Viele Erfolge und einige Fragezeichen kennzeichnen den Weg des SCM-Handball-Nachwuchses.
Von Rudi Bartlitz
Wenn Jungspunde wie einst Christian Sprenger oder später Matthias Musche zu ihren unwiderstehlichen Sprints ansetzten, nur Zentimeter von der über einen Meter hohen sperrigen Holzbande entfernt, für die Zuschauer im Wortsinn zum Greifen nah – dann brodelte es in der altehrwürdigen Hermann-Gieseler-Halle. Das war Handball, wie ihn der Fan sich wünschte. Selbst wenn es nicht die Eliteklasse der deutschen Ballwerfer war, die da in der Stadtfelder Arena zu besichtigen war, sondern „nur“ der Nachwuchs des SC Magdeburg, die zweite Liga, später die dritte. Egal. Jungs wie Yves Grafenhorst, Andreas Rojewski, Christoph Theuerkauf, Bennet Wiegert, Dario Quenstedt, Christian Schöne, Tobias Reichmann oder Andreas Ziemer, sie sorgten für Begeisterung. Sie alle gingen durch die Schule der SCM-Youngsters. Und alle wurden sie später Nationalspieler.
Wenn die Youngsters in diesem Jahr auf ihr 15-jähriges Bestehen zurückblicken, wird das zwar nicht groß gefeiert, eine Erfolgsstory bleibt es aber allemal. Dabei ist die Entstehungsgeschichte des Teams keine, die, akkurat wie auf einem Reißbrett, vorgeplant war. Eher im Gegenteil. Als der damalige Zweitligist Fermersleber SV zur Jahrtausendwende insolvent ging, war guter Rat teuer. „Aufhören oder weitermachen? Wir haben lange beratschlagt, was aus dem Handball beim FSV, dem Nachfolger der einst erfolgreichen Sportgemeinschaft Lok/Motor Südost, werden sollte“, erinnert sich Jürgen Brand, der heute als Liga-Obmann noch immer die Geschicke der Youngsters mit in den Händen hält. „Wir wollten auf jeden Fall das Spielrecht für die dritte Liga erhalten und fanden so zum SCM“, erzählt der 80-Jährige, der seit Jahr und Tag bei den Heimspielen der Youngsters als Hallensprecher fungiert.
Fünf Jahre tummelten sich die Mannschaft in der Regionalliga Nordost unter den Top drei, bis dann 2005 der ersehnte Aufstieg in die 2. Liga gelang. Sechs Jahre hielt man als SCM II die Klasse, bis dann 2011 der folgenreiche Reform-Beschluss des Deutschen Handballbundes (DHB) kam, der es sogenannten Farm-Teams von Bundesliga-Klubs untersagte, in der neugebildeten eingleisigen zweiten Liga zu spielen. Zwangsabstieg also. Für Magdeburg ein markanter Einschnitt. Erneut stellte sich die Frage: Weiter? Und wenn ja, wie?
Das Ergebnis war eindeutig: Wir machen weiter, beschlossen die Verantwortlichen, aber es wird sich bei der „Zweiten“ künftig vorrangig um eine Ausbildungsmannschaft handeln. Diese Konzentration auf fast ausschließlich junge Akteure führte dann auch, fast zwangsläufig, zum Beinamen Youngsters. Brand: „Wer genau diesen Namen ins Spiel brachte, weiß ich gar nicht mehr.“ Die junge Garde jedenfalls schlug sich in der dritten Liga in Duellen mit Vertretungen, deren Spieler älter, weit erfahrener und körperlich robuster waren, mehr als wacker. 2014 wurde man Staffelzweiter, ein Jahr drauf sogar Staffelsieger (ohne eben aussteigen zu können). Und Anfang November 2015 grüßten die SCM-Jungmänner, bei denen etwa die Hälfte des Kaders noch in der A-Jugend spielberechtigt ist (Durchschnittsalter 18,8 Jahre), erneut von der Tabellenspitze.
