Bildung – darüber schwebt der ewige Streit um beste pädagogische Konzepte. Bietet Magdeburgs Schullandschaft ein gutes Fundament für die Generation Zukunft?
Von Thomas Wischnewski
Schule ist Pflicht – und das ist auch gut so. Hinter der Forderung, Kinder in die Schulbank zu zwingen, steckt nichts anderes als der gesellschaftliche Anspruch für eine solide Bildung der Bürger zu sorgen. Doch was ist solide, notwendig, angemessen, fördernd und wird künftigen Anforderungen gerecht? Über das Wie und Was in der Schule streiten sich die Geister schon immer, wahrscheinlich so lange es Schulen gibt. In Magdeburg gingen im Schuljahr 2014/15 insgesamt 18.373 Mädchen und Jungen in 69 unterschiedliche Schulen (36 Grundschulen, neun Gemeinschaftsschulen, acht Gymnasien, vier Sekundarschulen, neun Förderschulen, zwei Integrierte Gesamtschulen und die Freie Waldorfschule). Die Bildungslandschaft scheint bunt. 5.590 Schülerinnen und Schüler lernten an den acht Gymnasien der Stadt. Das ist jeder Dritte schulpflichtige, junge Mensch.
Können Eltern, Schüler, Lehrer und Bildungsexperten mit den pädagogischen Fundamenten für den Nachwuchs zufrieden sein? Sachsen-Anhalts Finanzminister Jens Bullerjahn geht jedenfalls seit Auflage des sogenannten „Innovations- und Investionsprogramm Stark III“ mit stark geschwellter Brust durch’s Land und verkündet allenorts, dass die Landesregierung für die Förderperiode 2014 bis 2020 ein deutschlandweit einmaliges Modernisierungsprogramm aufgelegt hätte. Rund 500 Millionen Euro stünden im Gesamtpaket aus EU-, Landesmitteln und Eigenanteil der Träger zur Verfügung. Allerdings wurden im Stadtstaat Hamburg allein 2014 rund 400 Millionen Euro für die Schulsanierung ausgegeben. Natürlich könnte immer mehr da sein. Wichtig ist, dass überhaupt Geld für die Förderung junger Menschen bereitgestellt wird. Obwohl Bauspezialisten, die das Sanierungsprogramm begleiten haben an einigen Stellen ihre Zweifel äußern und meinen, dass pädagogische Fortschritte möglich gewesen wären. „In der Mehrzahl der Förderprojekte werden energetische Sanierungen realisiert, aber weniger pädagogische Ansätze“, sagt ein Magdeburger Architekt. In den Niederlanden hat der mehrere Schulen unter die Lupe genommen, um bauliche Ideen für ein offenes, modernes Lernen zu finden. Und fündig wurde er an zahlreichen Stellen. In holländischen Kleinstädten sind innovative Lerneinrichtungen mittlerweile Normalität (s. Foto rechte Seite). Dort gibt es in berufsorientierenden Schulen nicht nur Computerkabinetts, sondern gar Kfz-Werkstätten, Friseurarbeitsplätze, Schülerküchen oder Räume für die Metallbearbeitung.
Im Finanzministerium, das die Umsetzung des Stark III-Programms steuert, hört man, dass die inhaltliche Mitwirkung in den Landkreisen von mehr Engagement getragen sei als von Magdeburger Schulen. Kurios erscheint ohnehin, dass die Federführung ausschließlich im Machtzentrum des Geldes stattfindet und man im Kultusministerium eher stiller Beobachter ist. Auf jeden Fall knirscht das konzeptionelle Abstimmungsgetriebe. Ein Insider behauptet gar, die Verstimmung im Bildungsressort ließe sich auf eine Entmachtung durch das Bullerjahn-Haus zurückführen. Es bleibt jedoch eine Mutmaßung, ob dies negative Auswirkungen auf die Ausrichtung der Förderung von Kindern und Jugendlichen hat. Das grundsätzliche Tauziehen, das hierzulande stattfindet, findet zwischen Denkmustern statt, die aus der Tradition preußischer Erziehungsanstalten resultieren und dem Anspruch nach einer transzendenten Öffnung zur demokratischen Schule, in der sich Lehrer und Schüler auf Augenhöhe begegnen sollen.
Warum über Schulen permanent ein Demoklesschwert schwebt, mag an den vielen unterschiedlichen Akteuren liegen, die in diesem komplexen System mitmischen. Schule muss nämlich nicht nur ihrem anvertrauten Klientel, den Schülern, gerecht werden, sondern auch Eltern, Lehrern, Politikern, Bildungswissenschaftern, Gewerkschaftsvertretern, eigentlich irgendwie jedem, da jeder mal in dem Milieu zu Hause war. Deshalb kennt sich auch jeder aus und ist jeder kompetent mitzureden. Für Pädagogen sind es manchmal eher die Eltern, die für Konflikstoff sorgen als die Schüler selbst. Andersherum wird unheimlich schnell auf Lehrern herumgehackt, die andere Kinder bevorzugten und die von kritisierenden Erziehungsberechtigten mit Sicherheit benachteiligen würden.
