Er kennt alle Kinos der Stadt, hat unzählige Geschichten auf die Leinwände projiziert: Frank Stühmke ist Filmvorführer, seit 40 Jahren. Von Birgit Ahlert
Von kleinauf war er ins Kino verliebt. Schon als Sechsjähriger lief Frank Stühmke die lange Strecke von Ottersleben aus nach Sudenburg, ins „Scala“. Er schaute sich dort die Vormittagsvorstellung an. Dann ging’s rüber, auf die andere Seite, ins „Theater der Freundschaft“, zur Nachmittagsvorstellung. Sonntags war er den ganzen Tag unterwegs, um Filme zu schauen. Immer. „Kostete ja nur 50 Pfennig“, erzählt er lächelnd. Er erinnert sich gern. An die Filme und seine Ausflüge. Weniger gern an die Rückkehr nach Hause. Da gab es Ärger, weil „der Bengel“ so lange verschwunden war. Telefone gab es noch nicht, Handys schon gar nicht. Die Eltern machten sich Sorgen. Doch irgendwann war ihnen klar: Diesen Jungen können sie nicht zurückhalten. Der braucht den Film.
Frank Stühmke ist Jahrgang 1960. Filme anzuschauen war für ihn die einzige Möglichkeit, andere Welten kennenzulernen. Doch das ist nur die eine Seite. Die andere zog ihn hinter die „Kulissen“, an die Projektoren, zu all der Technik, die das Wunderwerk Film erst zum Laufen brachte. Er schlich immer wieder zu den Filmvorführern, ließ sich alles erklären, machte bereits als Schüler die Erlaubnis zum Filmvorführen. Ohne die ging es damals nicht. Sie galt jedoch zunächst nur in der Schule. Für das „große Kino“ musste er 18 sein. Die Prüfung dafür absolvierte er am selben Tag. In der Zwischenzeit hatte er eine Baufacharbeiterlehre absolviert, schulte dann aber offiziell zum „Facharbeiter für Wiedergabetechnik“ um. Filmvorführer war ein Ausbildungsberuf, die Ausübung erforderte geschickte Handarbeit. Körperlich anstrengend war es, die vielen Filmrollen zu tragen, einzuspannen, auch Projektoren zu transportieren. Denn sie wurden zum Teil von einem Kino ins nächste gebracht oder auch zum Zeigen in Betriebe und Seniorenheime. Zum anderen fuhren die Vorführer aber auch samt Projektoren übers Land. Kaum ein Saal, in dem Frank Stühmke keine Filme zeigte. Damals gab es noch Kohlebogenlampen, berichtet er, die mussten genaustens passen, damit auf der Leinwand auch etwas sichtbar wurde. „Das hat ganz schön gequalmt“, erinnert er sich lachend. Reinlichkeit war wichtig: Staub konnte die Filme zerstören. Deshalb durften die Räume nicht mit Straßenschuhen betreten werden. Die Vorführer trugen extra Kittel. „Aus Perlon“, lacht Frank Stühmke, „die waren ständig statisch geladen.“ Trug er früher weiße Handschuhe, wie es manchmal in alten Filmen zu sehen ist? „Einmal“, antwortet er und seine Augen beginnen zu leuchten. Grund war einer der größten Filmidole des Landes: Heinz Rühmann kam zum Filmfest nach Magdeburg. Für die Hommage stellte das Filmarchiv historisches Material zur Verfügung.
Bis zur Digitalisierung bestand ein Film aus 5 oder 6 Rollen, sogar bis12, auf denen sich Material für jeweils 5 bis 20 Minuten befand. Am umfangreichsten waren „Die unglaubwürdigen Abenteuer der Italiener in Russland“, erinnert sich Stühmke. Da hieß es ständig: aufpassen und wechseln! Manchmal standen auch „Aufpasser“ im Raum, wenn Politprominenz im Saal war. Wie bei „Ernst Thälmann, Führer seiner Klasse“. Ausgerechnet dabei gab es eine Panne, Stühmke vergaß eine Filmrolle. Dennoch dankten die Zuschauer am Ende. Vielleicht auch, weil der Film dadurch kürzer wurde, meint er – heute schmunzelnd. Damals hätte das auch anders ausgehen können.
Heute werden selten noch „richtige“ Filme gezeigt. Bei der Hommage an Alain Delon beispielsweise, da legte Stühmke 35-Millimeter-Filme ein. Für 10 Zuschauer, bedauert er. Dabei seien die alten die besten. Zuhause hat er noch so manche Streifen. 8-, 16- oder 35-Millimeter-Filme. Zu seinen Lieblingen gehören die frühen Märchenverfilmungen. Sein Favorit: „Der kleine Muck“. Die Geschichte, der Orient, die fremden Welten, aber auch die technische Umsetzung – „zauberhaft!“. Noch immer sind Filme seine Welt. Mehrere Stunden wöchentlich ist der 56-Jährige nach Arbeitsschluss auf dem Moritzhof und lässt in den drei Kinosälen die Filme starten. Einen Filmvorführer braucht man dafür eigentlich nicht, sagt er, es genügt ein Tastendruck auf dem Computer. „Dafür braucht man keine Ausbildung. Das kann jeder.“ Doch eins ist nicht austauschbar: sein Wissen. Egal, welche Fragen es gibt, „Fränki“ weiß alles, sagen die Leute auf dem Moritzhof. Und wissen seine Kenntnisse zu schätzen. Film ist eben mehr als nur Tastendrücken. Für Frank Stühmke ist es Leidenschaft. Ein Leben lang.