Am Himmelfahrtstag beginnt die Galopprenn-Saison im Herrenkrug. Vier Veranstaltungen werden im 110. Bestehensjahr auf der idyllisch gelegenen Bahn an der Elbe ausgetragen.
Von Rudi Bartlitz
Alljährlich im Mai ruft der Herrenkrug. Auf der idyllisch gelegenen Galopprennbahn vor den Toren der Landeshauptstadt ertönt die Glocke zum ersten Rennen 2016. Christi Himmelfahrt, diesen Feiertag haben sich die Freunde der ebenso edlen wie schnellen Rösser seit jeher als festen Termin in ihrem Kalender notiert.
Wer dieser Tage, kurz vor dem Saisonstart, über die von 64 Hektar grandioser Parklandschaft umgebene Bahn schlendert, der versteht, warum sie als die schönste ihrer Art im Osten gilt. Riesige Alleen, sattes Grün, wohin das Auge blickt. Die Bahn ist ein Kronjuwel der Stadt. Und an Renntagen ein Treffpunkt von Prominenz aus Politik und Wirtschaft obendrein. Kaum ist heute davon zu ahnen, dass hier, am malerischen Ufer der Elbe, vor nicht einmal drei Jahren eine schlimme Flut wütete; die zweite seit dem verheerenden Jahrhundert-Hochwasser von 2002. Sie hinterließ ein Stück Erde, das eher einer Mondlandschaft denn einer Parkanlage glich.
Heute schweift der Blick von Rennvereins-Präsident Heinz Baltus zufrieden über seine mit neuem Glanz aufpolierte Bahn sowie die umliegenden Alleen und Wiesen: „Von dem einstigen Morast und Schlamm ist nichts mehr zu sehen. Vieles ist neu entstanden. Wir sind gerüstet, von uns aus kann es losgehen.“ Vier Renntage stehen in diesem Jahr auf dem Programm (5./22. Mai, 10. September, 31. Oktober). Es hätten möglicherweise sogar fünf Veranstaltungen sein können, wenn da nicht noch im Sommer ein letztes großes Bauvorhaben anstände. Dann sollen nämlich die Arbeiten an den die 1.750 Meter lange Bahn umgebenden Deichanlagen – sie werden 1,20 Meter höher sein als zuvor – möglichst abgeschlossen werden. Baltus: „Diese Höhe müsste ausreichen, um die Anlage hoffentlich vor weiteren Unbilden der Natur zu schützen.“
Wie viel Einsatzbereitschaft, wie viel Willen und wie viel Optimismus der Betroffenen braucht es, um nach zwei Naturkatastrophen binnen elf Jahren nicht alles hinzuschmeißen? Um nicht zu resignieren und zu sagen: Das ist doch vergebens hier, das Wasser wird uns immer wieder alles nehmen? Baltus kneift die Augen zusammen: „Ich gebe zu, das ist schon in die Knochen gegangen und hat unserer kleinen Mannschaft hier viel Substanz gekostet. Man kann nur weitermachen, wenn man sich sagt, wir lassen uns nicht unterkriegen von den Naturgewalten. Letztes Argument zum Weitermachen für uns war die Deicherhöhung. Wäre sie nicht gekommen, wäre es für den Galopprennsport im Herrenkrug auf lange Sicht aussichtslos geworden.“
Doch so prickelt es weiter im Herrenkrug – das Rennfieber genauso wie das Wettfieber. „In meiner Begrüßungsrede sage ich: Setzen Sie nur so viel aufs Spiel, dass Sie am Ende des Tages die Bahn mit einem fröhlichen Lächeln verlassen. Wir möchten Sie zuallererst gut unterhalten.“ Die nackten Zahlen sagen, dass durch Wetten im Jahr auf der Magdeburger Bahn etwa 600.000 Euro umgesetzt werden. Wobei der kleinste Einsatz, das klingt durchaus verlockend, bereits bei einem Euro liegt. Nach oben sind hingegen keine Grenzen gesetzt. Man sollte allerdings die Baltussche Mahnung stets im Ohr haben …