In der Landespolitik stellt man den hohen Altersdurchschnitt der Lehrerschaft (rund 52 Jahre) als unvorteilhaft heraus, findet andererseits jedoch kaum die Mittel, um den Grundbildungsbereich mit jungem Nachwuchs zu versorgen. Gleichzeitig wird über Integration und Inklusion debattiert oder über Methodik und Didaktik, die weg vom Frontalunterricht gehen soll, ohne jedoch die entsprechenden baulichen Voraussetzungen dafür bereitstellen zu können. Die zahlenmäßige Personalausstattung ist allen Fachleuten zufolge im kompletten Bildungsbereich ohnehin immer defizitär und für alle politisch formulierten Ansprüche gäbe es die entsprechenden Kompetenzen unter den eingesetzten Pädagogen nicht, insbesondere wenn es um Inklusion oder sozial-psychologische Anforderungen ginge.
Und dann ist Schule natürlich auch ein Spiegel des gesellschaftlichen Zustandes. Es gibt die Familien, die den Bildungschancen ihrer Zöglinge mit höchstmöglicher Motivation begegnen. Das Phänomen wird heute gern unter dem Begriff „Helikoptereltern“ gefasst. Wenn man Eltern auf eine übermäßige Fürsorge aufmerksam macht, können sie sich selten mit diesem Wort identifizieren. Ganz sicher erkennt man sie aber daran, dass sie ihre Kinder in jedem Lebensalter begleiten, ihnen jedes Angebot ermöglichen und sie rund um die Uhr (außer der Schlafenszeit) mit Inhalten versorgen. Andererseits wächst die Zahl jener, die sich immer weniger um die Geschicke ihrer Kinder kümmern. Es lässt sich vermuten, dass beide Bereiche – sowohl Überfürsorge als auch Vernachlässigung – wachsen. Damit wird es vor allem in staatlichen Schulen immer komplizierter, eine Balance zwischen den unterschiedlichen sozialen Potenzialen von Schülern herzustellen. Hier schlummert eventuell sozialer Zündstoff. Gut situierten Eltern beispielsweise mehr elitäre Schuleinrichtungen anzubieten, damit deren Kinder unter ihresgleichen heranwachsen, verschärft das Problem. Alle unter ein Dach zu stecken, löst die gesellschaftlichen Konflikte auch nicht. Schule bleibt immer ein weites Feld ambivalenter Spannungen.
Bildungs- und Hirnforscher beklagen, dass die angewendeten Lehrmethoden eher Mädchen befördern würden und Jungen bei der Stoffvermittlung benachteiligt seien. Statistisch schließen junge Frauen das Abitur mehrheitlich mit besseren Noten ab, als ihre männlichen Altersgenossen und beginnen auch häufiger ein Studium. Außerdem häufen sich Klagen darüber, dass vor allem in den Lehrplänen naturwissenschaftlicher Fächer Grundlagvermittlung zu kurz kommen würde. Seit Jahren hört man den Schrei durch das ganze Land, dass Lese- und Rechenkompetenzen nachlassen. Was ist also richtig oder falsch?
Im Prinzip muss sowohl scharfen Kritikern als auch Lobrednern entgegengehalten werden, dass das System Schule noch nie an der Zukunft gemessen wurde. Sie ausschließlich an vergangenen Erfahrungen auszurichten, bringt genauso wenig. Bisher hat noch jede Generation das eigene Leben gemeistert und genügend geistige Flexibilität für die Erfordernisse ihrer Zeit auf die Beine gebracht.
Selbstkritisch sollte jeder, der im Bildungsbereich mitwirkt fragen, woher die Maßstäbe der eigenen Bewertung kommen? Während manche Pädagogen klassische Methoden bevorzugen, fordern andere mehr Öffnung. Viel wichtiger als die nie erlöschende Debatte um angemessene Lehrkonzepte ist, dass bei Mädchen und Jungen Einstellungen vermittelt werden, die ihnen ein offenes Denken ermöglichen. Genau darauf baut ein Leben, das sich der stetig ändernden Welt stellen muss. Schulen sollten vorrangig als Einrichtungen begriffen werden, in denen man lernt, wie man das Leben lernt und die sich weiter von der Tradition preußischer Erziehungsverwahranstalten entfernen. Das System Schule wird durch alle Beteiligten bewegt, positiv wie negativ. Es ist ein extrem ambivalentes Konstrukt, das Schwache und Starke und zwar sowohl unter Schüler als auch Lehrern und Eltern gleichermaßen mitnehmen muss. Niemand sollte sich für welche Leistungen auch immer allein auf die Schulter klopfen.