Wortumbildungshürden von Sabine Raczkowski
Ich hab irgendwas. Wortfindungsstörungen, sagte altklug ein Kollege – den es eigentlich nicht gibt, aber irgendwem muss ich im Sinne der Solodarität anhängen, das gesagt zu haben.
So einfach? Glaube ich nicht. Bei mir ist nichts einfach. Es ist ja nicht so, dass die Worte mir nicht einfallen oder ich sie nicht finden würde. Ich finde sie. Ganz einfache Worte wie: Tagebuch, Frischluft oder Notdurft. Gut, das letzte verwendet man kaum. Ich sagte ja schon, es ist nicht so einfach mit mir. Die Sache ist die, dass, wenn ich sie schreibe, diese Wörter, sie dann nicht dastehen. Wie soll ich sagen … ich will sie schreiben, aber da ist etwas dazwischen, was sie ändert. Eine Macht, die ich nicht im Griff habe.
Vermutlich hatte ich Hunger, als dann statt Tagebuch das Wort Tagebauch auf dem Bildschirm erschien. Was allerdings zu dem Wort Frischlust führte, möchte ich nicht rekonstruieren und wie aus der Notdurft der Notduft wurde, entzieht sich mir gänzlich. Beruhigend ist, dass den letzten Fehler nicht einmal der Lektor – diesen gibt es allerdings, aber so etwas passiert im sonst nie – bemerkte. Vermutlich haben wir ähnliche Assoziationen, da wir uns gut kennen. Da ist also etwas und es kann ja nur an mir liegen, weil ich da die Fehler sowieso immer zuerst suche. Bei mir. Es muss mein Unterbewusstsein sein und das sollte ich doch wohl in den Griff bekommen. Aber als wenn mir statt dem Tatendrang der Totendrang entwischte, meinte eben jener Kollege – den es ja nicht gibt –, ich solle mich behandeln lassen. Aber ich bin nicht so gern Patient. Das kommt vielleicht von den Erfahrungen, die ich gemacht habe, und versuche eher, mich mit meiner Krankheit zu identifizieren, als sie ständig abzulehnen oder gar darüber zu grübeln. Das ist doch überhaupt die bessere Variante, so ähnlich, wie man sich einreden kann, ruhig zu sein, oder ein Reh oder dass alles gut werden würde.
Ich führte in der Selbsttherapie folgende Übungen durch: Der Potsdamer Potskutscher putzt seinen Potsdamer Postkutschkasten. Kennt ja jeder. Nur diese Worte genügten mir nicht. Ich fragte mich, was soll das denn sein? Was ist ein Postkutschkasten? Wäre es nicht angebracht, nur Postkasten oder nur Kutschkasten zu sagen und da hatte ich es, da stand Kutschkosten. Nur eine Unaufmerksamkeit, dachte ich. Nochmal: Der Potsdamer Kotzputscher putzt seinen Potsdamer Potzkutschkasten. Gut. Der Potsdamer Kotzputscher putscht seinen Potsdamer Putschkotzkasten. Das ergibt langsam einen Sinn, dachte ich, und immerhin bleibt der Mensch ein Bürger der Stadt Potsdam, worauf es ja ankommt. Dass er eigentlich aus Cottbus sein müsste, schwante mir im Innern, aber ich glaubte nicht wirklich daran.
Ich stand auf und holte mir eine Brassfause. Die gibt es jetzt in Grün und Rot und heißt Berliner Weiße. Da hatte der PR-Manager auch Störungen, dachte ich beruhigt. Ich trinke lieber die rote Variante. Angerend. Äh, anregend. Als Nächstes übte ich: Zehn zahme Ziegen zogen zehn Zentner Zement zur Zerbster Ziegelei. Sofort richtig. Gleich nochmal. Zehn zahme Zogen zeigen zehn Zentner Zement zur Zerbster Zeigelei. Na bitte. Diese Sprüche sind schon so alt. Niemand weiß heute mehr, was eine Zoge ist, dachte ich und googelte. Da kommt: Beispiel: Sie zogen im Pradermarsch vorüber. Da hatte ich wieder was gelernt, ich dachte immer, das heißt Prater und nicht Prader. Und dass es dazu einen eigenen Marsch gibt, wusste ich noch nicht. Ich las nochmal den Eintrag: im Parademarsch zogen … Es lag also immer noch an mir. Und zogen ist ein Verb, also schreibe ich es lieber klein: Zehn zahme zogen zeigen zehn Zentner Zement zur Zerbster Zeigelei. Hm, zehn zahme was? Zehn zahme zogen zeigen … so ein Blödsinn. Zeigen sie? Zogen sie? Wer denn? Zehn zahme … sagen wir mal jetzt Zebras, weil ja alles mit Z anfängt … und dann: zogen zeigen … wenn dann schon: zeigend … zur Zerbster Zeigelei. Dann geht alles auf: Zehn zahme Zebras zogen zeigend zehn Zentner Zement zur Zerbster Zeigelei. Na bitte.
