Mauern, Türme, Tore

19_30_Sepzial_Festung_1015_II_Layout 1Schon im Mittelalter war Magdeburg eine  Stadt mit Mauern.

Seit der Urbanisierung des fruchtbaren Landes an der Elbe stritten sich Menschen um die Vorherrschaft in den Siedlungen. Schon im frühen Mittelalter ließ kein geringerer Herrscher als Karl der Große nach einem Hoftag im Jahr 777 in Paderborn zum Sturm auf das Sachsenland blasen. Mit Schwert und Flammen sollten die „Heiden“ im Magdeburger Raum bekehrt werden.

Karls Truppen stießen bis zur Elbe bei Magdeburg vor und zwangen die slawischen Stammesfürsten zum Kniefall vor den Franken. Von nun an sicherten Kastelle und Grenzbefestigungen den Handelsplatz „Magadoburg“. Wegen seiner militärischen Bedeutung stieg die Ansiedlung in den Rang eines Königshofes. Die Eroberer errichteten Wälle, Palisaden und Spitzgräben um den heutigen Domplatz – die erste Bastion entstand. Unter Heinrich I. (von 919 bis 936 König des Ostfrankenreiches) entwickelte sich der Königshof zum herrschaftlichen Sitz. Feste Steinbauten verdrängten die damaligen Grubenhäuser, die Holzkirchen wichen den festen Gemäuern der Gotteshäuser der Pfalz.
Otto I. (lebte von 912 bis 973) ließ den Dombereich von Mauern umgeben, die dem Ansturm der Slawen und Polenkönige standhielten. Und auch im Laufe der folgenden Jahrhunderte schanzte sich Magdeburg immer mehr ein: Die Altstadt mit den kleinen Ansiedlungen schützten Palisaden und Gräben. Die Bischöfe Wichmann von Seeburg und Albrecht I. von Käfernburg errichteten im 13. Jahrhundert Mauerringe und wehrhafte Wohntürme. Die Erzbischöfe ließen den Palisadenzaun am relativ sichern Elbufer einreißen und durch eine Steinmauer ersetzen. Diese Wehranlagen boten den Anwohnern bereits Schutz im Krieg mit Heinrich dem Löwen. Die Sudenburg im Süden und Neustadt im Norden hatten eigene, allerdings weniger starke Befestigungen. Die umlaufende Steinmauer mit ihren Wehrgängen war geschützt von Türmen, so dem Welschen-, dem Hünen- und dem Tartaren-Turm. Wachleute kontrollierten die Zugänge zur Stadt an den Pforten und Toren: Nach Süden waren das Sudenburger Tor, nach Westen das Ulrichstor und das Schrotdorfer-Tor, nach Norden das Krökentor und die Hohe Pforte. Das Brücktor führte nach Osten zur Elbe.
Die Verteidigung der einzelnen Mauerbereiche unterstand den Pfarrbezirken und damit unter Aufsicht des Erzbischofs. Im 13. Jahrhundert gelang es den Einwohnern, dem Erzstift die Wehrhoheit abzukaufen. Damit bekam der Bischof Bargeld in seine stets klamme Kasse, die Stadt dagegen gewann ein Stück mehr Handlungsfreiheit. Als die Eigenverwaltung der Stadt durch die Bürger an Bedeutung gewann, bekamen Gilden und Zünften einzelne Mauerbereiche von den Stadträten zur Verteidigung zugeteilt. Bei einer geschätzten Zahl von 10.000 Einwohnern konnte die Stadt etwa 2.000 Wehrfähige auf die Mauern und vor die Wälle schicken.
Ihre Waffen mussten die Einwohner allerdings selber aufbringen. Regelmäßige städtische Kontrollen prüften die Funktionsfähigkeit von Lanzen, Äxten, Schwertern und Armbrüsten. Loskaufen von diesem Wehrdienst konnte man sich allerdings nicht. Im Gegenteil:  Besserverdienende waren sogar verpflichtet, Pferde bereitzuhalten. Darüber hinaus mussten sich alle Bürger, die älter als zwölf Jahre waren, an den Ausbesserungsarbeiten der Befestigungsanlage und an Schanzdiensten beteiligen. Befreit vom Wehrdienst waren nur der Klerus und die Mönche der Klöster und Stifte, denn sie mussten ja schließlich für den Erfolg ihrer kampfbereiten Mitbürger beten. Für die Kriegszüge des Erzbischofs ins Umland aber wollte der Rat nicht immer wieder die Söhne Magdeburgs aufs Schlachtfeld schicken. Man heuerte stattdessen kampferfahrene Söldner an. Als im 14. Jahrhundert moderne Kriegstechnik wie Pulverwaffen, Handröhren und Kanonen aufkamen, reagierte Magdeburg sofort: Die Verteidigungsstrategen verlegten das Gefechtsfeld von der Stadt aus gesehen weiter nach außen. Von einem zusätzlichen niedrigen Mauergang aus konnten Geschütze nun das feindliche Aufmarschgebiet beschießen. Neue Bollwerke und Rondelle sicherten die Flanken. Mit Elbewasser fluteten die Baumeister einen ringsum verlaufenden Graben. Damit war Magdeburg auf dem Landweg nur noch über Brücken erreichbar. Vor und hinter den Gräben sicherten Doppeltürme den Zugang zur Stadt.
Magdeburg war damit eine der besten gesicherten Festungen im Deutschen Reich. Bis zum Jahr 1631 gelang es keinem feindlichen Soldaten, seinen Fuß in die Stadt zu setzen… (rf)

