Gewinnt der rechtsuchende Bürger?

sabine_schwertnerDie Juristerei erscheint manchmal ein wenig verstaubt und ziemlich unbeweglich. Die Dynamik des Internets übt Druck auf die Anwaltschaft aus. Die Magdeburger Rechtsanwältin Sabine Schwertner gibt Auskunft über Chancen und Risiken in der Onlinewelt. 

Frau Schwertner, heute ermöglicht die schöne Onlinewelt, dass sich Interessierte über Rechte sehr ausführlich informieren können. Könnte man sich mit ausreichend angelesenem Wissen den Anwalt ersparen? Sabine Schwertner: Zunächst einmal begrüße ich die Informationsmöglichkeiten durch das Internet sehr. Endlich steht das Wissen der Menschheit allen Bürgern zur Verfügung. Das gilt auch, wenn man nicht alles glauben darf, was dort geschrieben steht. Den rechtsuchenden Bürger hat das Internet enorm vorangebracht. Einige rechtliche Fragen kann man durchaus im Netz unkompliziert und ohne Rechtsanwalt klären. Das tut unserer Gesellschaft gut. Es stärkt den rechtsmündigen Bürger. Allerdings können die Vorteile des Internets bei Rechtsfragen dennoch nur eingeschränkt genutzt werden. Dem einen fehlt es an Zeit, sich durch endlose Seiten hindurchzuklicken, weil er sein Geld woanders verdient. Diese Gruppe kauft seit jeher Rechtsrat auf dem Anwaltsmarkt professionell durch Beratervertäge ein. Die anderen haben zwar die Zeit, es wird aber zudem eine gewisse Vorbildung benötigt, um den heutigen Gesetzesdschungel einigermaßen zu durchschauen. Nur, wer sich schon gut auskennt, ist in der Lage, die Vorteile des im Internet vorhandenen Fundus richtig und effizient zu nutzen. Damit kommen im Ergebnis doch eher wenig Menschen in den Genuss, den Vorteil dieses verfügbaren rechtlichen Wissens zu nutzen, wenn es schwierig wird. Sie müssen sich schlussendlich doch die entscheidende Rechtsberatung einkaufen. Für den wirtschaftlich schwächeren, beginnt dann ein Teufelskreis. Weil man kein Geld für den Anwalt hat oder dafür nicht ausgeben will, kann man sich die Vorteile des Rechtsstaats nicht zu Nutze machen. Bei guten Unternehmens- oder Familieneinkommen sind die Mittel in Krisen häufig ebenso schnell erschöpft wie bei Menschen, die eine bescheidenere Lebensführung haben. Weil der fleißige Gesetzgeber zudem ständig neue, miteinander verwobene anspruchsvolle Regelungen aufstellt, die unser tägliches Leben, wie Wohnen, Arbeit, Soziales, Steuern und vieles mehr ordnet ist die zuverlässige „rechtlichliche Selbstversorgung“ im Internet bei komplexeren Fragen so gut wie aussichtslos. Dann hilft nur noch professioneller Beistand, welcher nach meiner Wahrnehmung am Ende eher für die wirtschaftlich Starken zu haben ist und damit in der Sache große Teile der Bevölkerung abgehängt werden.

Ärzte kennen schon länger das Phänomen, dass Patienten mit Informationen aus dem Internet manchmal besser über ihre Krankheit Bescheid wissen, als der behandelnde Mediziner. Gibt es solche Mandanten mittlerweile auch? Sicher gibt es den ein oder anderen, welcher bereits zu Anfang eines Mandates mit dem Ausdruck einer Information aus dem Internet die Aufwartung macht. Ich vermag nicht zu beurteilen, ob oder weshalb Ärzte darüber unglücklich sind, solche Patienten zu haben. Ich bin es jedenfalls nicht. Im Gegenteil, es ist doch ganz wunderbar, wenn sich der Mandant seine eigenen Gedanken zur Problemlösung macht. Wenn er die Sache schon im Griff hätte, wäre er nicht bei mir zu einem Gespräch. Er sucht in diesem Moment eine klare, verständliche und zuverlässige Antwort, die er im Internet eben nicht bekommen hat. Zu beurteilen, ob er damit richtig liegt, ist genau die Antwort, die ich ihm als Anwältin schuldig bin, selbst, wenn die Antwort nicht immer gefällt. Dass sich im Laufe eines Mandates das Vertrauen zum Mandanten unter Beweis stellen muss, insbesondere wenn Nachfragen während des Mandates wegen Neuigkeiten im Internet aufkommen, liegt es in der komplexen Natur des Rechts begründet und so sehe ich es als selbstverständlich an, dass darüber dann gesprochen werden muss. Es gibt auf rechtliche Fragen häufig keine einfache und eindeutige Antwort, weil der jeweilige Fall des Mandanten immer ein individueller und im Rahmen der für seinen Fall geltenden Rechtslage zu prüfen ist. Es muss häufig abgewogen werden. Die persönliche Betroffenheit macht es dem Bürger, der ja nur sein Recht will, zusätzlich schwer, im Spannungsfeld zwischen Forderung und Abwehr die Durchsetzungskraft seiner Ansprüche einzuschätzen. Dafür braucht er einen neutralen sachkundigen Berater, der sich Zeit für seine Sorgen nimmt und ihm zuhört. Nur er kann ernsthaft beurteilen, wie es um den Erfolg in der Sache steht, zumal wenn zum Begehrten andere Rechtsansprüche in Wechselbezüglichkeit stehen, wie es der Fall sein kann.

