Schwarzkümmel – eine Heilpflanze auf dem Prüfstand

peter_schoenfeldEine im Orient hochgeschätzte Medizin, der Schwarzkümmel, wurde vor wenigen Jahrzehnten in Europa wiederentdeckt. Erfüllen seine propagierten Heilwirkungen die Erwartungen? Von Peter Schönfeld

Trotz riesiger materieller Aufwendungen und jahrzehntelanger, weltweiter Forschung gibt es bis heute kein universell wirksames Medikament gegen Krebs. Ein solches kann es aber auch nicht geben, denn die Ursachen und die zellulären Entstehungswege, die zu einer Krebserkrankung führen, sind vielfältig, komplex und gewebespezifisch. Im Altertum glaubten die Menschen ein universelles Allheilmittel zu besitzen – den Schwarzkümmel (lat. Nigella sativa; engl. black cumin; schwarzer Koriander). Seine schwarzen, dreieckigen Samen waren eine Grabbeigabe der Pharaonen, die sie nach ihrem irdischen Tod auf der Reise im Jenseits vor Krankheiten schützen sollten. Das grenzenlose Vertrauen der Orientalen in die Heilkraft der pfefferartigen Medizin der Schwarzkümmelsamen wird auch mit dem Propheten Mohammed (570 – 632 n. Chr.) begründet. Von diesem soll der Spruch überliefert sein: „Schwarzkümmel heilt jede Krankheit – hilft jedoch nicht gegen den Tod“. Im Arabischen wird deshalb Schwarzkümmel als „segensreicher Samen“ (Habbah albaraka) bezeichnet. Der Schwarzkümmel wird auch in der traditionellen indischen Medizin (z.B. Ayurveda) verwendet. Karl der Große (747 oder 748 – 814 n. Chr.) ordnete mit der „Capitullare de Villis“ (Capitullare = Herrscher-Erlässe der fränkischen Könige) an, dass der Schwarzkümmel in den Klostergärten anzubauen sei. Später geriet in Europa die Schwarzkümmelpflanze mehr und mehr in Vergessenheit. Seit etwa 20 Jahren spricht man wieder über den Schwarzkümmel in Deutschland. Ausgelöst wurde das neue Interesse durch ein an Asthma erkranktes Pferd. Auf Anraten eines ägyptischen Tierarztes hatte ein deutscher Arzt dem kranken Dressurpferd seiner Tochter Schwarzkümmelsamen ins Futter gemischt. Das Pferd wurde vom Asthma geheilt und die Samen wurden fortan für Immunologen als Quelle von Inhaltsstoffen für die Behandlung von chronischen Krankheiten interessant. Seither sind eine Vielzahl von Büchern über den Schwarzkümmel erschienen (wie z.B., das von Peter Schleicher, Mohammed Saleh, Hans Wagner: „Natürlich heilen mit Schwarzkümmel“. Südwest-Verlag 2001). Auch der Wissenschaftsjournalist und Fernsehmoderator Jean Pütz hat durch seine unterhaltsamen Hobbythek-Sendungen zu der aktuellen Popularität des Schwarzkümmels beigetragen.

Wenn Sie türkisches Fladenbrot mögen, dann haben Sie sicher auch die schwarzen Körner darauf bemerkt. Das ist Schwarzkümmel. Durch das charakteristische Aroma seiner Samen geben diese dem Fladenbrot einen besonderen Geschmack. Schwarzkümmel wird deshalb auch von den Gourmets geschätzt. Vielleicht probieren Sie demnächst auch einmal „Thunfisch in Schwarzkümmel-Hülle“ oder „Kürbis-Flammkuchen mit Äpfeln, Koriander und Schwarzkümmel“. Schwarzkümmel ist in Südeuropa, Nordafrika und Südostasien eine verbreitete, krautige Einjahrespflanze, die bis zu 80 cm groß werden kann. Trotz des gleichen Namens ist der Schwarzkümmel aber weder mit Kümmel noch mit dem Kreuzkümmel verwandt. Aus den Samen wird durch Kaltpressung ein „fettes Öl“ und ein „ätherisches Öl“ gewonnen. Das „fette Öl“ besteht aus über 100 verschiedenen Inhaltsstoffen. Es ist reich an ungesättigten Fettsäuren (Linolsäure, Ölsäure), Saponinen, Alkaloiden (Nigellicin, Nigellidin) und Vitaminen (Riboflavin, Thiamin, Vitamin E). Prominenter Bestandteil des ätherischen Öls ist das Thymochinon, dessen Gehalt bis zu 30 Prozent betragen kann. Nach der Werbung für das Schwarzkümmelöl wirkt dieses entzündungshemmend, antiallergisch, blutdrucksenkend, antibakteriell, antikanzerogen, schmerzlindernd, antioxidatisch und anderes mehr.

