Mit 89 die EM-Krone aufsetzen!

Jutta Apel auf dem Tennisplatz des 1. TCM in der Salzmannstraße. Nach ihrem WM-Erfolg 2006 will sie nun in Österreich die Europameisterschaft gewinnen. Foto: Peter Gercke

Jutta Apel auf dem Tennisplatz des 1. TCM in der Salzmannstraße. Nach ihrem WM-Erfolg 2006 will sie nun in Österreich die Europameisterschaft gewinnen. Foto: Peter Gercke

Jutta Apel oder wie man mit über 80 Jahren
Tennisweltmeisterin wird.

Von Viola Leonarzcyk

Jutta Apel hat ein Ziel: Im Juni will sie Europameisterin im Damentennis werden. Das Vorhaben klingt zunächst wie eine Sensation. Wer kennt in Deutschland, im Land von Boris Becker und Steffi Graf, die Magdeburgerin Jutta Apel? Ein Sieg der Elbestädterin ist nicht unwahrscheinlich. Schließlich war sie bereits 2006 Welt-meisterin. Ein Tennis-Champion aus Magdeburg und kaum jemand nimmt davon Notiz? Das mag an den besonderen Umständen liegen, unter denen Jutta Apel ihrem Sport nachgeht.


„Am Anfang des Trainings denke ich manchmal, ich werde aufs Schafott geführt. Nach einer halben Stunde geht es mir dann besser“, sagt die gebürtige Magdeburgerin. Sie steht mitten auf dem Tennisplatz und lebt in diesem Augenblick das, was sie fast ihr ganzes Leben lang am liebsten tat: Tennis spielen. Man muss wissen, dass Jutta Apel 89 Lebensjahre zählt. Sicher fällt es ihr heute nicht mehr so leicht, jedem Ball hinterher zu laufen. Die Jahre zollen ihren Tribut. Dennoch hält sie sich in jeder Hinsicht fit. Die Teilnahme an den Europameisterschaften im Juni in Österreich ist fest eingeplant.
Für diesen Wettkampf beginnt schon zu Hause jeder Tag mit Gymnastik. „Sonst komme ich gar nicht erst richtig hoch“, scherzt sie. Auch im Kopf will sie munter bleiben und trainiert die „Denkmuskeln“ mit Freunden beim Bridge-Spielen. So eine Partie könne von morgens bis abends andauern. „Das ist anstrengend, aber es hält mich geistig in Schwung“, betont sie. Jutta Apels Tage sind gefüllt. Training, Unternehmungen, Freundinnen und Freunde treffen. Da bleibt keine Zeit fürs Klagen über Altersschwächen. Sie nimmt das Leben wie es kommt. Und wenn man die Tage sinnvoll füllt, ist jeder Tag irgendwie reich.
Es ist ein sonniger Mai-Freitag. 10 Uhr morgens steht Jutta Apel sportlich elegant gekleidet vor der Haustür. Training steht auf dem Vormittagsprogramm und nebenher spaziert sie berichtend und erinnernd durch ihr ereignisreiches Leben. Auf der Anlage des „1. Tennis Club Magdeburg“ in der Salzmannstraße widmet sie ihrem Sport viel Zeit und mit der Bewegung unter der Sonne purzeln ihr die Lebensereignisse wie ein leichter Schlagabtausch aus den Erinnerungen. Die hochgewachsene schlanke Frau wurd am 2. Mai 1926 in Magdeburg geboren. Die Leidenschaft zum Tennis wurde ihr möglicherweise schon in die Wiege gelegt. Die Eltern frönten dem Sport mit Hingabe. Jutta Apel stand bereits als kleines Mädchen regelmäßig am Spielfeldrand. „Damals war dies noch kein Sport für Kinder“, sagt sie. Man basteltete sich aus quadratischen Holzplatten einen provisorischen Schläger und spielte damit eher schlecht als recht.
