Sport macht Schwache selbstbewusster,
Dicke dünn, und macht
Dünne hinterher robuster,
Gleichsam über Nacht.
Gilt das, was Joachim Ringelnatz im „Ruf zum Sport“ (1926) dichtete, für jede Sportart? Fußball, Ringen, Laufen, auch Minigolf?
Es ist vier Jahre her, als ich der Schulleiterin der Grundschule Kritzmannstraße gegenüber saß. Diese Schule ist eine sportlich aktive, die Bestleistungen sieht man im Foyer. Sie ist auch die, die der Minigolfanlage im Neustädter Feld (Florapark) am nächsten liegt. Und es ist die Schule, die bei den seit acht Jahren stattfindenden Minigolf-Grundschulmeisterschaften der Magdeburger Minigolffreunde meist am besten abschneidet. Mein Vorschlag: eine Minigolf-AG, immer freitags, im Winter in einer Turnhalle, wo ich mit den Kids Fantasiebahnen bauen, aber auch mal Basketball und Fußball spielen wollte. Sie stimmte zu. Sechs Drittklässler im Alter von 8 und 9 Jahren machten mit. Ich holte sie anfangs von der Schule ab und brachte sie nach der AG nach Hause. Zwischendurch kam immer mal wieder der eine mit einem anderen, den ich bis dato nicht kannte und der auch mal wissen wollte, wie das geht, dieses Minigolf.
Nachwuchs zu finden und die Zukunft des Sports zu gestalten, das ist in Zeiten der demografischen Krise für fast alle Sportarten ein großes Problem. Auf dem 1. Sportkongress des Landes Sachsen-Anhalt in Magdeburg sagte Christian Siegel, Referent Grundsatzfragen und Strategieentwicklung im Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB), dass es keinen „Königsweg“ gebe. Für Siegel sind Kooperationen, beispielsweise zwischen den Vereinen und den Kindergärten oder Schulen ein erfolgversprechender Weg, um Mitglieder zu finden und zu binden. In Merseburg hat man diese Kooperation auf ein ganz neues Fundament gestellt: Merseburger Kindersport (MERKS) ist eine Bewegungs- und Gesundheitsschule für Kinder zwischen 3 und 8 Jahren. MERKS reagiert auf die Verschlechterung der kindlichen Lebenswelt durch passive Freizeitgestaltung mit falscher Ernährung und zu wenig Bewegung am Tag. Folgen sind u.a. Übergewicht und Rückenschmerzen bei den Kids. MERKS verbindet Kitas, Schulen und Vereine, die sich hier mit ihrem Sportangebot und Übungsleitern einbringen. Die Rahmenbedingungen von MERKS sind beitragsfreie Mitgliedschaft, Sportversicherung durch die Stadt Merseburg, flächendeckendes Angebot verschiedener Sportarten, sodass Sport vor der Haustür und kindgerechte Übungszeiten möglich sind. MERKS ist möglich durch das finanzielle Engagement des Landes, personelle, organisatorische und materielle Unterstützung durch die Stadt Merseburg und den Kreissportbund Saalekreis. Ziele sind u.a. die Steigerung der Popularität der Randsportarten und die aktive Überleitung der Kinder in die Merseburger Sportvereine.
Zurück zu Lukas und „MERKS-mini“ (Magdeburger Kindersport, hier: Minigolf). Die Rahmenbedingungen waren ähnlich wie bei MERKS: Das Angebot war kostenlos, von der Deutschen Sportjugend finanziert gab’s sogar für die, die stets da waren, eine Minigolf-Grundausstattung: Schläger und fünf Profi-Bälle. Die konnte der behalten, der ein Jahr durchhielt. Anreiz genug – verbunden mit der Hoffnung, dass sich der eine oder andere dann für den Vereinsbeitritt entscheiden würde. Um mit Schlägern und Bällen richtig umzugehen, braucht es beim Minigolf keine stundenlange Einführung. Man muss richtig stehen, parallel zu Bahn und Ball, Füße, Schläger und Ball bilden ein gleichschenkliges Dreieck. Steht man richtig, schlägt man mit Gefühl, so ist Minigolf weder Wissenschaft noch Hexerei oder Zufall. Denn auf jeder Bahn gibt es einen Weg zum Ass. Bahnrekord: 18 Schlag für 18 Bahnen – in den 20 Jahren Minigolfanlage am Florapark haben dies zwei Spieler im Turnier geschafft. Der perfekte Schlag bedeutet: Richtung, Tempo, Ballwahl müssen stimmen … aber selbst, wenn das alles passt, kann ein Blatt, ein kleiner Ast das Ass verhindern. Das Regelwerk sagt: „Für die Sauberkeit der Bahn ist jeder Spieler selbst verantwortlich“ – das ist beim eigenen Pult und Fach in der Schule oder später am Arbeitsplatz nicht anders.