Die moderne Medizin steht auf einem gut ausgebauten wissenschaftlichen Fundament. Noch nie wurde soviel Geld für Patienten ausgeben und die Zahl der behandelnden Ärzte ist auf einem neuen Höchststand. So hat sich von 1990 bis 2015 bei einer konstanten Bevölkerung die Zahl der berufstätigen Ärzte in Deutschland von 237.700 auf 371.300 erhöht. Obwohl die Diagnosemethoden und die Behandlungsstrategien bestens durch Biochemie, Molekularbiologie und Physik begründet sind, wächst die Zahl derjenigen, die bereit sind, an Heilpraktiker ein kleines Vermögen zu zahlen. Als Ursachen für diese Entwicklung werden diskutiert, eine gefühlte, ungenügende Zuwendung der Ärzte dem Patienten gegenüber, die angsteinflößenden Beipackzettel oder auch die Erfahrung, dass die moderne Medizin nicht bei allen Erkrankungen helfen kann. Vor diesem Hintergrund stellt sich deshalb die Frage: Ist es gerechtfertigt, dem Schwarzkümmel Aufmerksamkeit zu widmen? Genügen seine propagierten Heilwirkungen auch den Anforderungen der heutigen „evidenzbasierten Medizin“?

Wenn man sich bei Wikipedia über „evidenzbasierte Medizin“ informiert, kann man nachlesen, dass der Begriff Anfang der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts von Gordon Guyatt aus der Gruppe um David Sackett an der McMaster Universität (Hamilton, Kanada) im Department of Clinical Epidemiology and Biostatistics geprägt wurde. Das englische Wort evidence steht hier für „Beweis“. Definiert wird die evidenzbasierte Medizin ursprünglich als der „gewissenhafte, ausdrückliche und umsichtige Gebrauch der aktuell besten Beweise für Entscheidungen in der Versorgung eines individuellen Patienten“. Dies führt zu der Frage: Haben die Inhaltsstoffe des Schwarzkümmelöls (Saponine, ungesättigte Fettsäuren, Thymochinon u.v.a.m.) molekulare Wirkungen, die mit einem biochemischen Verständnis der modernen Medizin vom gesunden und kranken Menschen in Übereinstimmung sind?

Beginnen wir mit den Saponinen. Diese enthalten an pflanzliches Cholesterol gebundene Zuckermoleküle. Das Besondere an diesen Molekülen ist nun, dass die eine Molekülseite wasserunlöslich (hydrophob), die andere aber wasserlöslich (hydrophil) ist. Damit sind die Saponine Seifenmoleküle (lat. Sapo = Seife), die die Oberflächenspannung des Wassers erniedrigen und die außerdem in die Zellmembranen von mikrobiellen Parasiten Löcher „bohren“. Dadurch wird eine antifungale und antimikrobielle Wirkung der Saponine verständlich. Dazu passt auch, dass die Bildung der Saponine durch Pflanzen mit dem Schutz vor Insektenfraß erklärt wird. Wie lässt sich nun eine lindernde Wirkung der Saponine des Schwarzkümmelöls bei Asthma verstehen? Asthma ist häufig die Folge einer ererbten Über-Reaktion des Immunsystems auf Allergene wie Pollen, Staub oder Tierhaare. Dadurch kommt es im schlimmsten Fall zur Atemnot. Asthma kann aber auch durch virale Effekte ausgelöst werden, wodurch die Bronchien verkrampfen und verschleimen. Durch die Wirkung der Saponine auf die Oberflächenspannung des Wassers, wird ein erleichtertes Abhusten des Schleims verständlich und so die lindernde Wirkung von Schwarzkümmelöl bei Asthma.