Festungsbau und -fall sind Militärgeschichte

Magdeburg war eine gewaltige Festung. Unter preußischer Ägide entstand ein millitärisches Bollwerk, das im ganzen Land seinesgleichen suchte. Und doch hielt das ausgeklügelte Befestigungssystem der Zeit nicht stand. Allerdings sind die wehrhaften Mauern keinem kriegerischen Angriff zum Opfer gefallen. Die Elbestadt explodierte mit Beginn der Industrialisierung quasi von selbst. Damit einher ging ebenfalls eine rasante Entwicklung der Militärtechnik. Festungsanlagen wie sie Magdeburg schützen sollten, waren strategisch kaum noch von Bedeutung. Die Wirtschaftskraft der Stadt war stärker als alle Gräben und Mauern zusammen. Unser aktueller Blick in das Gesicht der Stadt kann wenig verständlich machen, wie sich das Leben im Inneren der Mauern anfühlte. Man kann aber mit offenen Augen durch existierende, mittelalterliche Städtchen wie Quedlinburg oder Tangermünde spazieren. Wer aufmerksam hinsieht, erkennt schnell, dass diese Orte eng bebaut sind. Unsere heutige Vorstellung von einer grünen Stadt mit Parkanlagen, Bäumen und begrünten Flächen hatte innerhalb damaliger Stadtmauern keinen Platz. Der erste, der in der Magdeburger Festung für Grün sorgte, war übrigens Fürst Leopold von Anhalt-Dessau. Während seiner Regierungszeit wurde der Fürstenwall umgewidmet. Mit Erdaufschüttungen und einigen Umbauten entstand eine Mischung aus Park, Wohnungen und Wirtschaftsbetrieben. Dieses Ensemble ist in Teilen noch sichtbar. Manche zeitgenössische Vorstellung darüber, dass Menschen während der Renaissance und folgenden Epochen ein leichtes oder abenteuerlustiges Leben geführt hätten, ist eine romantisierte Verklärung. Enge, Dunkelheit, Feuchtigkeit, Frieren in kalten Monaten, Hunger, schwere Arbeit und Drill waren Normalität. Die Alltagsgeschichte ist leider zu wenig dokumentiert. Vor der Industrialisierung waren Lesen und Schreiben unter’m gemeinen Volk nicht weit verbreitet. Deshalb fehlen uns detaillierte Aufzeichungen und Lebensbeschreibungen aus Sicht der unteren Schichten. Die Regierenden ordneten für ihre strategischen Erwägungen den Festungsbau an, die einfachen Leute mussten ihn errichten. Der dynamische Aufschwung der Magdeburger Schwerindustrie mit einhergehender Zuwanderung und Bevölkerungsexplosion war auch der Militärwirtschaft geschuldet. Magdeburg wandelte sich vom Verteidigungsort zur Rüstungsschmiede. Die Festungsmauern enstanden nicht nur aus militärischen Erwägungen, sondern wichen auch aus solchen Gründen. Der Fall der Festungsanalagen mag zwar bauhistorisch ein Verlust sein, für die Entwicklung der Stadt sowie der heute möglichen Lebensqualität in Magdeburg war dies eine wichtige Voraussetzung. Heute gibt es viele Magdeburger, die mit engagierten Taten an die bauliche Stadtgeschichte erninnern. Mauern, Forts und Wehranlagen werden in einige Details wieder sichtbar. Damit schenken sie aktuellen und künftigen Generationen eine Möglichkeit, auf vielfältige Weise in die facettenreiche Geschichte Magdeburgs eintauchen zu können.
Thomas Wischnewski