Magdeburg meistert mehrere Großbaustellen gleichzeitig. Im Mai beginnen die Abrissarbeiten am „Blauen Bock“. Der Tunnelbau am Bahnhof läuft ebenfalls bis 2019 wie der SWM-Neubau. Das neue Domviertel soll für einen höheren Pulsschlag im südlichen Stadtzentrum sorgen und der neue Brückenschlag nach Osten steht in wenigen Jahren an.
Von Thomas Wischnewski
Magdeburg steht derzeit mächtig unter Strom. Das von Hermann Adam von Kamp 1818 verfasste Lied „Alles neu macht der Mai“ trifft das Geschehen in der sachsen-anhaltischen Landeshauptstadt im Frühjahr 2016. Am 9. Mai geben die Städtischen Werke Magdeburg (SWM) den Startschuss für den Abriss des letzten Schandflecks im Herzen der Innenstadt. Der „Blaue Bock“ an der Kreuzung Breiter Weg / Ecke Ernst-Reuter-Allee soll bis zum November gefallen sein. Zunächst wird die Baustelle mit einem Bauzaun und einem Fußgänger-Schutztunnel parallel zur MVB-Haltestelle Alter Markt eingerichtet. Dann rücken die Abbruchbagger der Firma Geistlinger an, um den Plattenbau stufenweise abzutragen.
Als erstes wird der Verbinder zwischen Karstadt-Warenhaus und „Blauer Bock“ abgerissen. Unmittelbar nach dem Pfingstfest soll die erste Platte fallen. Eine innerstädtische Großbaustelle beeinträchtigt natürlich das City-Leben. Auf der Ernst-Reuter-Allee muss eine Fahrbahnspur für die Baustellenzufahrt gesperrt werden. Die Freifläche zwischen Abrisshaus und Karstadt kann für die schwere Bautechnik nicht genutzt werden. Im Untergrund befinden sich Kellergewolbe und eine zivile Luftschutzbunkeranlage. Die Traglasten der Decken sind für das Baugerät nicht ausgelegt.
Mit dem Abriss bis zum November sei man den Wünschen von Karstadt nachgekommen, sagt SWM-Geschäftsführer Helmut Herdt. Zum Weihnachtsgeschäft möchten die Kaufhaus-Verantwortlichen weniger Beeinträchtigung durch Bauarbeiten spüren. Geplant ist, dass die Arbeiten tagsüber zwischen 7 und 18 Uhr erfolgen. Nur in Ausnahmefällen könnte der Abriss auch bis in die Nachstunden erfolgen. Darüber werde die SWM im Einzelfall informieren. Das eigentliche Neubauvorhaben startet dann Anfang 2017 und 2019 soll das Gebäude eröffnet werden. Seit 1. Januar 2015 sind die Städtischen Werke Eigentümer der Immobilie. Das Unternehmen hat seither nicht viel nur Wärme aus Gas produziert, sondern bei diesem Bauvorhaben mächtig Gas gegeben. Seit der Deutschen Einheit existiert der Wunsch, der wichtigen Ecke inmitten der Landeshauptstadt ein neues Antlitz zu schenken. Bemühungen, Inverstoren zu gewinnen liefen über viele Jahre ins Leere. Verhandlungen mit den angrenzenden Karstadt-Eigentümern, das Areal zu erschließen, führten zu keiner Lösung. Den Herzschrittmacher für einen kräftigeren City-Pulsschlag setzen nun die SWM. „Mit dem Konzept von Junk und Reich haben wir ein Gebäude ausgewählt, welches durch seine hohe Ästhetik und Funktionalität unserem Anspruch gerecht wird, für die Stadt eine neue Mitte zu schaffen“, sagt Helmut Herdt. „Mit dieser Idee können wir dem Wunsch der Magdeburger nach einem offenen Haus nachkommen und bieten unseren Mitarbeitern einen modernen Arbeitsort mit optimalen Bedingungen für die Erfüllung ihrer Aufgaben, die Magdeburger zuverlässig mit Energie zu versorgen.“ Darüber hinaus können hochwertige Gewerbeflächen in der besten Lage angeboten werden. „Auch hierdurch wird die Attraktivität in der Innenstadt aufgewertet“, so Helmut Herdt. „Damit auch verbunden ist die umfassende Neugestaltung der Freifläche zwischen den Gebäuden Blauer Bock und Karstadt, von der beide Seiten profitieren werden.“ Unter dem Strich kann man das Unterfangen als aussichtsreiche Operation am offenen Herzen der Stadt bezeichnen.