Wie glaubhaft und sicher sind rechtliche Auskünfte, die man im Internet findet? Es gibt mittlerweile verschiedenste Auskunftsplattformen im Internet, wie advocado.de oder e-recht24.de und viele mehr, welche nach meiner Ansicht schon längst vom Markt verschwunden wären, wenn nicht seriös. Dabei geht es aber häufig um Erstberatungen, telefonisch oder per E-Mail. Diese führen im Anschluss in die Vermittlung von Anwälten in der Nähe zum Wohnort des Anrufers zur weiteren Bearbeitung und dann ist Schluss mit kostenlos. Anspruchsvollere Fragen lassen sich nun einmal nicht so ohne weiteres zuverlässig beantworten. Allerdings wird bereits daran gearbeitet, bei standardisierten rechtlichen Abläufen sogar Computer die Rechtsfragen beantworten zu lassen. Denkbar z. B. bei Verkehrsunfallsachen. Das kann dem Verbraucher natürlich Nutzen bringen. Auch die Rechtschutzversicherer haben mittlerweile aufgrund gesetzlicher Änderungen den Beratungs- und Mediationsmarkt für sich im Internet entdeckt. Dennoch, wenn es darauf ankommt und bei Gericht schlussendlich der Anspruch durchgefochten werden muss, was man zu Anfang häufig nicht weiß, wird derjenige ohne Anwalt seines Vertrauens schnell untergehen. Die fehlende Vertrautheit zum völlig ungewohnten Umfeld ist für den Mandanten schon häufig eine unsägliche Belastung und er ist dann umso mehr froh, wenn er einen treuen Berater an seiner Seite hat, der nur für ihn und niemand anderes kämpft.

Unterschätzen Mandaten möglicherweise die Tücken des Zivil- oder Strafrechtsprozesses? Meines Erachtens nur äußerst selten. Der Respekt ist hoch, manchmal zu hoch. Der Volksmund sagt: „Auf hoher See und vor Gericht sind wir in Gottes Hand“. Das schildert zudem einen gewissen Fatalismus und gilt für einige Bürger noch heutzutage. Die Undurchschaubarkeit der Rechtsordnung ist für manche Bürger geradezu furchteinflößend. Wenn es dann noch um europäische Normen geht, erfährt man nur noch Ablehnung, obwohl gerade diese Regelungen in entscheidendem Maße den Verbraucherschutz für den Bürger verbessert haben. Selbst diejenigen mit großem Selbstvertrauen und Intelligenz staunen nicht selten, welch hohen Anspruch allein das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) an die Auslegung seiner Vorschriften hat. Der Gesetzeswortlaut allein verursacht schon einiges Stirnrunzeln, weil die Diktion und das Verständnis der Juristen auf einer Wissenschaft beruht, die ein jahrelanges Studium erforderlich macht. Generationen von Juristen haben z. B. aus dem BGB immer wieder einen aktuellen gesellschaftlichen Minimalkonsens hergeleitet, welcher den Rechtsfrieden zwischen uns Bürgern untereinander wahrt. Das wird sehr wohl in der Bevölkerung wahrgenommen.