Ich suchte im Internetz nach solchen Sprüchen, weil diese alten Kamellen nicht mehr zeitgemäß sind, wie ich deutlich bemerkte, von wegen Zoge und Kotzkasten, so etwas wird heute nicht mehr verwendet. Und so grub ich aus den Tiefen des Zeigerspaces einiges Brauchbare hervor. Als wir noch in der Wiege lagen, gab’s noch keine Liegewaagen. Jetzt kann man in den Waagen liegen und sich in allen Lagen wiegen. Nett! Aber unlogisch dürfen sie nicht sein, denn Liegewagen sind in meinem Sprachgebrauch immer noch Wagen, in denen man schläft, mit einem a, nicht in denen man mit einem A … schläft, wer sollte das auch sein, das würde ich gar nicht wissen wollen.
Ich fand noch andere: Das Weinfass, das Frau Weber leerte, verheerte ihre Leberwerte. Eine Tatsache. Und ich kenne Frau Weber. Hätte dieses nicht von ihr gedacht. Oder sogar philosophisch angehauchte Sprüche, wie: Wer wer weiß was weiß, weiß wer weiß wie viel. Doch diese Sätze waren nur Merksprüche, keine Wortbildungs- bzw. Wortumbildungshürden. Es gab noch einen, der vielleicht zum Üben taugen würde. Der lautete: Der froschforschende Froschforscher forscht in der froschforschenden Froschforschung. Ich probierte sogleich aus, ihn zu hiederwolen, was ich lieber nicht notierte. Schließlich machte ich Schluss mit diesem Fratsch mit dem schönen Satz: Der Zweck hat den Zweck, den Zweck zu bezwecken; wenn der Zweck seinen Zweck nicht bezweckt, hat der Zweck keinen Zweck! Ich berief mich auf mein Gefühl, was zwar den gezackten Rand der Korrektheit noch nicht erreicht hatte, aber ein gewisses Maß an Wohlbehagen durch meinen Tagebauch strömen ließ.
Am nächsten Morgen fuhr ich frosch zur Arbeit und ergab mich der so entstandenen positoven Egernie, als mir ein Kunde sagte, dass er einen Auftrag bekommen könnte, ich ihm aber noch zwanzig Prozent Nachlass gewähren müsste. (Den gibt es auch nicht. Niemand würde 20 % Lachnass verlangen, da habe ich literarisch überhöht.) Zwanzig Prozent, sagte ich, solch einen Lassnach gäbe es nicht bei unseren kleinen Margen, die wir im Handel hätten. Er barmte herum, dass er sich selbst nur eine ganz geringe Summe zahlen würde und mir entfuhr, dass dies der blanke Lungerhohn (Ich gebe zu, nicht der Urheber dieses Wortes zu sein. Das war Herr Bierhoff.) sei! Er sah mich eine Weile an und schien gleich weinen zu wollen. Was ist?, fragte ich. Er lungere nicht, was ich mir denn denken würde. Oh, aber ich war doch auf seiner Seite, und fragte ihn, wie er darauf käme, dass ich meinte, er würde lungern. Er wiederholte das Wort und erst jetzt merkte ich, dass ich auch so sprach, wie ich schrieb. Ei der Daus. Ich bekam Hautgänse (© auch Herr Bierhoff). Ob wir einen Chapukino trinken wollen, fragte ich. Da sah er mich noch entgeisterter an und meinte, so früh am Tag würde er keinen Alkohol zu sich nehmen. Beleidigt ging er. Ich versteifte innerlich. Was sollte der jetzt von mir denken? Alkohol. Um Himmels willen! Hoffentlich hatte das keiner gehört. Ich ging zum Kaffee-Automaten und las „Cappuccino“. Hm. Er stand noch auf dem Hof, konnte ich sehen und stellte ihn. Nach einigen Überredungssekunden hatte ich ihn mit einem Heißgetränk an den Bar-Tisch gelockt und erklärte ihm die Lage. Zugegeben, er sah mich bedauernd an. War ich doch verrückt irgendwie? Ach wissen Sie, sagte er, in der heutigen Zeit kann das schon mal vorkommen. Seine Frau verwechsele immer links mit rechts. Das sei auch nicht ohne. Na ja, egal wie, sie komme trotzdem immer an, früher oder später. Er lachte. Und dass man sich heute kaum noch gegenseitig helfen würde, sagte er. Das läge an der Solodarität, sagte er. Jeder kämpfe für sich. Ich grinste. Wir verstanden uns also doch. Ich wusste, dass ich auf dem richtigen Weg bin. Ich kämpfe auch, und es wird schon, egal wie, dachte ich.
Ein Reh, genau, das konnte ich sein, wenn ich nur solodarisch mit mir wäre. Ein kleiner Lachnass wäre schon drin, sagte ich, vielleicht würde es ja nützen. Er fragte, wieviel. Ich nannte eine Zahl. Er lache sich wirklich gleich nass, sagte er da und es sei zu wenig. Mich verließ auf der Stelle mein gutes Gefühl. Ich hob den Pappbecher hoch. Na dann, auf die Solodarität, sagte ich. Ich verließ ihn und ging an meinen Schriebteich, angelte mir ein paar neue Fische aus dem unendlichen Meer des Alltags und als die Sonne ins Zimmer schien, verspürte ich riesige Sehnsucht nach Notduft und öffnete das Fenster, um die schöne Frischlust – dieses Wort liebe ich inzwischen, und glaube, dass es bald im Duden stehen wird – herein zu lassen.