Nicht das Wetten, sondern der Unterhaltungs- und Erholungsfaktor ist es offenbar, der immer mehr junge Familien an Renntagen in die parkähnliche Anlage zieht. Der Präsident sieht es mit viel Wohlgefallen. „Wenn ich von der Tribüne herunterschaue, denke ich manchmal, hier machen gleich mehrere Kitas einen Tagesausflug. Und ich ertappe mich dabei, wie ich anfange, die Kinderwagen zu zählen.“ Doch genau das ist angestrebt, abseits vom Kampf edler Vollblüter um Sieg und Platz und abseits aller Zockerei will die Bahn im Grünen vor allem ein Anziehungspunkt für die Elbestädter sein. Schon um 1900 war der Herrenkrug das beliebteste Erholungsziel der Magdeburger und ihrer Gäste. So soll es bleiben. Dem ist auch das Eintrittsentgelt angepasst. „Wir haben uns für moderate Preise von sechs Euro entschieden, Kinder unter 14 zahlen nichts“, bekräftigt Baltus. Auch beim Catering achtet der Veranstalter darauf, dass dem einen oder anderen Anbieter bei der Preiskalkulation nicht die Sicherungen durchbrennen. 3.500 Besucher pilgern im Schnitt zu den Veranstaltungen, bei Höhepunkten sind es 5.000. „Dann“, so Baltus, „sind wir am Limit.“
Die finanzielle Lage des Renn-Vereins bezeichnet der oberste Pferde-Fan Magdeburgs als „generell gut“. An Zeiten wie 2004, als die damalige Rennwiesen-GmbH noch Insolvenz anmelden musste, möchte heute keiner mehr erinnert werden. Der 63-jährige Unternehmer: „Wir machen nur das, was wir auch finanzieren können.“ Bei der Zahl der Veranstaltungen pro Jahr habe man sich auf vier bis fünf eingepegelt. Die dazugehörige Philosophie hört sich so an: „Ein Renntag im Herrenkrug darf nicht Alltag, er sollte etwas Besonderes sein. Die Leute sollen nicht sagen: Ach, lasst uns mit eurem Pferderennen in Ruhe. Sondern fragen: Wann ist denn endlich wieder Rennen?“
Um noch mehr Gäste für den Pferdesport zu begeistern und zu einem Besuch im Herrenkrug zu bewegen, hat Baltus mit seinem Renn-Verein zuletzt etwas gewagt, was anderswo als striktes Tabu angesehen wird: Galopper und Traber vereint bei einer Veranstaltung. Die hiesige Gras-Galoppbahn bereitete dabei den Sulky-Fahrern – die mit ihren zweirädrigen Wagen ansonsten fast ausschließlich auf Aschegeläuf unterwegs sind – keine Probleme. Baltus, der einst selbst als Amateur-Sulky-Fahrer auf den deutschen Bahnen unterwegs war: „Heute kann ich sagen, das Experiment wurde vom Publikum gut angenommen. Wenn es den Leuten gefällt, bieten wir das natürlich weiter an. 2016 werden deshalb an zwei Renntagen wieder Galopper und Traber zu erleben sein.“
Zwei Dinge sind es, die der Präsident in Zukunft gern noch anpacken möchte: „Ich trage mich mit dem Gedanken, vielleicht wieder Hindernisrennen hier austragen zu lassen.“ Damit er nicht missverstanden wird, schiebt er hinterher: „Ich meine ausdrücklich nicht Jagdrennen über feste Hindernisse mit ihren teils spektakulären, lebensbedrohenden Stürzen. Das ist nicht mein Thema. Da kann ich Tierschützer voll verstehen. Zum anderen möchte ich die Zahl der Amateurrennen in Magdeburg, bei denen unsere Bahn in Deutschland ohnehin schon zu den Vorreitern zählt, weiter anheben.“ Doch das ist Zukunft. Die Gegenwart hält 2016 noch ein Jubiläum bereit: 110 Jahre Magdeburger Renn-Verein. Am 22. Mai soll es begangen werden, dazu wurden unter anderem alle Nachkommen der Gründungsmitglieder (Baltus: „Da sind natürlich viele Adlige dabei“) eingeladen. Motto: Jubiläum ja, aber keine lautstarke Jubel-Arie. Die präsidiale Vorgabe hört sich so an: „Wir wollen uns nicht selbst darstellen, sondern das Geld lieber in unseren Sport stecken.“