Oberbürgermeister Dr. Lutz Trümper über Flüchtlingspolitik,
berechtigte Medienkritik und Systemfehler.
Herr Oberbürgermeister, am 14. Oktober 2015 haben Sie Ihren Austritt aus der SPD erklärt. Nun sind drei Monate ins Land gegangen.
Haben Sie inzwischen im Alltag Veränderungen bemerkt?
Dr. Lutz Trümper: Wir hatten bisher zwei Stadtratssitzungen. Da habe ich bisher keine Änderungen feststellen können.
Könnte es künftig für Sie komplizierter werden, Mehrheiten im Stadtrat zu organisieren?
Natürlich war es vorher komfortabler, wenn ich nur zwei Fraktionen überzeugen musste und dabei die SPD-Stadträte oft schon hinter mir wusste. Doch ich bin zuversichtlich, dass es keine großen Probleme geben wird, wenn wir an den konkreten Projekten arbeiten.
Ist für Sie eine Rückkehr in die SPD möglich?
Ich habe in Verbindung mit meiner Entscheidung gesagt, dass nichts endgültig sei und immer von Bedingungen abhängt. Jetzt warten wir erst einmal die Landtagswahl am 13. März ab.
Man bemerkt auf jeden Fall, dass Lutz Trümper ein politischer Mensch bleibt. Sie mischen sich häufig bei Facebook mit Ihrer Meinung in öffentliche Debatten ein.
Man kann mit Facebook heute gut Meinungen transportieren und Diskussionen führen. Da bin ich nicht nur von der Wiedergabe unserer hiesigen Tageszeitung abhängig, die in den vergangenen Monaten in einigen Fällen nicht korrekt berichtet hat.
Das heißt, Sie schließen sich der öffentlichen Medienkritik an?
Niemals pauschal! Manchmal wird schon eine Menge Unfug geschrieben. Medien sollten sich hüten, zu überziehen und zu übertreiben. Auch in der Presse spiegelt sich manchmal eine beleidigende Art wider, wie Menschen darin kritisiert werden.
Wie ist die derzeitige Flüchtlingssituation in der Landeshauptstadt?
Derzeit haben wir etwa 1.000 Personen, die wahrscheinlich ein dauerhaftes Bleiberecht erhalten können. Das ist grundsätzlich eine überschaubare Größe. Aber lassen Sie mich noch einmal zum Ausgangspunkt zurückkommen: Vor einem Jahr, als Pegida & Co. begannen zu demonstrieren, habe ich in der SPD dafür geworben, Antworten auf Zuwanderung und Flüchtlingsströme zu geben. Da ist aber nichts passiert. Man hätte zum Sommer besser gerüstet sein können.
In der Flüchtlingspolitik ist eine Kehrtwende zu beobachten. Unterstützen Sie einen Kurswechsel?
Viele fordern gesetzliche Verschärfungen. Meiner Meinung nach brauchen wir das nicht. Das Problem ist doch eher, dass die bestehenden Mechanismen gar nicht funktionieren, das Abschiebeverfahren beispielsweise…
… Also wir schaffen das eher nicht?
Man kann die Komplexität des Geschehens nicht auf einen Satz reduzieren, egal in welche Richtung. Wir müssen uns auf die Veränderungen in der Welt einrichten. Globalisierung und Informationsflüsse schreiten voran. Junge Menschen wissen heute, wie sie sich mithilfe von Navigation und Kommunikation wohin bewegen können. Außerdem muss die westliche Welt das soziale Gefälle vorrangig zwischen Süd- und Nordhalbkugel ernst nehmen. Da kommt bei mir der Naturwissenschaftler durch. Gibt es ein Ungleichgewicht, tendiert ein System immer in Richtung Balance. Wenn 80 Prozent der Menschheit verglichen mit uns schlecht leben, wird das diese Mehrheit nicht dauerhaft hinnehmen. Was haben vorrangig die westeuropäischen Nationen in den vergangenen Jahrhunderten gemacht? Märkte erobert und ein gigantisches Wirtschaftsgefälle verursacht. Das geht doch nicht so weiter.
Vor welchen Aufgaben steht Magdeburg?
Bleiben wir bei den Flüchtlingen. Die etwa 1.000 Bleibeberechtigten können Hartz IV beantragen. Die Sprachbarrieren lassen sich mit Deutschkursen überwinden. Da sind wir dran, und das kriegen wir auch hin. Die Kinder und Jugendlichen sind dabei weniger das Problem, weil sie in die Schulen gehen und damit sozialen Anschluss finden. Problematischer sieht es bei den Erwachsenen aus. Wenn ich bei der Arbeitsagentur anrufe und wissen will, welche Qualifikationen die Bleibeberechtigten mitbringen, erhalte ich zur Antworte, dass das Erfassungssystem dazu keine Auskünfte geben kann. Auch wissen wir, dass wirkliche Fachkräfte nur in wenigen Fällen aktuell gesucht werden. Flüchtlinge werden frühestens in fünf bis zehn Jahren als Fachkräfte ausgebildet sein. Die meisten verfügbaren Jobs, sind solche, die keiner machen will. IHK, Handwerkskammer und Jobcenter ermitteln den Fachkräftebedarf per Befragung. Unsere wirklichen Probleme stecken in den eigenen Systemen.
Fragen: Thomas Wischnewski