Die Kriegsjahre unterbrachen die sportlichen Aktivitäten. Jetzt zählten andere Sorgen. Tennis rückte in den Hintergrund, war aber nicht vergessen. Als sich das Leben nach Kriegsende wieder einigermaßen normal anfühlte, wurde sie von ihrer Mutter an den weißen Sport herangeführt. Das traf zu dieser Zeit überhaupt nicht auf das Interesse der Teenagerin. Jutta Apel entschied sich für die Sportart Leichtathletik. „Ich war in unserer Gruppe die zweitschnellste Läuferin“, bekennt sie. Während dieser aktiven Sportzeit lernte Jutta Apel ihren späteren Mann kennen. Die Heirat fand 1949 statt und in diesem Jahr fand sie den Weg zum Tennisspiel. In ihrem bewegten Sportlerleben nahm ihr Ehemann eine wichtige Rolle ein. Er kümmerte sich während ihrer Abwesenheit um Tochter Corinna. Ohne diesen Rückhalt hätte sie vieles nicht erreichen können. Hinter einer starken Frau stehe eben oft ein Mann mit Verantwortungsbewusstsein, besonderer Sensibilität und Toleranz. „Dieser menschliche Schatz wurde mir erst später richtig bewusst“, sagt sie.
Die Tenniskarriere begann sie mit damals 24 Jahren bei Germania in Stadtfeld. Einen Trainer hatte Jutta Apel zunächst nicht. Sie lernte durch zuschauen, nachmachen und ausprobieren. Selbst ist die Frau – so lautete die Devise. „Ein Jahr später spielte ich in der Damenmannschaft. 1952 nahm ich an den deutschen Meisterschaften in Leipzig teil und konnte durch die Wettkämpfe die Vergünstigung für Extra-Lebensmittelkarten nutzen.“ Je tiefer die 89-Jährige in die Geschichte eintaucht, um so mehr Begebenheiten kommen zum Vorschein: „Irmgard Halbauer-Jacke war damals die Nummer 1. Wir trafen im Endspiel aufeinander. Es stand 5:5. Plötzlich kamen so viele Zuschauer hinzu und wollten eine Sensation erleben. Ich traf vor Aufregung einige Male den Ball nicht mehr und verlor das Spiel.“
Neben ihrem Sport hat Jutta Apel 40 Jahre lang als Pädagogin gearbeitet und unterrichtete Mathematik. Sie erlebte damals die Einführung der Koedukation. Mädchen und Jungen wurden nun in einem Klassenzimmer unterrichtet. „Das war eine schwierige Umstellung. Heute kann sich das keiner mehr vorstellen.“ Mit Durchsetzungsvermögen musste sie oft Streitigkeiten zwischen den Geschlechtern schlichten. Die sportliche Statur half ihr, bei den Jungen Respekt zu erlangen. „Ich konnte den Schlagball weiter werfen als sie“, erzählt sie.
Ab 1955 spielte Jutta Apel für Motor Mitte Magdeburg – da, wo heute der „1. TCM“ zu Hause ist. Riesige Erfolge konnte sie vorerst nicht erlangen.  Bis 1990 war sie zweimal Seniorenmeisterin. Mitten im Wendejahr war ihr Gatte verstorben und die Tochter schon lange aus dem Haus. Diese Zäsur war für Jutta Apel auch ein persönlicher Wendepunkt. Von jetzt an reiste sie mit ihrer Freundin Helga Müller von Turnier zu Turnier. 1993 spielte sie die erste WM. Als 67-Jährige verlor sie im Viertelfinale gegen eine Engländerin. Die Teilnahme an der Weltmeisterschaft war für Jutta Apel nun Pflichtprogramm. „Dadurch habe ich viel von der Welt gesehen. Der Sport hat mich in viele Länder getragen“, sagt sie. Und Fleiß, Ehrgeiz und Ausdauer brachten 2006 die Sensation. Im Endspiel traf sie auf die an Nummer 1 gesetzte Alain Mason aus den USA und besiegte sie. Im selben Jahr wurde die Magdeburgerin sowohl im Einzel als auch im Doppel Weltmeisterin. Die Erfolge wiederholte sie 2009 und 2011 im australischen Perth 2011 im Doppel. „Ich hätte früher lieber halbtags gearbeitet, um mehr Zeit auf dem Platz verbringen zu können. Das hätte mir sicher früher mehr Siege eingebracht“, resümiert sie heute. Aber im Juni, wenn es in Österreich um die Europameisterschaft bei den Seniorinnen geht, will Jutta Apel noch einmal auftrumpfen. Deshalb macht sie beim Training keine Abstriche und erntet die Bewunderung für so viel Energie und Stärke.