Dieser Erfolg ist untrennbar mit einem Namen verbunden: Bennet („Benno“) Wiegert. „Als er im Januar 2014 als Trainer zu uns kam, war das ein Glücksfall“, betont Brand. Der hauptamtlich als Jugendkoordinator beim Magdeburger Klub tätige 33-Jährige weiß als ehemaliger Nationalspieler und Champions-League-Gewinner mit dem SCM ganz genau, wie der Hase auf dem Parkett läuft. „Benno ist 100-prozentig authentisch“, lobt Brand. „Und obwohl wir, wie gesagt, eine Ausbildungsmannschaft sind, ist er ehrgeizig, will jedes Spiel gewinnen. Das gibt seinen Schützlingen, bei aller Beachtung individueller Förderung, eben auch das Gefühl, wirklich im Wettkampf zu stehen.“
Staffelzweiter, Staffelsieger – die jungen Burschen waren also, wie es so schön heißt, auf einem guten Weg. Doch dann passierte etwas, was die Entwicklung erneut an einen Scheideweg brachte: Die Youngsters drohten ihre Heimspielstätte, eben jene legendäre Gieseler-Halle (die Gegner sprachen früher oft von der „Gieseler-Hölle“), für immer zu verlieren. Schlimmer noch: Zur selben Zeit tauchten in der Magdeburger Handball-Szene Gerüchte auf, die wissen wollten, mit dem Hallen-Aus sei zugleich das Aus für die Youngsters als Mannschaft besiegelt.
Was ist dran? Magdeburg Kompakt begab sich auf Spurensuche. Fakt ist, dass die jungen Wilden des SCM (dazu zählt auch die A-Jugend) bis zum nächsten Sommer nur mit einer Ausnahmegenehmigung des DHB in der 1922 als Viehmarkthalle eröffneten Gieseler-Halle auflaufen dürfen; dafür hatte sich auch Oberbürgermeister Lutz Trümper in einem Brief an den DHB eingesetzt. Der Verband seinerseits hatte moniert, dass die Ausmaße des Spielfelds nicht mehr den Vorschriften entsprechen. Konkreter gesagt: Der Abstand zwischen Außenlinie und der alten Holzbande schien den Funktionären zu eng. Es geht, so sagt Brand, um läppische 20 Zentimeter. Die haben, als es in der „Gieseler“ bis 1997 noch richtig um Bundesligapunkte ging, niemanden gestört. Die Bande war auch kein Hinderungsgrund als unter den charakteristischen Rundbögen in Magdeburg 1958 und 1974 sogar Partien der Handball-Weltmeisterschaft ausgetragen worden waren. Und von schweren Verletzungen, die ihre Ursache eben in der hinderlichen Bande gehabt hätten, wissen Augenzeugen seit Jahren nicht zu berichten.
Zu dem Banden-Ärger kam noch etwas anderes: Die Stadt als Eigentümer der – zugegeben sanierungsbedürftigen – Arena geriet nach den Auflagen des DHB für einen Umbau und den errechneten Kosten für eine Komplettsanierung ins Grübeln. Nach einem Gutachten der Verwaltung würde dies satte 22 Millionen Euro kosten. Kein Verhältnis zum Nutzen, meint die Stadt und schlägt in einer Beschlussvorlage vor, die Sportnutzung aufzugeben und die Halle anderweitig zu vermarkten. Als Ersatz soll, wahrscheinlich am Lorenzweg, eine neue Funktionshalle hochgezogen werden – für ein Drittel der avisierten Sanierungskosten. Bis 2018, so wurde dem SCM versichert, kann sie jedoch weiterhin für den Sport genutzt werden.
