Lange Zeit beherrschte das „fahrende Volk“ die öffentlichen Plätze der Festungsstadt, bevor sich „stehende Bühnen“ in Magdeburg etablieren konnten.
Von Tina Heinz
Das Theater ist weder eine Schulstube noch ein Priesterseminar. Die Leut‘ sollen entweder lachen oder flennen. Oder beides“, lautet die Meinung des Schriftstellers Carl Zuckmayer über das Theater. „Die Leut‘“ sollen also gut unterhalten werden. Das galt auch schon lange vor Zuckmayers Tagen. In einer Zeit, nach dem Dreißigjährigen Krieg, als in Mitteleuropa das Leben stagnierte. Auch Magdeburg war schwer getroffen worden, erreichte seine ursprüngliche Einwohnerzahl von 30.000 aus den Anfängen des 17. Jahrhunderts erst wieder gegen 1790.
Krieg und Seuchen hatten viele mitteldeutsche Städte geschwächt und die Menschen sehnten sich nach Ablenkung vom tristen Alltag. „Das grausige Geschehen des Dreißigjährigen Krieges schreit ja geradezu nach Entschädigung durch das heiter gestimmte Spiel der Musen. In einer unordentlichen Welt gilt es eine anschaubare Ordnung zu errichten.“ Diese Zeilen stammen aus dem ersten Band „Theater in Magdeburg“ des Magdeburger Theaterkritikers Georg Friedemann Krusche, der als Stipendiat der Stiftung Kulturfonds am „Forschungsprojekt regionale Theatergeschichte“ des Kultusministeriums Sachsen-Anhalt mitgearbeitet hatte.
Täuschung, Verführung, Träume – das ist es, wonach sich das Publikum sehnte. Doch in einer kleineren Stadt wie Magdeburg lohnte sich eine feste Bühne damals nicht. „Fremdländische Komödianten“ stießen in das Vakuum, heißt es in Krusches Veröffentlichung. Vor allem Schauspieler aus England sorgten mit Stücken der elisabethanischen Bühne – etwa von Marlowe, Kyd oder Shakespeare – für Begeisterung. Doch unumstritten waren sie nicht. Als Vagabunden, als fahrendes Volk wurden die Komödianten oft verpönt. Zu groß war die Angst nach der Pest vor Verunreinigungen und erneuten Ausbrüchen von Seuchen. Mit der Herausgabe der amtlichen „Pestordnung“ von 1680 wurden sogenannte Pestgerichte ermächtigt, „starke Bettler und liederliche Gesinde“ zu entfernen.
Die Chancen des Schauspiels verschlechterten sich. Nur als Hofkomödianten, nur mit Spielerlaubnis durfte aufgetreten werden – bis es in der Mitte des 18. Jahrhunderts zu einem Paradigmenwechsel kam. Die Taktik vieler Schauspielunternehmen war es, sesshaft zu werden, denn das Theater galt nun als idealer Ort für die Propagierung bürgerlicher Ideale. Dennoch wurde 1776 die Gründung einer „stehenden Bühne“ durch den Magistrat im Herzogtum Magdeburg abgelehnt.
Erst ein Unglücksfall läutete den Wandel ein. Die behelfsmäßigen Bühnen, die beispielsweise in Gaststätten genutzt wurden, waren zu klein und zu unbequem. „Als bei einer Vorführung (…) im Gasthof Zum Blauen Hecht der Fußboden unter der Last der Zuschauer zusammenbricht, erkennt plötzlich selbst der Magistrat (…)“, wie Krusche schreibt, dass ein Umdenken notwendig ist. In der Nähe der Ratswaage wurde ein „auch als Konzertsaal zu verwendendes“ Schauspielhaus errichtet, das am 21. Februar 1795 mit Wolfgang Amadeus Mozarts „Zauberflöte“ eröffnet wurde.
Mit dem Aufschwung des geistigen Lebens schärfte sich auch der kritische Sachverstand der Theaterbesucher. Die Menschen sind enttäuscht vom politischen System, vom Alltag, ja von sich selbst. Sie „fliehen“ ins Theater, um der Realität zu entkommen. Obwohl der Zuspruch des Publikums wuchs, stand die Schauspielzunft in Magdeburg dennoch unter keinem guten Stern. „Wo in Hamburg die chancenreiche Weitläufigkeit des Areals ein hanseatisch-leichtes Lebensgefühl freisetzt, bedrückt in Magdeburg die dumpfe Enge von Festungsmauern. Wo in Leipzig großbürgerlicher Geist und potente Geschäftigkeit die Buch- und Messestadt durchpulsen, bevölkern in Magdeburg Offiziere, Krämer und Beamte das provinzielle Szenario. Alle Kunst wird ihnen nur dann wirklich wichtig, wenn sie Aussicht auf finanziellen Gewinn verspricht. Die in der restaurativen preußischen Kulturpolitik gespiegelte Geschichte des Magdeburger Theaters im 19. Jahrhundert ist darum zuallererst die Geschichte eines versagenden Bürgertums“, so Friedemann Krusche in seinem Werk.
Dennoch entstanden in dieser Zeit zahlreiche Bühnen in der Stadt, die – zwar nicht immer mit positiver Kritik – das Publikum unterhielten. 1796 wurde das Magdeburger Nationaltheater eröffnet, als erstes Vorstadt-Theater gilt das 1846 vor dem Ulrichstor errichtete Tivoli. „Das Tivoli ist ein Treffer ins Schwarze“, schreibt Krusche, „Im Handumdrehen wird die (…) Kleinkunstbühne zum Rendezvous der vornehmen und guten Gesellschaft (…). Die feinsten und intelligentesten Leute führen hier die elegantesten Toiletten aus.“ Aufgrund des Erfolges des Tivoli-Theaters wurde im Frühjahr 1849 ein zweites Haus auf dem Werder errichtet.
Elf Jahre später eröffnete mit dem Viktoria-Theater eine weitere Bühne auf dem Werder. Die beiden Häuser erfreuten sich auch aufgrund der behaglichen Ausflugsatmosphäre, die der grüne Stadtteil gewährte, großer Beliebtheit. Für die Belebung der Szene sorgte auch die Eröffnung weiterer „Etablissements und Liederhäuser“: das Coreum in Buckau, das Odeum auf dem Werder, die Wilhelma in der Neustadt und in Stadtfeld das Neue Sommer-Theater im Tiara-Park. Das wichtigste Theater in Magdeburg war bis 1944 das Stadttheater. Zu den weiteren bedeutenden städtischen Bühnen, die Sie auf den folgenden Seiten finden, gehörten neben dem Viktoria-Theater auch das Wilhelmtheater und das Zentral-Theater.