Entspannt in Bewegung

OLYMPUS DIGITAL CAMERADer Neutestamentler Dr. Hans Jochen Genthe, Autor populärwissenschaftlicher theologischer Bücher, Bibelübersetzer und Reisender auf den Spuren der Antike meint: „Ruhestand ist auf gar keinen Fall Stillstand.“

Eine neue Bibel-Übersetzung?

Es gibt die Luther-Übersetzung, die Jerusalemer Bibel, die Züricher Bibel, die Bibel in gerechter Sprache, die Gute Nachricht und so weiter. Wer braucht eine neue Übersetzung? Das hieße für Hans Jochen Genthe, die falsche Frage zu stellen.

Wofür brauche man diese Übersetzung, müsste es heißen: „So wörtlich wie möglich und so frei wie nötig“, beschreibt der Theologe und Übersetzer das Ziel dieser Arbeit, die er im Alter von 80 Jahren begonnen hat. Das bisherige Ergebnis ist auf www.bibelbuch.de nachzulesen. „Ich hatte während meiner Amtszeit bereits eine Rohübersetzung der Bibel angefertigt, sozusagen mein Arbeitsmaterial. Als ich 80 Jahre alt wurde, fasste ich den Entschluss, die Übersetzungen in eine entsprechende Form zu bringen. Man hat die Sprachen gelernt, weiß in der Materie Bescheid. Also wollte ich das auch umsetzen.“ Tag für Tag drei Stunden Übersetzungsarbeit folgten. Inzwischen ist das Neue Testament komplett übersetzt, Teile des Alten Testaments ebenso. „Zwischen der Bibel und ihren heutigen Lesern spannt sich nach Lessing der ‚garstige, breite Graben’ zwischen Text und Geschichte. Ich will allen, die das Bibelstudium interessiert, die aber des Hebräischen, des Aramäischen und des Griechischen nicht oder nicht hinreichend kundig sind, ermöglichen, diese Texte möglichst nah am Urtext zu lesen. Will man biblische Texte auslegen, reicht es eben nicht, Begriffe assoziativ auszulegen, man sollte dazu die genaue Bedeutung des Wortes kennen.“

Eine Frage der Verstehbarkeit

„Die Genthesche Übersetzung ist eine Protestübersetzung gegen die heute gebräuchliche Bibel im heutigen Deutsch. Biblische Texte gehen dem Leser nicht ein wie warme Butter. Wer das glaubt, befindet sich auf dem Holzweg. Luther hat weiland bewusst so übersetzt, dass die Leute beim Lesen innehalten, nachdenken sollen.“ Die Kritik von Walter Jens an der revidierten Luther-Übersetzung: „Wo Luther die Zitzen heraushängen ließ, ist Flaschenmilch abgefüllt worden“, die gilt erst recht für die gefälligen Übertragungen ins heutige Deutsch. Um seinen Leser mündig, also informiert zu machen, befleißigt sich Genthe mit Akribie auch um Einleitungen zu den Texten, um die Fußnoten. Hier liest man Zeile für Zeile, dass sich der Übersetzer Gedanken macht, wie er Leser und Text zueinander führen kann. „Ich will, auch um die Gefahr eines ungeschickten deutschen Satzbaus, den Leser so nah wie möglich an den Ursprungstext führen. Ich habe meinen Studenten früher auf den Weg gegeben: Man muss erst einmal durch eine Phase der Fremdheit gehen, ehe man den Bibeltext richtig versteht. Wer meint, die Bibel unmittelbar verstehen zu können, kann sicher sein, dass er sie missverstanden hat.“ Das zweite Buch Mose ist gerade fertig geworden und wird demnächst eingestellt. „Und dann geht es weiter, so lange der Herr will.“

Nebenbei ist Literatur wichtig

Für oda, die Literaturzeitung für Sachsen-Anhalt, sucht er derzeit gerade Luther-Zitate zum Thema Bergbau heraus. Im BuchVerlag für die Frau Leipzig erschien in dessen mini-Buch-Reihe ein Buch mit Luther-Zitaten, eingeführt auf Genthesche Art für den interessierten Leser. Das Büchlein wird bestens verkauft.

Magdeburger Begegnungen

„Zum ersten Mal im Magdeburger Dom war ich 1943 als Flakhelfer. Wir waren in Magdeburg-Rothensee stationiert.“ Später führten ihn die Wege immer mal wieder in die Stadt an der Elbe: In den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts als Leiter der Magdeburger Stadtmission, die damals noch in der Leiterstraße ihre Heimstätte hatte. Als Mitglied der Prüfungskommission der damaligen Kirchenprovinz Sachsen. Seit seiner Emeritierung lebt er im hessischen Eschwege, was den heute 89jährigen ehemaligen Dozenten der Erfurter Predigerschule nicht hinderte, immer mal wieder Magdeburg aus den verschiedensten Anlässen aufzusuchen.

Sardinien fehlt mir noch

Momentan stehen im Hause Genthe wieder mal Reisevorbereitungen an. „Mit fast 90 Jahren reise ich freilich nur noch in Begleitung. Mit meinem Sohn zusammen reise ich nächste Woche nach Sardinien.“ In den letzten Jahren gab es Reisen nach Attika, auf den Peloponnes, nach Griechisch-Makedonien, Rhodos oder eben auf Luthers Spuren nach Rom, über Florenz und Genua, Mailand etc. Es sind Reisen zu den Altertümern, die der über viele Jahre in der DDR tätige Pfarrer nun erstmals in Augenschein nehmen konnte.

Hans Jochen Genthe wurde 1927 in Mühlhausen in Thüringen geboren. Er ist ein deutscher evangelischer Theologe, Dozent für das Neue Testament, Kirchenhistoriker und Autor.

Hans Jochen Genthe wurde 1927 in Mühlhausen in Thüringen geboren. Er ist ein deutscher evangelischer Theologe, Dozent für das Neue Testament, Kirchenhistoriker und Autor.

Wie der Tag im Ruhestand?

„Die Übersetzungen mache ich entweder gleich vormittags oder am Nachmittag.“ Außerdem habe ich zumeist ein Thema, mit dem ich mich beschäftige. Das war eine Zeit lang Luther. Derzeit ist es die Antike. Ich lese jetzt die vierbändige Ausgabe der „Darstellungen zur Sittengeschichte Roms“ von Friedländer. Während meiner Amtszeit bin ich immer wieder Menschen begegnet, die sich ausschließlich mit ihrem Beruf beschäftigt haben. Dann kam die Rente. Und plötzlich hatte man nichts mehr. Niemand brauchte einen. Man hatte kein Thema, mit dem man sich beschäftigen konnte oder wollte. Wer handwerklich begabt war, der konnte seinem Nachbarn noch einen Gefallen tun. Aber sonst?“ Hans Jochen Genthe hat genug zu tun. Seine Stimme klingt am Telefon noch beinahe jugendlich. Nein, nach keinem Gespräch hatte ich bisher den Eindruck, dass er auf die Neunzig zugeht. Da steckt einer noch voller Entdeckerlust. Und dankt es seinem Sohn von Herzen, dass der das weiß und ihm hilft, dieser Lust zu frönen, wenn es ihm sicherer scheint, auf Reisen beispielsweise, die Hilfe des Sohnes auch in Anspruch nehmen zu wollen. Ludwig Schumann