Und genau da liegt nun der Hase im Pfeffer. „Wir haben uns Im Verein in den vergangenen Tagen klar dazu bekannt, dass wir mit den SCM-Youngsters auch in die nächste Saison der dritten Liga gehen wollen“, wischt SCM-Manager Marc Schmedt auf Anfrage zunächst kursierende Gerüchte vom Tisch. „Doch wollen heißt nicht, dass wir es auch können. Für uns macht das Konstrukt SCM-Youngsters nur einen Sinn, wenn wir die Genehmigung bekommen, bis 2018 die Gieseler-Halle nutzen zu dürfen, bevor es dann in eine neue Spielstätte geht „Ein zeitweiliger Umzug nach Barleben oder Niederndodeleben kommt für uns nicht in Frage – zumal das ja auch die A-Jugend betreffen würde.“ Das sieht auch Brand so: „Wir werden um die Gieseler-Halle kämpfen. Wir benötigen sie nicht nur als Spielstätte mit einer einmaligen Atmosphäre, sondern auch, um unseren rund 100 Sponsoren die Möglichkeit zu geben, sich in Magdeburg zu präsentieren.“
Schmedt belässt es im Gespräch mit Magdeburg Kompakt nicht nur bei einem Plädoyer für die Gieseler-Halle. „Mindestens ebenso wichtig ist, am Konzept einer Ausbildungsmannschaft festzuhalten. Die individuelle Förderung eines Talents hat dabei, das möchte ich unterstreichen, Vorrang vor dem Mannschaftsergebnis. Zugleich müssen wir zur Kenntnis nehmen, welche Veränderungen sich im Handball seit der Gründung der Youngsters vor 15 Jahren vollzogen haben. Das ist nicht mehr vergleichbar. Für die jungen Spieler wird es immer schwerer, den Sprung von der dritten Liga in die Bundesliga zu packen. Das gelingt nur noch ganz wenigen. Linksaußen Matthias Musche war bei uns zuletzt ein solcher Glücksfall.“
Ist das einst vielgepriesene Magdeburger (Handball)Modell, das eine besondere Förderung eigener Talente versprach, also ein Auslaufmodell? Schmedt: „Auch hier sage ich: Das ist nicht mehr vergleichbar. Natürlich betreiben wir weiterhin eine intensive Nachwuchsarbeit. Die Erfolge geben uns Recht. Zudem bilden wir Spieler für den deutschen Handball und für die Region aus. Die 16- bis 21-Jährigen, die zu uns kommen, tun ebenso etwas für sich, für ihre Persönlichkeitsentwicklung, lernen Teamwork.“ Noch etwas anderes liegt dem Manager am Herzen: „Gab es vor 15 Jahren Zentren für Anschlussförderung im Handball nur in Magdeburg und Minden, so hat heute nahezu jeder Bundesligist ein solches Zentrum. Die Talente strömen also nicht mehr automatisch nach Magdeburg. Hinzu kommt ein demographisches Problem. Die Zahl derjenigen, die zum Handball wollen, ist in einer Generation Playstation nicht mehr so hoch. Zudem ist das Leistungsgefüge in der Bundesliga heute so eng, da entscheidet manchmal jeder Wurf, jedes Tor. Da kann man es sich kaum noch erlauben, jungen Akteuren die sicher wünschenswerten längeren Einsatzzeiten zu geben. Dazu steht einfach zu viel auf dem Spiel. Für Anschlusskader wie Vincent Sohmann oder Philip Ambrosius wäre es deshalb besser, wenn sie den Umweg über ein Zweitliga-Team nehmen könnten, um sich dort das nötige Rüstzeug zu holen. Oder sie gehen wie Torhüter Dario Quenstedt den Weg über einen anderen Bundesligisten (Lübbecke, d. Red.), und kehren dann zu uns zurück. Ich hielte es auf jeden Fall für wünschenswert, wenn Dessau, ein Team aus Sachsen-Anhalt, im nächsten Jahr den Aufstieg in die zweite Liga schaffen würde. Dann könnte man konkret über Zweitspielrechte reden.“ Fazit: Die jungen wilden Handballer aus Magdeburg auf ihrem Weg zu verfolgen, das bleibt weiter spannend. Leistungsmäßig allemal, vor allem aber sport-politisch.