aktives Einmischen der Generation 65+ kaum funktionsfähig sein. Die so genannten Alten sind in großer Zahl neugierig, unternehmungslustig und teilweise richtig „hipp“. Im Tourismus stellen sie einen gewaltigen Kundenanteil. Man könnte gar meinen, sie halten den Reisemotor am Laufen. Wer in das gesetzliche Rentenalter eintritt, nimmt sich plötzlich vor, die Welt zu entdecken. Der Boom der Kreuzfahrtschifffahrt wäre ohne die Möglichkeiten der heutigen Senioren sicher gar nicht denkbar.
Der Begriff „Alterspubertät“ wurde mittlerweile für diese völlig neue Generation erfunden. Er erklärt nur das umgekehrte Phänomen, wie Jugendliche nicht mehr zu Kindern gehören wollen, möchten Rentner eben gar nicht alt sein. Und im Vergleich zur Vitalität der Vorfahren vor über 30 Jahren müssen Worte wie „alt“ oder „Senioren“ vom Maßstab her völlig neu gedacht werden. 2014 studierten 14.200 Bürger ab 65 Jahren an deutschen Hochschulen. Statistisch wenden Menschen im Rentenalter pro Woche zwei Stunden für den Besuch kultureller Veranstaltungen auf oder gehen zum Sport. Fast 60 Prozent aller über 65-Jährigen verfügt über einen Internetzugang und ist mit der Welt vernetzt. Fitness und Gesundheit spielen eine überaus wichtige Rolle. Vital bleiben und am sozialen Leben teilnehmen, das ist sinnstiftend und schafft Zufriedenheit.
Vergessen darf bei allen positiven Effekten dieser neuen Aktiv-Generation nicht, dass eine offenbar wachsende Anzahl von Menschen im Rentenalter auf finanzielle Unterstützung angewiesen ist. 2013 erhielten 7.736 Rentner Zuschüsse als Grundsicherung. Davon sind 13 von 1.000 Menschen betroffen, weil deren Rente nicht ausreicht, um den Bedarf des täglichen Lebens zu decken. Außerdem klettert die Armutsgefährdung der Altersgruppe 65+. Zählte man 2005 noch 10,8 Prozent in diese Gruppe, so ermittelte man 2013 bereits einen Anteil von 14,2 unter den über 65-Jährigen. Die medizinische Forschung wird möglicherweise weitere Möglichkeiten eröffnen, das Leben zu verlängern. Auf der anderen Seite schlug die Barmer GEK gerade Alarm in Sachen Adipositas-Diagnosen. Der Krankenkasse zufolgen würden über 20 Prozent der Sachsen-Anhalter fettleibig seien. Der Anteil stieg innerhalb der vergangenen drei Jahre um über 3 Prozent. Solche Tendenzen können die Zunahme von Kreislauf-, Stoffwechsel- und Erkrankungen des Stützapparates fördern und einer steigenden Lebenswartung entgegenwirken. Offensichtlich besitzt der erreichte gesellschaftliche Wohlstand auch eine negative Seite. Wer weiß, ob die Vitalität, wie sie derzeit von Menschen im Rentenalter erlebbar ist, gleichermaßen in die Zukunft getragen werden kann? Unter solchen Umständen wäre es umso wichtiger, die vitalen „Alterspubertierenden“ in ihrer Vorbildwirkung zu stärken. Thomas Wischnewski