Herzinfarkt: Notruf erst nach einer Stunde

Rüdiger_Christian_Braun-DullaeusSachsen-Anhalt steht bei Herzinfarkten an der Spitze im Ländervergleich. Am Uniklinikum werden Strategien zur Sensibilisierung des Infarkt-Risikos erarbeitet.

Von Tina Heinz

Starke Schmerzen im Bereich des Brustkorbs, die in Arme, Rücken, Schulterblätter oder Kiefer ausstrahlen können. Heftiger Druck oder ein massives Engegefühl. Übelkeit. Atemnot. Schmerzen im Oberbauch. Das alles können Anzeichen für einen Herzinfarkt sein. Oft erkennen die Betroffenen das Risiko, das sich hinter diesen Symptomen verbirgt, nicht oder viel zu spät. Etwa 55.000 Menschen sterben bundesweit jährlich an einem Herzinfarkt. Sachsen-Anhalt steht laut Deutschem Herzbericht mit 103 Herzinfarkttoten pro 100.000 Einwohner gemeinsam mit Brandenburg (105) an der Spitze der Bundesländer mit der höchsten Herzinfarktsterblichkeit in Deutschland. Zum Vergleich: In Hessen sind es beispielsweise nur 54 Herzinfarkttote.
Ob die Lebensumstände, eine ungesunde Lebensweise, Probleme mit der Infrastruktur, der demografische Wandel oder andere Gründe Sachsen-Anhalts negative Bilanz verursachen, soll anhand zweier Projekte herausgefunden werden. Kardiologen des Magdeburger Universitätsklinikums sind gemeinsam mit der Technischen Universität und dem Helmholtz Zentrum in München den Ursachen für Herzinfarkte, dem Verhalten im Notfall und dem Vorwissen über die Erkrankung auf der Spur. „Wir wollen mithilfe wissenschaftlicher Analysen auch Strategien zur Sensibilisierung für ein Infarkt-Risiko entwickeln, um die Sterblichkeit durch Herzinfarkte und andere Herzkrankheiten zu senken“, sagt Professor Rüdiger Braun-Dullaeus, Direktor der Klinik für Kardiologie, Angiologie und Pneumologie an der Universität Magdeburg.
Basis für die Studie, die von der Deutschen Herzstiftung gefördert wird, ist das Münchener MEDEA-Projekt, durch das in Bayerns Landeshauptstadt Verzögerungen des Behandlungsbeginns bei Patienten mit akutem Koronarsyndrom untersucht werden. MEDEA steht, aus dem Englischen übersetzt, für „Magdeburger Untersuchung der Verzögerung bei Patienten mit akutem Koronarsyndrom“. Bei der Analyse werden auch lokale Faktoren wie die Arbeitsmarktsituation, der Sozialstatus oder die Altersstruktur berücksichtigt. Den Forschern zufolge spielt das Alter für prähospitale Verzögerungen eine große Rolle. Das wiege besonders schwer in einem Land wie Sachsen-Anhalt, das zu den Regionen mit den ältesten Einwohnern Europas gehört. Die Ergebnisse der Studie in München zeigten, dass Männer durchschnittlich 194 Minuten, Frauen sogar erst 230 Minuten nach den ersten Infarktsymptomen das Krankenhaus aufsuchten. Bei älteren Patienten (über 65 Jahre) waren die Verzögerungszeiten noch länger (Männer: 222, Frauen: 266 Minuten). „Wir brauchen dringend Aufschluss darüber, weshalb Infarktpatienten erst spät, oft zu spät medizinische Hilfe über den Notruf 112 anfordern“, meint Braun-Dullaeus, denn gerade beim Infarkt sei Zeit ein entscheidender Faktor, um schwere Schäden und lebensbedrohliche Komplikationen abzuwenden.
Für die Bekämpfung der Herzinfarkt-Sterblichkeit ist ein weiteres Projekt von großer Bedeutung. Ärzte und Forscher erhoffen sich vom Regionalen Herzinfarktregister Sachsen-Anhalt (RHESA), das ebenfalls von der Deutschen Herzstiftung gefördert wird, zusätzlich Aufschlüsse über Risikofaktoren. Mithilfe des Registers werden Herzinfarkte in einer städtischen (Halle/Saale) und in einer ländlichen (Altmark) Bevölkerung untersucht. Erste Resultate zeigen, dass der Anteil der Raucher, Diabetiker, Hypertoniker und Übergewichtigen in Sachsen-Anhalt über dem Bundesdurchschnitt liegt. Zudem bestätigen die Projekt-Ergebnisse auch, dass Infarktpatienten im Schnitt mehr als eine Stunde warten, bis sie den Notruf wählen. „Unsere Daten zum Alarmierungsverhalten von Infarktpatienten könnten langfristig dazu verhelfen, geeignete Strategien zur schnelleren Alarmierung des Rettungsdienstes zu entwickeln“, meint RHESA-Koordinatorin Dr. Stefanie Bohley. Vor allem durch verstärkte Bevölkerungsaufklärung über die Herzinfarkt-Alarmzeichen oder -Risikofaktoren ließen sich viele stationäre Aufnahmen und Sterbefälle durch Herzinfarkt vermeiden.

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