Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein …

336 256 ø24 008Ich bin ein langsamer Leser. Da kommt es schon vor, dass sich Themen manchmal überlagern. Meine Schwägerin hatte vor Jahren ein kleines Mädchen als Pflegekind, das zu einer Mutter aus einem sicheren Herkunftsland gehörte, die in Abschiebehaft saß. Alle Bitten halfen damals nicht. Nachdem der erste Abschiebeversuch scheiterte, wurde 14 Tage später ein zweiter angesetzt. Meine Schwägerin musste mit dem Kind zum Flugplatz, erst einmal, dann 14 Tage später zum zweiten Mal.

Die Mutter war eine Muslima, die hier in  Deutschland, unverheiratet dazu, schwanger geworden war und das Kind bekam. Möglicherweise war das Land ja ein sicheres Herkunftsland, sicher aber nicht für eine unverheiratete Muslima mit unehelichem Kind. „Wir haben Gesetze“, hieß es damals.
Kürzlich las ich, dass unser Stahlhelm, pardon, Stahlknecht wegen angeblicher Fluchtgefahr abgelehnte Asylanten ohne Ankündigung abschieben lassen will. Hat jemand geprüft, ob das verfassungskonform ist? Es ist mit Sicherheit popu-listisch, und wenn man sich schon mal in den Startlöchern für den Ministerpräsidentenposten bewegen will … Ich meine, wir haben da ja immer noch Glück. Als Gouverneur von Texas müsste er zur Wahlvorbereitung schon mal ein paar Giftspritzen für Todeskandidaten aufziehen lassen in Gods own Country. Der liebe Gott muss schon einen skurrilen Humor haben, dass C-Politiker (das „C“ stand doch für christlich?) solcherart Einfälle praktizieren dürfen, ohne sich die Ohren zu brechen. Im Gegenteil, so wird man am Ende Bürgers Liebling.
Meine Hoffnung, dass diese Vermutung nicht stimmen möge, das gebe ich zu, hält sich in Grenzen. Obwohl: Bei einer Lesung kürzlich in Tangermünde, ohne dass wir dieses Problem überhaupt streiften, sagte plötzlich eine Dame: „Können Sie mir mal erklären, warum man zum Thema Flüchtlinge kaum etwas aus der Kirche hört? Wo ist die Stimme der Kirche? Wo sind ihre Angebote? Warum macht sie sich so unkenntlich?“ Und etliche der Menschen im Raum nickten dazu beifällig. Das hat mir für einen Moment Mut gemacht. Aber da bleibt die Frage nach dem langen Atem. Reicht der über die Strecke, über die man diesen Mut braucht?
Im Spiegel stand kürzlich ein beachtenswerter Beitrag. Da ging man mal der Frage nach, inwieweit wir denn nun tatsächlich das „Weltsozialamt“ seien. Die Antwort ist erfrischend ernüchternd: 2014 stand Deutschland, was die Aufnahme an Flüchtlingen anging, auf Platz 11 in der Welt, weit hinter Libanon, der Türkei oder Pakistan. Teilte man die Summe der Flüchtlinge durch das Pro-Kopf-Einkommen des Landes, liegen wir weltweit auf Platz 36. Ganz oben stehen Entwicklungsländer wie beispielsweise Äthiopien. Teilt man aber das erwirtschaftete Bruttosozialprodukt durch die Anzahl der Flüchtlinge, dann stehen wir auf Platz 73, kommen soviel Flüchtlinge, wie jetzt angenommen, dann vielleicht auf Platz 65. Sieht das nach „Sozialamt der Welt“ aus? Henryk S. Broder tönt in der „WELT“ vom 25. August: „Was wir derzeit importieren, sind nicht nur ,ethnische’, also kulturelle und religiöse Konflikte, sondern, um mit Marx zu reden, auch eine ,industrielle Reservearmee’, für die es keine Beschäftigung gibt und keine geben wird, das Lumpenproletariat von morgen und übermorgen. Was unser Urteilsvermögen trübt, sind die Bilder, die wir täglich sehen: von der griechisch-mazedonischen Grenze, aus Calais am Ärmelkanal, aus Freital und Heidenau in Sachsen. Wer angesichts solcher Bilder kein Mitleid empfindet, der hat kein Herz, wer aber nur Mitleid empfindet, von dem er sich mit einer Spende befreit, der hat keinen Verstand.“
Weil Broder Verstand hat, will er die Bundeswehr in Afrika, die dort Sicherheitszonen schafft. Und dann wird vorgerechnet, was Flüchtlinge kos-ten. Was er vergisst, ist gegenzurechnen, was die EU jetzt schon an Milliarden in Sicherheitszäune, Luftaufklärung und ähnlichen Unfug steckt: Ein Vielfaches der Kosten. Ihm wird man den Verstand gar nicht mehr absprechen können, befürchte ich. Und es hilft wenig, auf die koloniale Vergangenheit anderer EU-Länder zu verweisen, die eher für den heutigen Flüchtlingsstrom verantwortlich wären.
Meiner Schulbildung entsprechend war nicht nur Tansania und Namibia deutsche Kolonie, sondern auch Togo, Kamerun, Ruana-Urundi. Bis man sie dann in der Folge des 1. Weltkriegs verlor. Will man da jetzt aufrechnen, wer einige Jahre mehr oder weniger Schuld auf sich lud? David van Reybrouck, belgischer Historiker, hat in seinem Werk „Kongo“ akribisch aufgelistet, wie durch Arroganz, oft durch Unwissenheit oder durch falsche Schlussfolgerungen aus wissenschaftlichen Ergebnissen eine Gesellschaft wie die kongolesische unter dem Einfluss ihrer Kolonialherren sich grundlegend veränderte und zu dem wurde, was sie heute ist: Ein unfriedliches Land, aus dem man, will man überleben, nur gehen kann. Es ist eine bittere Lektüre. Mir scheint, wir machen gerade die selben, zumindest ähnliche Fehler. Es fehlt der Wille zu verstehen.
Woher ich diese Überschrift nehme, fragen Sie? Nun ja. Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein, weil trotz dieser vielen Fehler Deutschland immer noch ein Hauptziel der Flüchtlinge ist. Zumindest haben sie noch eine „positive Kompetenzvermutung“.