Knochenbrüche werden im jungen Lebensalter anders behandelt als bei erwachsenen Patienten
Von Jacqueline Heß
Knochenbrüche kommen bei Kindern oft vor. Häufig können sie sich aber schnell wieder bewegen, denn Knochenbrüche heilen bei Kindern anders als bei Erwachsenen.
Ein Bruch entsteht durch plötzliche Einwirkung von Gewalt, der die biologische Festigkeit des Knochens an dieser Stelle übersteigt. Verbunden damit sind Schmerzen, Schwellung und der Funktionsverlust des betroffenen Körperteils. Etwa 80 Prozent der Knochenbrüche bei Heranwachsenden betreffen die Röhrenknochen der Arme und Beine. Nur 30 Prozent ereignen sich an anderen Knochen (Kopf, Wirbelsäule, etc.)
Eigentlich ist das Skelett eines Kindes nicht viel anders als das eines Erwachsenen: die gleiche Anzahl an Knochen – nur im Miniaturformat. Und dennoch unterscheiden sich die kleinen von den großen Patienten eklatant, wenn es um Brüche geht. „Frakturen im Kindesalter sind mit denen von Erwachsenen nicht zu vergleichen. Bei Kindern heilt es oft schneller. Zudem besitzt der kindliche Knochen ein altersabhängiges Korrekturpotential“, sagt Dr. Hardy Krause, Leiter des Arbeitsbereiches Kinderchirurgie am Universitätsklinikum Magdeburg.
Die gängigen Verfahren zur Diagnose sind vorsichtiges Abtasten und das Röntgen, in Sonderfällen können eine Ultraschalluntersuchung und manchmal auch eine Kernspinuntersuchung notwendig werden. Ist die Bruchstelle erkannt, bieten sich je nach Position und Schwere des Bruchs verschiedene Möglichkeiten: Die Bruchstelle, die Bruchform und das Alter bestimmen hierbei die Therapie. Bei einfachen Brüchen und Kindern unter fünf Jahren fügen sich die zerbrochenen Teile meist binnen zwei bis drei Wochen zusammen, bei Kindern zwischen fünf und zehn dauert es dann schon drei bis vier Wochen. Und bei über Zehnjährigen bedarf es etwa vier Wochen. Erwachsene haben mit Brüchen mitunter sechs Wochen und länger zu tun. Der Grund für die schnelle Heilung bei Kindern: Das ganze System ist noch viel dynamischer. Zellen werden schneller auf- und abgebaut. Kinderknochen besitzen eine dickere Knochenhaut und haben einen hohen Wassergehalt, sie sind bestens durchblutet – körpereigene Reparaturmechanismen greifen schneller. Auch das Fehlen von Begleiterkrankungen oder typischen Altersveränderungen ist hierfür ursächlich.
Das Besondere an der Anatomie des kindlichen Skeletts sind weiterhin die Wachstumszonen (Epiphysenfugen), die für die Entwicklung bzw. das Wachstum des Knochens unverzichtbar sind. Diese Zonen bestehen aus durchblutetem Knorpelgewebe und sorgen dafür, dass der Knochen in die Länge wachsen kann, bis er seine endgültige Größe erreicht hat. Dann verschließt sich die Fuge (passiert erst zwischen dem zwölften und 18. Lebensjahr). Bricht ein Knochen entfernt von der Epiphysenfuge, kann das weitere Wachstum vieles wieder korrigieren. Verletzt der Bruch aber die Fuge selbst, hat das eher Auswirkungen auf das Wachstum des Knochens. Dank dieser Wachstumsfuge besteht beim kindlichen Skelett eine hohe Tendenz zur Selbstkorrektur der Knochen. Diese nimmt mit zunehmendem Alter allerdings immer weiter ab.
Die meisten Knochenbrüche bei Kindern ereignen sich rund um die Pubertät, wenn die Risikobereitschaft nicht mit dem körperlichen Leistungsvermögen mithalten kann. In Sachsen-Anhalt sind Ballspielarten der häufigste Verletzungsgrund. Mangelnde Beweglichkeit und Übergewicht fördern das Risiko von Fehlbelastungen und überfordern nicht selten die Belastungsgrenzen der Knochen. Aber auch der Straßenverkehr ist mit seinen Gefahren nicht außer Acht zu lassen. Am häufigsten kommen bei Kindern Unterarmbrüche vor. Oft geschehen die Frakturen auch rund um den Ellenbogen, weil Kinder auf das empfindliche Knochengerüst stürzen.
Dr. Krause erklärt: „Grundsätzlich wird in der Kinderchirurgie versucht, auf konservative Weise, zum Beispiel mit Gips- oder Kunststoff-Steifverbänden, den Bruch auszuheilen. Hierbei ist zu beachten, dass der noch wachsende Knochen im Kindesalter bestimmte Fehlstellungen im weiteren Heilungsverlauf selbständig auszugleichen vermag, eine Fähigkeit, die der ,alte’ Knochen nicht mehr besitzt. Im Vordergrund steht, den Einfluss des Knochenbruches und seiner Heilung auf das Wachstum und die weitere Entwicklung des Kindes möglichst gering zu halten.“
Trotzdem lassen sich Operationen in komplizierten Fällen auch bei kindlichen Frakturen nicht immer vermeiden – etwa wenn ein Knochen verschoben, sehr instabil, an mehreren Stellen gebrochen oder gar gesplittert ist. Das oberste Prinzip ist hierbei, eine weitere operationsbedingte Verletzung der Wachstumszonen und damit eine Beeinträchtigung der weiteren Entwicklung des Kindes zu verhindern. Die operativen Verfahren unterscheiden sich daher meist von denen in der Erwachsenenchirurgie. In manchen Fällen verzichten Ärzte dagegen bewusst auf eine Operation. Unterarmbrüche nahe dem Handgelenk werden oft mit kleinen Drähten fixiert, unter anderem deshalb, weil Mediziner Wachstumsstörungen an der Epiphysenfuge befürchteten. „Etwa drei Viertel aller Brüche im Kindesalter lassen sich ohne Operation behandeln, allerdings setzt auch eine Gipsbehandlung Erfahrung, Sorgfalt und ,Fingerspitzengefühl’ voraus“, so Dr. Krause.
Wichtig bei der Behandlung ist, dass man bedenkt, dass Kinder keine kleinen Erwachsenen sind. „Frakturen im Kindesalter werden in der Chirurgie manchmal wie die von Erwachsenen behandelt. Besonders Jugendliche stellen eine Grauzone dar, welche eine große Erfahrung in der Versorgung voraussetzen. Sie sind vom Körperbau zwar wie Erwachsene, aber ihr Knochenaufbau ist oft noch nicht ausgereift. Knochenbrüche müssen daher in jedem Alter anders behandelt werden“, warnt der Mediziner.