Ungesättigte Fettsäuren sind essentielle Nahrungsbestandteile, weil sie vom menschlichen Stoffwechsel nicht oder nur in einem ungenügenden Maße gebildet werden. Die im Schwarzkümmelöl reichlich enthaltene Linolsäure (50-60 Prozent) ist eine Quelle für die Bildung der körpereigenen Prostaglandine. Diese sind Botenstoffe des Immunsystems und haben außerdem eine relaxierende Wirkung auf verschiedene Muskeln. Deshalb können Prostaglandine auch zur Geburtseinleitung eingesetzt werden. Durch ihre „Weichmacher-Wirkung“ auf bestimmte Muskeln können sie aber Verkrampfungen der Bronchien lösen. Damit sind sie neben den Saponinen auch bei Asthmabeschwerden wirksam.

Obwohl das Thymochinon den Chemikern schon seit über 100 Jahren bekannt ist, wurde es als Bestandteil des Schwarzkümmels erst viel später entdeckt. Ihm wird eine antiallergische, antioxidative und antikanzerogene Wirkungen nachgesagt. Deshalb wurde dem Thymochinon in den letzten Jahrzehnten eine besondere wissenschaftliche Aufmerksamkeit gewidmet. Sucht man in der renommierten Datenbank Pubmed nach wissenschaftlichen Arbeiten über das Thymochinon, gibt es nur wenige bis zum Anfang der neunziger Jahre. Danach sind bis zum Oktober 2016 mehr als 600 Arbeiten gelistet. Thymochinon repräsentiert auch einen molekularen Baustein, dem im zellulären Energiestoffwechsel als Bestandteil des Coenzym Q („DoppelherzR aktiv Coenzym Q10“) eine wichtige Rolle zukommt. Ähnlich den Vitaminen A und E ist Thymochinon ein Antioxidans. Seine Wirkung beruht hauptsächlich darauf, dass es in den Zellen gebildete toxische Sauerstoffradikale inaktiviert. Außerdem scheint Thymochinon mit bestimmten Opioid-Rezeptoren des Nervengewebes zu reagieren und dadurch eine dämpfende Wirkung auf Epilepsie auszuüben. Nach anderen Ergebnissen hat Thymochinon eine Schutzfunktion gegenüber der Leber. Mit sehr zahlreichen Studien wurde eine mögliche Antikrebs-Aktivität des Thymochinons untersucht. Es wurde gefunden, dass Thymochinon intrazelluläre Signalketten beeinflusst, die an der Umwandlung von Zellen in Krebszellen beteiligt sind. Darmkrebszellen, die zusätzlich mit Thymochinon „behandelt“ wurden, reagieren empfindlicher auf Zytostatika. Dazu passt auch die Beobachtung, dass durch eine kombinierte Anwendung von Thymochinon und Tamoxifen (letzteres ist ein Zytostatikum gegen Brustkrebs), die Wirksamkeit von Tamoxifen erhöht wird.

Nigella sativaWelche Schlussfolgerungen lassen sich aus dem oben Gesagten über physiologische Heilwirkungen der Inhaltsstoffe der Schwarzkümmelpflanze ableiten? Schwarzkümmelöl wird althergebracht zur Behandlung von Atemwegs- und Magen-Darm-Problemen empfohlen. Negative Effekte des Schwarzkümmelöls bei oraler Aufnahme sind nicht bekannt. Der Nahrungsmittelkonzern Nestlé bemüht sich seit einigen Jahren, ein Patent zur Verwendung des Schwarzkümmels als natürliches Heilmittel gegen Lebensmittelallergien (intern. Patentnummer WO2010133574) anzumelden. Seine Ernährungswissenschaftler hatten nämlich gefunden, dass Mäuse, die normalerweise stark allergisch auf ein Eiweiß des Hühnereis (Ovalbumin) reagieren, kaum eine Reaktion zeigten, wenn das Eiweiß zusammen mit etwas Thymochinon verfüttert wurde. Diese antiallergische Wirkung des Thymochinons wird mit einer Beeinflussung der Opioid-Rezeptoren erklärt. Zur Vermeidung von Lebensmittelallergien sollte nach der Empfehlung von Nestlé ein 75 kg-Mensch 7,5 mg reines Thymochinon täglich zu sich nehmen. Umgerechnet auf Schwarzkümmelsamen entspricht diese Menge allerdings 3,5 kg.