Rechtsanwältin Sabine Schwertner von den Magdeburger Rechtsanwälten in GbR Schwertner Krause Sillinger. Foto: Katharina Schwertner

Rechtsanwältin Sabine Schwertner von den Magdeburger Rechtsanwälten in GbR Schwertner Krause Sillinger. Foto: Katharina Schwertner

Die Möglichkeiten im Internet bringen eine Fülle an Information. Kann das jemand überhaupt überblicken? Die entscheidende Frage für mich ist eher, ob man das alles überblicken muss. Wenn man richtig vorgeht, ist auch das Internet nur eine riesige Bibliothek, mit Gängen und raumhohen Regalen. Es kommt also wie überall darauf an, zu wissen, was man will, im Zweifel, was man sucht und wo es steht. Interessiert man sich ernsthaft dafür, ist es erlernbar, wie man an diejenigen Informationen kommt, die man braucht. Anfangen, es zu lernen, kann man schon mit Freunden, Verwandten und schlussendlich in Kursen die das Wissen vermitteln, welches man benötigt, um effizient zu recherchieren. Bei der Rechtsfindung gehört allerdings dazu, zu erkennen, wann man an seine Grenzen stößt. Beim Shoppen im Internet zeigt einem der Geldbeutel ziemlich schnell die Grenzen auf. Bei wissenschaftlichen Nachforschungen ist das natürlich schwieriger. Bei Rechtsfragen geht es um die Bewertung eines Lebenssachverhaltes im Licht von gesetzlichen Vorschriften, zuverlässiger Literatur und Rechtsprechung. Die Rechtsprechung macht sogar immer mehr von ihren Entscheidungen im Internet kostenlost für den Bürger zugänglich. Mit diesem Wissen, allerdings ohne ein entsprechendes Studium, gute Prognosen zu treffen, dürfte eher dem Zufall überlassen bleiben. Dafür ist die juristische Materie einfach zu anspruchsvoll.

Müssen Anwälte künftig umdenken und ihren Rat vielleicht auch online anbieten, z. B. per Videokonferenz? Aber selbstverständlich! Es gibt mittlerweile durch das neue Medium Internet Menschen, die ihre Bedürfnisse bei Rechtsfragen völlig anders decken möchten, als durch einen Rechtsanwaltsbesuch, der schließlich Zeit kostet. Einigen Menschen ist schon heute durch das Internet vertraut, die persönliche Nähe zum Rechtsanwalt nicht mehr von Bedeutung. Rechtsfragen werden heute und zukünftig noch viel mehr per E-Mail wie Massenware abgearbeitet, wenn es sich anbietet. Die Videokonferenz wird das erste persönliche Kennenlernen und notwendige persönliche Gespräche während des Mandates in Zukunft in vielen Fällen ersetzen. Gerade wer beruflich ständig Rechtsfragen klären lassen muss, hat schon heutzutage zu seinem Anwalt seine persönliche virtuelle Verbindung, welche ihm garantiert, rund um die Uhr Fragen stellen zu können und diese in kürzester Zeit beantwortet zu erhalten. In diesem Trend liegen auch Privatpersonen. Sie sind es vom Arbeitsmarkt gewöhnt, virtuell zu agieren. Selbst der Fiskus möchte alles nur noch online. Für die Anwaltschaft wird das in Zukunft voraussichtlich auch gelten. Die Gerichte rüsten seit langem für den papierlosen Schriftverkehr mit den Rechtsanwälten auf, welcher derzeit zwar aufgeschoben ist, aber keinesfalls aufgehoben. Ich gehe davon aus, dass zukünftig an abgelegenen Orten Videokonferenzräume statt Gerichtssäle vorgehalten werden. Wenn es schon heute beim Anwalt mit dem ersten Kennenlernen klappt, spielt die persönliche Nähe später nur noch in entscheidenden Situationen eine Rolle. So, wie unsere privaten gesellschaftlichen Beziehungen ins Netz abwandern, sind die geschäftlichen Verbindungen ebenfalls immer mehr ins Netz gerückt. Das wird vor der Rechtsanwaltschaft nicht Halt machen.

Muss man Sorge vor dieser Entwicklung haben? Aber auf gar keinen Fall. Jeder kann dann endlich ohne großen Aufwand nach seinem Geschmack seine speziellen Rechtsprobleme professionell lösen lassen. Zudem werden dann endlich alle Bürger, auch an den abgelegendsten Orten, direkten und hürdenfreien Zugang zum Recht erhalten, wenn der Staat die technischen Voraussetzungen dafür schafft. Wir Anwälte sind dann im Übrigen nicht fort, sondern wissen den direkten menschlichen Kontakt zu unseren Mandanten sehr zu schätzen. Nichts geht über ein gutes persönliches Gespräch bei einer duftenden Tasse Kaffee.               Fragen: Thomas Wischnewski