Die Politik müht sich, die ärztliche Unterversorgung auf dem Land zu bekämpfen. 2007 wurde das Versorgungsstärkungsgesetz auf den Weg gebracht. Verbessert hat sich die Situation seither kaum. Neue Modelle müssen her …
Von Tina Heinz
Schon bei der Definition des Begriffs Unterversorgung herrscht in der Bundesrepublik keine Einigkeit, da die diversen Akteure im Gesundheitsbereich – von der Ärzteschaft bis zu den Krankenkassen – den Versorgungsgrad unterschiedlich definieren. Offiziell gelten laut Gemeinsamem Bundesauschuss Regionen als unterversorgt, wenn sie einen Versorgungsgrad von 75 Prozent unterschreiten. Demnach sind nur 11 der 894 Planungsbereiche für Hausärzte unterversorgt. Die Kassen stufen die Unterversorgung allerdings schon beim Unterschreiten der 90-Prozent-Marke ein. Danach wären fast 90 Regionen vom Hausarztmangel betroffen.
Doch egal, wie man es definiert – dass vor allem in ländlichen Gebieten Ärzte fehlen, ist kein Geheimnis. Laut Kassenärztlicher Vereinigung liegt die Versorgung in Magdeburg bei 107, in Halle gar bei 115,5 Prozent. In Gardelegen (77,1 Prozent), Burg (75,1), Halberstadt (86,1), Staßfurt (86,2) oder Salzwedel (93,8) sieht es anders aus. „Es wird immer schwieriger, Ärzte zu gewinnen, die sich in ländlichen Regionen niederlassen wollen“, sagt Prof. Markus Herrmann, Direktor des Instituts für Allgemeinmedizin der Universität Magdeburg. Die Einzelpraxis, wie sie derzeit noch weit verbreitet ist, hält der Mediziner für ein Auslaufmodell. „Die jungen Menschen, die jetzt nach und nach in den Beruf rücken, sind auf der Suche nach anderen Möglichkeiten. Vor allem Ärztinnen setzen auf Teilzeit, aber auch auf die Arbeit im Team wird vermehrt Wert gelegt“, so Markus Herrmann.
Um Herauszufinden, welche wirksamen Möglichkeiten es gibt, eine qualitativ hochwertige Gesundheitsversorgung trotz Kostendrucks und demografischen Wandels zu gewährleisten, wurde in diesem Jahr mit der Konzeptentwicklung eines Modellprojektes in Wolmirstedt begonnen. Gefördert wird das Programm „PORT – Patientenorientierte Zentren zur Primär- und Langzeitversorgung“ von der Robert Bosch Stiftung. In Zusammenarbeit mit der Universitätsmedizin Magdeburg geht es dabei um die „Sicherung der Primär- und Langzeitversorgung einer alternden Bevölkerung in einer ländlichen Region“. Neben Wolmirstedt wurden weitere sieben Initiativen in Baden-Württemberg, Hessen, Schleswig-Holstein und in Berlin zur Förderung ausgewählt. Wolmirstedt sei prototypisch für eine in Sachsen-Anhalt überproportional alternde Bevölkerung, für deren Primärversorgung derzeit eine alternde Gruppe von mehrheitlich in Einzelpraxen tätigen Hausärzten zuständig ist, heißt es in der Begründung.
Im Rahmen des Modellprojektes sollen nun Magdeburger Wissenschaftler in Kooperation mit der Kommune und anderen Akteuren ein Konzept zum Aufbau eines innovativen Versorgungszentrums in Wolmirstedt als Beispiel für ein interdisziplinäres, berufsgruppen- und sektorenübergreifend agierendes Gesundheitszentrum erarbeiten. „Sowohl die Gemeinde als auch die AOK, der DRK-Kreisverband Börde oder beispielsweise Dr. Ulrich Apel haben sich als sehr engagierte Partner erwiesen“, sagt der Direktor des Instituts für Allgemeinmedizin. „Bis Dezember müssen im Rahmen der Konzeptphase viele Fragen geklärt werden … Wer übernimmt die Trägerschaft des Gesundheitszentrums, wer die finanzielle Verantwortung, wo gibt es geeignete Räumlichkeiten etc.?“
Prof. Markus Herrmann kennt derlei Modelle bereits aus anderen Ländern wie etwa Kanada, Brasilien, Australien oder Neuseeland. „In Kanada bedeutet ‚ländlicher Raum‘ unter Umständen, dass man sieben Stunden mit dem Auto zur nächstgrößeren Stadt braucht. Da kann man nicht schnell mal ins nächste Krankenhaus fahren.“ Lösungen, wie sie in Kanada gefunden wurden, kann sich der Mediziner daher auch für Sachsen-Anhalt vorstellen. „Zunächst ist es wichtig, den Menschen zu vermitteln, dass sich Gesundheit nicht nur passiv beeinflussen lässt. Es geht eben nicht nur darum, den Arzt aufzusuchen, um sich einen Krankenschein ausstellen zu lassen.“ Man müsse selbst aktiv werden – etwa durch bürgerschaftliches Engagement. „Und es ist von Bedeutung zu vermitteln, dass ein solches Gesundheitszentrum, wie in Wolmirstedt angestrebt, nicht nur ein ärztliches Institut ist, sondern viele Akteure vereint.“ Als Beispiele nennt Markus Herrmann die häusliche Versorgung, ambulante Pflege, Sozialberatung und eben gemeinschaftliches Engagement, indem beispielsweise Kurse – von Lauftraining über Yoga bis hin zu gesunder Ernährung – angeboten werden. „Die Integration von verschiedenen Gesundheits- und Sozialberufen und innovative Formen der Zusammenarbeit von ärztlichem und nicht-ärztlichem Fachpersonal ist dabei unumgänglich.“
Auch das Thema E-Health gewinnt nach Meinung des Mediziners in diesem Zusammenhang an Bedeutung. Damit ist nicht nur die Digitalisierung traditioneller Prozesse im öffentlichen Gesundheitswesen (elektronische Gesundheitsakten, elektronisch gestütztes Krankheits- und Wissensmanagement etc.) gemeint, sondern auch Gesundheitsinformationsnetzwerke, Vernetzung mit Apotheken oder Telemedizindienste, um die räumliche Trennung von Arzt und Patient zu überwinden. „Die Bundesregierung hat hierfür schon einen gesetzlichen Rahmen geschaffen“, so Markus Herrmann, „nun sollte die praktische Anwendung intensiviert werden.“