Die Handballer des SC Magdeburg präsentieren sich seit 45 Jahren auf dem europäischen Parkett. Champions-League-Sieg 2002 als Krönung.
Von Rudi Bartlitz
Als die Handballer des SC Magdeburg am zurückliegenden Wochenende den Flieger ins spanische Granollers bestiegen, war es so etwas wie eine Reise in die Vergangenheit. Vor genau 39 Jahren hatten sich beide Teams schon einmal im Europapokal gegenübergestanden, seinerzeit im Cup der Pokalsieger. „Wir wurden von den Magdeburgern regelrecht zerstört“, erinnert sich Pep Blanchard, damals mit 18 ein blutjunger Spieler der Katalanen, heute der allgewaltige Macher bei BM Granollers. Auch in den Medien bekamen die Jungs von der iberischen Halbinsel ihr Fett weg. „Granollers in Stücke gehauen“ titelte die renommierte „El Mundo Deportivo“ nach dem 18:36-Desaster in der Gieseler-Halle. Beim Rückspiel sah es keinen Deut besser aus: Mit 22:31 unterlag der Titelverteidiger dem Team aus Alemania Oriental, so wurde die DDR in Spanien genannt, auch im Heimspiel.
Für den damals 19-Jährigen Kreisläufer Ingolf Wiegert war der Ausflug in die Stadt im Dunstkreis Barcelonas ein unvergessenes Erlebnis. “Für uns junge Leute war das in unserer ersten internationalen Saison eine unbezahlbare Erfahrung“, erinnert sich der einstige Kreisläufer an den Trip. „Mit diesen Partien gegen BM begann meine Karriere auf Klubebene erst so richtig“, fügt Torwart-Legende Wieland Schmidt hinzu. „Es war meine erste Saison als Nummer eins zwischen den Pfosten beim SCM. Das vergisst man nie im Leben.“ Erst im Finale scheiterten die Himmelsstürmer aus Magdeburg dann denkbar knapp (17:18) an MAI Moskau, damals gespickt mit Olympiasiegern und Weltmeistern.
Ihren eigentlichen Einstieg ins europäische Handball-Geschäft hatten die Grün-Roten aus der Börde allerdings schon im Cup der Landesmeister sechs Jahre zuvor vollzogen. Nachdem Grasshopper Zürich und Hollands Vertreter Sittardia Sittard ausgeschaltet worden waren, setzte im Viertelfinale Partizan Bjelovar (Jugoslawien) jedoch das Stoppzeichen. Auch wenn der SCM am Ende nur an der um zwei Treffer schlechteren Tordifferenz scheiterte. Unübersehbar war Mitte der siebziger Jahre schon eines: Mit den Magdeburgern musste der europäische Handball auf Klubebene fortan ernsthaft rechnen. Und wie zur Bestätigung schlug 1978 ihre erste ganz große Stunde: Nach Erfolgen über Partizan Bjelovar, Dukla Prag und Honved Budapest triumphierte der SCM, man schrieb den 22. April, vor eigenem Publikum in der Hermann-Gieseler-Halle im Finale gegen Slask Wroclaw (28:22). Das war der endgültige Durchbruch.
Auf dem Weg zu einem europäischen Top-Klub folgten weitere Triumphe: 1981 wurde unter dem legendären Trainer Klaus Miesner erneut der Pokal der Landesmeister gewonnen (gegen Slovan Ljubljana), hinzu kamen drei Siege im später eingeführten EHF- Pokal: 1999 (CBM Valladolid), 2001 (RK Metkovic) und 2007 (BM Aragon). Die absolute Krönung der internationalen Auftritte war 2002 erreicht, als es dem SCM als erstem deutschen Verein überhaupt gelang, die Champions League zu gewinnen (21:23 und 30:25 gegen KC Veszprem). 20.000 Magdeburger feierten die Gislason-Schützlinge anschließend vor dem Rathausbalkon frenetisch.
Neun Jahre sind nun mittlerweile ins Land gegangen, seit die SCM-Akteure derartige Jubelstürme genießen konnten. Es wäre also wieder einmal Zeit. Und augenblicklich stehen die Sterne nicht einmal ungünstig. Nachdem sich die Grün-Roten in der vergangenen Saison in der Bundesliga erneut für den EHF-Cup qualifiziert hatten, besitzen sie trotz der 29:34-Niederlage vom Sonntag in Granollers als derzeitiger Tabellenführer noch alle Möglichkeiten. Gelingt die Qualifikation, dann würde nur noch das Viertelfinale den Weg in die Finalrunde versperren – daran war man zuvor zweimal gescheitert. Da will man, da lässt die Mannschaft keinen Zweifel aufkommen, diesmal unbedingt hin.
