Der Ton macht nicht nur die Musik, sondern auch die Bauvorschrift.
In Magdeburg hatte man einst Visionen zur Entwicklung des Wissenschaftshafens. Ein neues, lebendiges Stadtquartier, mit urbanem Flair unweit der Universität sollte da wachsen. Denkfabrik und Unternehmen mit innovativem Potenzial gibt es dort bereits. In die noch stehenden alten Speichergebäude entlang der einstigen Kaimauer will man hochwertige Wohnungen bauen.
Individualisten würden insgeheim erfreut mit der Zunge schnalzen. Leben am Wasser in Häusern mit historischem Charakter und in einer einzigartigen Umgebung weckt Interesse und Begehrlichkeiten. Doch seit Jahren bleiben die Speicher unverändert baufällig, sind Wind und Regen ausgesetzt. Ihr Zustand ist belämmert. Der allgemein sehr kritische Magdeburger mäkelt unter vorgehaltener Hand über den Dornröschenschlaf des potenten Areals. In anderen deutschen Städten wie Hamburg oder Münster sind alte Industriehafenanlagen längst zu begehrten Lebensräumen mutiert. Neben vielen Menschen aus der Kreativbranche ziehen solche Viertel eine zahlungskräftige Klientel an. Man dürfte ergo von einer Goldgrube und hochwertigen Anlage für Bauinvestoren ausgehen. Doch das Gelände hinter der Denkfabrik bleibt eine kleine unberührte Geisterstadt. Magdeburg-typisch würde man fix aufs Rathaus wettern und die Unfähigkeit der dortigen Akteure beschwören. Doch die wirkliche Verhinderung der weiteren Entwicklung liegt einfach am falschen Ton. Die etwa 250 Meter entfernt stehenden Magdeburger Mühlenwerke erzeugen einen niederfrequenten Brummton, der mit der Lärmschutzverordnung nicht in Harmonie zu bringen ist. Um präzise zu sein, es geht um einen Dezibel Lautstärkepegel. Gemessen wird einen Meter vor der Fassade. Ob der Ton im Inneren des Gebäudes überhaupt hörbar wäre, steht nicht zu Debatte. Regel und Grenzwert sind nun einmal gesetzt und damit unüberwindbar. Die Standhaftigkeit deutscher Normen ist ein Qualitätsmerkmal, das weltweit seinesgleichen sucht. Wünsche und Ideen über die Entwicklung von Lebensraum prallen vor solchen bürokratischen Hürden herzlos ab. Regeln kennen keine Gefühle und dem guten deutschen Beamten fließen eher Paragraphen statt Blutkörperchen in den Adern. Die Wahrnehmung des Mühlentons ist eher technischer Natur, als dass ihn ein Mensch bemerken würde. Doch das interessiert den Grenzwert nicht. Die Landeshauptstadt wird ihren Gästen am alten Hafenbecken also weiterhin museales Hinterhofflair ihrer Industriegeschichte demonstrieren dürfen. Altes zu bewahren, ist halt eine schöne Aufgabe, jedenfalls bis es irgendwann im leisen Hintergrundbrummen der Geschichte vergessenen ist.
Thomas Wischnewski