Wer sich dann mit den Geheimnissen der Bahn vertraut gemacht hat, der merkt schnell, dass Konzentration der Schlüssel zum Erfolg ist. Nicht einfach für die jungen Minigolf-Kids nach einer langen Schulwoche – aber garantiert hilfreich für jede Bildungsbiografie. Der Freitagnachmittag bedeutet zugleich: Abschalten durch Sport. Erfolgserlebnisse inklusive. Wenn nämlich zur Konzentration auch die Präzision des Schlages kommt, dann erlebt man gelegentlich Freude pur – vor allem an schwierigen Bahnen, bei denen der Anfänger anfangs fast wie der Ochs vor’m Berge steht und nach reichlich Fehlschlägen geneigt ist, die Flinte ins Korn zu werfen. Minigolf bedeutet auch ein gewisses Maß an Frustrationstoleranz mitzubringen, sich Routine anzueignen.
Routine und Bahnkenntnis sorgten dafür, dass die kleine Trainingsgruppe beim Grundschulturnier, das die Magdeburger Minigolffreunde seit acht Jahren mit Unterstützung der Stadtsparkasse veranstalten, richtig „absahnte“. Die Pokale für den 1. und 3. Platz, dazu der Mannschaftspokal: Erfolgserlebnisse sind wichtig – in jedem Sport. Der Dritte, das war Lukas Schrader, der ziemlich schnell – und als einer von Zweien – den Weg in den Verein fand und von Tag zu Tag besser wurde.
Sport stärkt Arme, Rumpf und Beine,
Kürzt die öde Zeit
Und er schützt uns durch Vereine
Vor der Einsamkeit.
Lukas hatte Fußball und anderes erprobt, denn er ist ein sportlicher Typ. Richtig gefallen hat ihm aber erst die Präzisionssportart Minigolf. Wie sehr, das war bald jedem klar, der mal mit ihm eine Runde drehte. Lukas trainierte bald in jeder freien Stunde, um sich zu verbessern. Mit den ersten Turnieren stellte er fest, was Turnierstress bedeutet, zugleich aber auch, dass viele Asse auch im Turnier fallen. Die ersten Urkunden und Pokale sammelten sich an. Mit 11 Jahren spielte er erstmals bei der Deutschen Jugendmeisterschaft, erlebte, wie intensiv das Spiel im Team sein kann, wurde 4. mit der Magdeburger Schülermannschaft. Bald waren auch Vater und Großvater mit eigenem Schläger und eigenen Profibällen mit dabei. Vater Mirko spielte bald Vereinsturniere mit, auf Augenhöhe mit seinem Sohn – das Familienduell ist offen … Er genießt es aber auch, nach einer stressigen Arbeitswoche (mit vielen „geschrubbten Kilometern“) dem Junior bei den Turnieren zuzuschauen. Der ist im Moment meist der Jüngste im Turnier und immer der Jüngste in der Top-Vierermannschaft der MGF Magdeburg, die die Tabelle der Verbandsliga Sachsen/Sachsen-Anhalt anführt.
Jetzt, mit 12 Jahren, hat er zudem eine besondere Herausforderung bewältigt. Beim Regio-Cup, dem Vergleichskampf der ostdeutschen Landesverbände, auf der schwierigen Filzgolfbahn in Leipzig, war Lukas der Titelheld eines MDR-Beitrages. Er hatte sein erstes Fernsehinterview, spielte dann mit Mikro am Körper. Das machte es den Journalisten einfach, die Emotion nach einem gelungenen Schlag einzufangen. Davon gab’s reichlich, denn der 12-Jährige war „Asskönig“ des Turniers und spielte das viertbeste Turnierergebnis, gewann sogar bei den Junioren gegen einen Spieler aus der 3. Bundesliga. Abends auf der Couch dann sich selbst und seinen Sport im Fernsehen zu sehen, das ist nicht schlecht fürs Selbstbewusstsein – würde wohl auch Ringelnatz denken. Jedenfalls macht es Hoffnung für das wichtigste Turnier 2015, die Deutsche Meisterschaft in Tuttlingen Mitte Juli. Gut Schlag, Lukas!
Heinz-Josef Sprengkamp