In vielen Fällen ist jedoch die überlieferte Heilwirkung des Schwarzkümmels nicht wissenschaftlich dokumentiert. Deshalb wird er bisher nicht offiziell als Arzneimittel eingestuft und der Schwarzkümmel (Samen und Öl) nur als Nahrungsergänzungsmittel oder traditionelles Heilmittel gehandelt. Trotzdem lassen sich zelluläre Wirkungen seiner Inhaltsstoffe eindeutig nachweisen. Dadurch unterscheidet sich die naturheilkundliche Medizin sehr deutlich von der Homöopathie. Für eine Heilwirkung der oft eingesetzten ultraverdünnten homöopathischen Tinkturen (Dilutionen) oder der von Globuli, gibt es keinerlei wissenschaftliche Belege. Nach dem naturwissenschaftlichen Verständnis von Gesundheit und Krankheit kann es diese auch nicht geben. „Homöopathische Heilerfolge“ beruhen fast immer, wenn es sie denn gibt, auf einem Placebo-Effekt. Studien der letzten Jahre, die einen Wirkungsnachweis von Homöopathika liefern wollten, wurden kurze Zeit später zurückgezogen (hierzu: Pseudowissenschaften an der Universität Leipzig; www.xy44.de/belladonna/index. htm). Trotz der beobachteten Hemmwirkungen des Thymochinons auf den Stoffwechsel isolierter Krebszellen, sollten die Erwartungen auf einen klinischen Einsatz gedämpft bleiben. Das liegt daran, dass nahezu alle Ergebnisse zum Einfluss von Thymochinon auf Tumorzellen mit in vitro Untersuchungen, also in „Reagenzglasversuchen“, beobachtet wurden. Dabei werden Krebszellen hohen Konzentrationen von Thymochinon ausgesetzt. Solche Untersuchungen können aber keine Auskunft darüber geben, ob bei einer oralen Anwendung eine wirksame Menge des Thymochinons vom Körper aufgenommen wird, ob dieses durch die Leber inaktiviert wird oder ob Thymochinon nicht vertretbare Nebenwirkungen auf den Körper hat. Antworten auf diese Fragen können nur klinische Studien liefern, diese gibt es aber für das Thymochinon bisher nicht.

Es ist aber unbestritten, dass Pferdefreunde auf die Heilwirkung des Schwarzkümmels bei allergischen Hauterkrankungen ihrer Lieblinge schwören. Etwas Schwarzkümmelsamen ins Futter gemischt, gilt als wirksamer Schutz gegen das durch Kriebelmücken ausgelöste Sommerekzem der Pferde. Es gibt aber auch noch ein anderes Beispiel. Ein Gymnasiast, Alexander Betz, wurde 2014 mit einem Preis bei „Jugend forscht“ ausgezeichnet. Diesem war nämlich aufgefallen, dass sein Hund nicht mehr von Zecken gebissen wurde, seit dem er in das Hundefutter etwas Schwarzkümmelöl gemischt hatte. Mit Zecken als „Versuchstieren“, einem Y-förmigen Versuchsgefäß und Schweiss oder Schweineblut als Köder, konnte er nachweisen, dass die mit Schwarzkümmelöl-benetzten Köder ihre anziehende Wirkung auf Zecken verloren hatten. Alexander Betz will nun die Wirkung von Schwarzkümmelöl auf andere blutsaugende Insekten testen. Seine große Hoffnung ist, dass Schwarzkümmelöl erfolgreich in Malariagebieten eingesetzt werden kann. Wünschen wir dieser Initiative Erfolg, denn viele Erreger sind inzwischen multiresistent gegen bisher erfolgreiche Medikamente geworden. Deshalb haben britische Forscher jetzt auch zum weltweiten Kampf gegen resistente Keime aufgerufen. Wenn nichts unternommen wird, könnten ihrem Spiegel-Bericht vom Mai 2016 zu Folge 2050 bis zu 7 Millionen Menschen pro Jahr an Infektionen, die durch resistente Krankheitserreger verursacht werden, sterben.


peter_schoenfeldDer Autor

Prof. Dr. Peter Schönfeld, Mitglied des Magdeburger Professoren Kollegiums „emeritio“, studierte Chemie an der TU Dresden und wurde dort auch promoviert. Er habilitierte sich im Fachbereich Biochemie an der Medizinischen Fakultät der OvGU und wurde zum Hochschuldozenten ernannt. Seine Forschungsaktivitäten sind auf den Energiestoffwechsel der Zelle ausgerichtet.