„Es ist unser Ziel, in den europäischen Wettbewerben präsent zu sein“, umreißt SCM-Manager Marc Schmedt die generelle Aufgabenstellung. „Derartige Auftritte stärken auf jeden Fall das Renommee des Vereins. Das ist nicht nur etwas für den Briefbogen. Wenn du in Europa vertreten bist, hat das auch eine gewisse Zugkraft auf Akteure, die sich international zeigen wollen. Selbst wenn dadurch die Belastung für die Aktiven ziemlich hoch ist, wir spielen auf jeden Fall gern im EHF-Cup.“
Nun gibt es allerdings die fast schon schizophrene Situation, dass in der Bundesliga eine Saison lang ein regelrechtes Hauen und Stechen um die internationalen Startplätze zu registrieren ist, alles dafür ins Feld geworfen wird. Ist dann dieses (angebliche) Traumziel tatsächlich erreicht, zeigen die Fans bei den Europacup-Spielen die kalte Schulter. Will heißen: Viele leere Plätze in den Hallen, die Zuschauerzahlen gehen drastisch zurück. Das gilt für den EHF-Cup, aber auch für den großen Bruder Champions League. Beispiel Magdeburg: Kommen in der Bundesliga im Schnitt 6.200 Besucher, waren es bei den ersten beiden EHF-Cup-Heimspielen 2016 nur gut 3.400 (Aalborg) beziehungsweise 3.900 (Granollers).
Wie erklärt sich der Manager diesen Widerspruch? Schmedt: „Zugegeben, das ist schon sehr speziell. Aber wenn ich das recht sehe, geht es den Fußballern in internationalen Wettbewerben, wenn nicht ganz starke Gegner warten, ebenso. Im Handball merken wir schon, dass der Zuschauer permanent Spiele der stärksten und attraktivsten Liga der Welt zu sehen bekommt. Und er überlegt dann schon, ob er zu einer Partie geht, wo er mit dem Namen des Gegners oft nicht allzu viel anfangen kann.“ Wir fügen hinzu: Die hohe Anziehungskraft der deutschen Liga erklärt sich zu einem gewissen Teil auch aus der Zahl der vielen Derbys, nicht nur im Norden und Osten. Da treffen Teams aufeinander, die sich zuweilen schon ein halbes Jahrhundert duellieren. So etwas zieht natürlich mehr als Csurgoi („Wo liegt denn das?“) oder Rasice („Das sind doch Tschechen, oder?“).
Dennoch, ganz so unzufrieden wirkt Schmedt nicht: „Mit 3.500 bis 4.000 Besuchern kriegen wir die schwarze Null einigermaßen hin. Da können wir kostendeckend arbeiten.“ Was er nicht direkt sagt, aber auch nicht verbirgt: Gewinn ist da nicht zu machen. Andere Bundesligisten sehen das drastischer. Von Thorsten Storm ist, als er noch Manager bei den Rhein-Neckar Löwen war, der Satz überliefert: „Der EHF-Cup taucht in unsere Finanzplanung nur unter der Rubrik Reisekosten auf.“ Das Ganze sei ein „Minusgeschäft“. Göppingens Manager Gerd Hofele: „Wirtschaftlich ist der neue Modus eine Verschlechterung zu den Vorjahren.“
Was er damit meint: Bis zur Einführung der Final-Four-Turnier verdienten die Klubs ihr Geld – wenn sie denn etwas verdienten – vor allem mit den Halbfinals (und dem möglichen Finale). Seit der europäische Verband da aber seine Hand drauf hat, sind diese Gewinne weg. Wie Magdeburg Kompakt erfuhr, bittet die EHF kräftig zur Kasse und verlangt vom Veranstalter des Finalturniers schlappe 250.000 Euro. Wie der seine Kosten dann wieder einspielt, ist dessen Sache. Das war auch der Grund, warum der SCM von der ursprünglichen Absicht, sich um das Finale 2016 zu bewerben, wieder abgegangen ist. „Wir hätten, um kostendeckend zu sein, für ein Wochenend-Ticket zwischen 85 und 90 Euro verlangen müssen. Für einen Stehplatz immerhin noch 40 Euro“, rechnet Schmedt vor. „Das wollten wir nicht.“
Kritik regt sich seit einiger Zeit ebenso am Modus der Veranstaltung. Der ist einfach zu unverständlich, für den gemeinen Handball-Interessierten kaum nachzuvollziehen. Da bekommt der Ausrichter des Final Four das Viertelfinale geschenkt, dafür zieht ein komplizierter Rechenmechanismus ein, um die anderen drei Endrundenteilnehmer zu ermitteln. Da muss man sich, kleiner Nebeneffekt, über zurückhaltendes Interesse am ganzen Wettbewerb nicht wundern. Schmedt: „Bei uns führte der Modus dazu, dass wir 2013, obwohl Gruppensieger, gleich gegen die starken Rhein-Neckar Löwen ran mussten und so das Finalturnier verpassten. Aber leider haben wir auf die Gestaltung des Wettbewerbs eben keinen Einfluss.“
Einfluss hat man dagegen auf die sportliche Leistung (Ziel wie gesagt: Erreichen des Final Four im Mai im französischen Nantes) und auf das eigene Auftreten. Und da präsentiert der SCM in der Saison 2015/2016 ein Novum: Als Brustsponsor treten gewissermaßen Sachsen-Anhalt und dessen Landesregierung auf. Sie werben mit dem Slogan „Willkommen und weltoffen“. Der Manager: „So präsentieren wir als Botschafter unser Bundesland überall in Europa, wo wir auflaufen. Und wir tun das sehr gern.“