Die Innenstadt zeigt derzeit noch einige offene Wunden. Die Einweihung der neuen SWM-Hauptverwaltung könnte ins selbe Jahr fallen wie die Eröffnung des Tunnels am Damaschkeplatz. Vorrausgesetzt, der Terminplan kommt an diesem Bauvorhaben nicht noch weiter durcheinander. Und noch ein Großbauprojekt im Herzen der Stadt wirft längst seine Schatten voraus. Seit über einem Jahr wird am südlichen Breiten Weg zwischen Domplatz und Hasselbachplatz kräftig gebaut. Hier soll in den nächsten Jahren ein neues Domviertel entstehen. Drei große Wohnungsunternehmen der Stadt gehen den Lückenschluss gemeinsam an. Drei große Magdeburger Wohnungsunternehmen, die Wohnungsbaugesellschaft Magdeburg mbH (Wobau), die Wohnungsbaugenossenschaft Otto von Guericke eG und die MWG-Wohnungsgenossenschaft eG beplanen das Areal gemeinsam. Knapp 30 Millionen Euro sollen an dieser Stelle investiert werden. Hier reift die Hoffnung, dass der Breite Weg durch die Neubebauung an Attraktivität als Flaniermeile gewinnt und dass die Strecke zwischen Alter Markt und Hasselbachplatz lebendiger wird.
Eine derart sichtbare Bautätigkeit hat Magdeburgs City seit Mitte der 90er Jahre nicht mehr gesehen. Damals entstand das City-Careé, das Allee-Center, das Ulrichshaus, der Neubau des Maritim-Hotels, es wurden jede Menge vorhandene Gebäude saniert und Fassaden neu gestaltet. Der Nord LB-Gebäudekomplex, das „Marietta Quartier“ und die „Grüne Zitadelle“ waren große Neubauvorhaben in der City. Seit zwei Jahren steht der Katharinen Turm, wodurch die Wobau dem ehemaligen Haus der Lehrer eine neue Bestimmung geschenkt hatte.
Über Stillstand dürfte sich kein Magdeburger beklagen. Für die Größe Magdeburgs ist die Summe aller Bauvorhaben eine gewaltige Leistung. Mit Blick auf den Berliner Flughafen in Schönefeld, der vergleichsweise zur Größe der Bundeshauptstadt gegenüber der sachsen-anhaltischen Landeshauptstadt, wie eine kleinere Herausforderung erscheint, werden die Bauwerke an der Elbe sogar ziemlich pünktlich fertiggestellt. In Sachen Bau versteht Magdeburg sein Handwerk. Möglicherweise schlägt hierzulande fürs Bauen ein hoher Puls. Und das Schicksal der Magdeburger, ihre Stadt mehrmals nach einer Zerstörung wieder errichten zu müssen, könnte als einzigartige Fähigkeit gedeutet werden, solche Vorhaben meistern zu können.
Und Magdeburg ist auch mit den aufgezählten Operationen im Herzen der Stadt noch nicht am Ende. Die Sanierung der Anna-Ebert-Brücke steht bevor sowie der Neubau der Strombrücke. All diese Bauten verlangen den Magdeburgern eine Menge Geduld ab. Einschränkungen und Belastungen müssen hingenommen werden. Aber was sind solche Begleiterscheinungen gegenüber Untätigkeit und Stillstand. Die historisch erlittenden Wunden der Stadt sind nichts gegen Einschränkungen durch Baustellen. Dies sind Zeichen für Zukunft.