Die Festungsanlagen erzählen Knastgeschichten aus vergangenen Epochen.
Die Festung Magdeburg diente jahrzehntelang als berüchtigtes Gefängnis. So war selbst der Festungsbauer Walrave selbst nach 27-jähriger Tätigkeit für den König fast ebenso lange sein „Gast“:
Die Kostenabrechnungen waren wohl zu hoch oder ungenau und seine Bewerbungsgespräche mit den Österreichern waren Friedrich II. ein Dorn im Auge. Auch Friedrich Freiherr von der Trenck saß in der Festung bis zu seiner Begnadigung 1763 ein. Fritz Reuter gibt in seinem Roman „Ut mine Festungstid“ über den Magdeburger Zwangsaufenthalt Auskunft. Und Werner von Siemens entwickelte hier gar die galvanische Vergoldung und Versilberung von Metallen, da er in seiner Zelle elektrolytische Versuche anstellen durfte. Neben dem polnischen Dichter Josef Ignacy Kraszewski saß auch Josef Pilsudski in der Festung ein, der kurz nach seiner Entlassung zum polnischen Staatspräsidenten aufstieg.
Der 1. Weltkrieg, mit einem bis dahin noch nie dagewesenen riesigen Einsatz von Menschen und Materialien, hatte eine immense Zahl Kriegsgefangener zur Folge. In Magdeburg befand sich ein Offizierslager im Kavalier I „Scharnhorst“, mit dem dazugehörigen Wagenhaus. Am 1. Mai 1916 waren dort 409 Offiziere russischer, französischer, belgischer und englischer Herkunft untergebracht. Hinzu kamen 103 Gefangene mit Mannschaftsdienstgraden, die von den Offizieren getrennte Räume bewohnten. Einige wurden für die persönliche Bedienung als Ordonanz abgestellt, andere als Arbeiter zur Unterhaltung des Lagers eingesetzt.
Im Kavalier I gab es aus baulichen Gründen keine Wasserleitung und keine Abortanlagen mit Wasserspülungen. Daher wurden gesonderte Latrinen eingerichtet. Als Waschgelegenheit auf den Zimmern standen jedem Offizier ein persönlicher Waschständer mit Becken und Kanne zur Verfügung. Die Räume waren mit Petroleumhängelampen beleuchtet und mit Öfen ausgestattet. Für die Ernährung galten für die Offiziere andere Richtlinien als in den Mannschaftslagern, da diese von der deutschen Heeresleitung ein Gehalt bekamen und sich daher selbst verpflegen mussten. An alkoholischen Getränken waren täglich zwei Flaschen Bier und sonntags eine halbe Flasche Wein gestattet. Das Essen wurde auf den Zimmern durch die Ordonanzen serviert.
Die Gefangenen hatten die Möglichkeit zu sportlicher oder kultureller Betätigung. Es wurde musiziert, gemalt und gebastelt. Außerdem wurden von der deutschen Heeresverwaltung in verschiedenen Sprachen Zeitungen herausgegeben. Auch eine Lagerbibliothek stand zur Verfügung. Im Jahre 1916 verbrachte hier auch der spätere Staatspräsident Frankreichs, General Charles de Gaulle, einige Wochen als Kriegsgefangener.
Eine interessante Anekdote wird von Anselme Marchal erzählt. Er konnte mit Roland Garros, einem berühmten Flieger, aus dem Gefangenenlager flüchten. Marchal schreibt, dass er nach der Entlassung aus dem Zivilgefängnis Magdeburg ins Kavalier Scharnhorst, dem strengsten Gefangenenlager in Deutschland, überführt wurde. Ende Dezember 1917 traf er dort Roland Garros. Binnen sechs Wochen hatten sie eine Möglichkeit ausgetüftelt, um aus dem Lager herauszukommen. Sie nähten sich Zivilsachen und fälschten deutsche Uniformen, mit deren Hilfe sie unerkannt zu entkommen hofften. Am 14. Februar 1918 rüsteten sich die beiden Flüchtlinge mit ihren selbst angefertigten Zivilsachen aus und zogen die gefälschten deutschen Mäntel drüber. Nachdem sie sich noch ihre „Säbel“ aus Holz umgeschnallt hatten und ihre Mützen in einem stolzen Winkel aufsetzten, sahen sie wie richtige deutsche Offiziere aus. Als es dunkel wurde, marschierten beide unbehelligt an drei Posten vorbei zum Tor heraus. Draußen verwandelten sie sich in friedliche deutsche Bürger und konnten Deutschland verlassen. Der Lagerkommandant wurde nach Bekanntwerden der Flucht in „Unehren” entlassen. Eine ganze Armee der Berliner Geheimpolizei konnte nicht herausfinden, wie den beiden die Flucht gelingen konnte.
(rf)