Kultur als Mittel gegen Landflucht wurde bisher nicht entdeckt.
Man darf über Sachsen-Anhalt mit Fug und Recht sagen, dass das Land innerhalb der vergangenen 25 Jahre überwiegend aufgehübscht wurde. Städte und Dörfer haben sich herausgeputzt. Infrastruktur und Versorgungsnetze sind von einer Qualität, wie es sie zuvor in den Landstrichen zwischen Salzwedel und Zeitz noch nie gab.
Diese sichtbaren Ergebnisse dürften Stoff für viele Erfolgsgeschichten sein. Und diese Geschichten werden auch überall erzählt und herausgestellt. Menschen geben sie nur ganz unterschiedlich wieder. Manche sehen die Veränderungen vielleicht eher nüchtern als eine logische Konsequenz. Andere wiederum mögen die Ergebnisse in ein Glanzlicht stellen, das so makellos erscheint, als wäre das Leben ein perfekt inszeniertes Theaterstück. Solche überspitzten Beschreibungen sind häufiger im Munde derer, die sich gern als Regisseure der Inszenierung begreifen wollen. Apropos Theaterstück: Die spannende Frage, die mit den Dokumenten des Wiederaufbaus einhergeht, lautet: Gibt es innerhalb der schönen Mauern auf ausreichend Projekte, Ideen und Menschen, die zum Besuchen und Verweilen einladen? – Übrigens das Wort Wiederaufbau erscheint in diesem Zusammenhang leicht unglücklich, denn es entstand derart vieles, was vorher gar nicht da war. Aufgrund des engen Kulturbudgets des Landes kann die Vielfalt bestehender Gebäude, Räume und Plätze nur selten in angemessener Weise bespielt werden. Mal abgesehen von den größeren Städten. In Magdeburg und Halle geht das ganz gut. Taucht man jedoch tiefer ins Land ein, kann man zwar schöne Landschaften besehen, nur mit den kulturellen Erlebnisangeboten ist es dann nicht mehr soweit her. Der sachsen-anhaltische Tourismus zählt wohl zart wachsende Übernachtungszahlen, könnte aber sicher um einiges an Dynamik gewinnen, wenn man Gästen aus nah und fern verlockendere Kulturgenüsse böte. Nun soll nicht nur Luthers Land gescholten sein. Bundesweit wird eine Kluft zwischen Breiten- und Metropolenkultur deutlich: 70 Prozent der Deutschen leben im ländlichen Raum, aber weniger als zehn Prozent der öffentlichen Kulturförderung fließen genau dahin. Unter dem Stichwort Demografie wird zwar reichlich über die Förderung des ländlichen Raumes lamentiert. Anscheinend spielen Anreize durch die Förderung eines kunst- und kulturreichen Lebens dabei kaum eine Rolle. Vielleicht würden sogar weniger wegziehen oder sich andere gar angezogen fühlen. Hoffentlich lässt eine breitere Verhinderung nicht auf den geistigen Kulturreichtum der Entscheider schließen.
Thomas Wischnewski