Nicht ganz humorfreie Sicht auf ernste Dinge wahrer Begebenheiten. Von Birgit Ahlert
Oh wie schön, dieser wundervolle Mantel! Die Form, der Schnitt! Das sieht toll aus! Ich habe schon den Finger am Bestellknopf der Computertastatur, da durchzuckt es mich wie ein Déjà-vu. Das hatte ich doch schon mal …
Der Mantel hängt im Schrank. Sah toll aus. Auf dem Bildschirm. Bestellt. Ausgepackt. Hin und her überlegt. Ein paar Mal getragen. Aus der Form gegangen. Jetzt hängt er wie ein Sack am Bügel. Im Schrank. Kaum getragen. Zum Wegwerfen zu schade, zum Verschenken zu peinlich. Zum Zurücksenden zu spät. Außerdem weiß man nie, ob die Rücksendungen wirklich ankommen. Dann gibt’s kein Geld zurück. Naja, so teuer war er zum Glück nicht. Vielleicht lässt sich noch was ändern. Mal eine Schneiderin befragen …
Tägliche Verführung via Internet. Bunte Vielfalt! Reiseangebote! Neue Mode! Möbel auf Mausklick! Deko! Jaja, das war auch so ein Reinfall. Viel kleiner als vorgestellt, schlecht verarbeitet und kitschig. Beim Weihnachtswichteln abgeschoben … Während ich noch über das Gesicht des Beschenkten nachdenke, ploppt ein Fenster auf meinem Bildschirm auf: Schuhe! Die neue Kollektion ist da! Schuhe? Nein, keine Schuhe, der Schrank ist voll… Also denke ich: Keine Schuhe, keine Schuhe, keine … ähm … eine Tasche! Oh wie schön! In dieser Farbe hab ich noch keine. Wollte ich schon immer mal kaufen. Hab ich eigentlich auch. Jedenfalls sah sie auf dem Foto so aus. Was angekommen ist, konnte mit viel Fantasie mit dem Bild des Internetverkäufers in Verbindung gebracht werden. Passte nicht so wirklich. Aber vielleicht habe ich irgendwann die passenden Sachen dazu. Schrank auf, Tasche rein. Wie bei den letzten Schuhen. Wobei … die sind ja gar nicht angekommen. Nicht bei mir. Obwohl ich dafür unterschrieben habe. Meint die Postzustellung. Persönlich entgegengenommen und unterzeichnet am Montag, 11.45 Uhr. Aha. Um diese Zeit war ich vor Ort, hab gewartet. Die Sendung war ja angekündigt. Via Internet. Tolle Sache! Da lässt sich genau verfolgen, wo das Päckchen ist. Status: Ziel erreicht. Hab ich das verschlafen? Vielleicht löste das Klingeln Hypnose aus?! Wo immer ich mich erkundige (Paketdienst, Internetversand, Verkäufer), alle sind sich einig: Ich habe das Päckchen höchstselbst angenommen! Und unterzeichnet dafür! Wobei „alle“ sich nicht auf Menschen bezieht, die könnten ja nachdenken. „Wir sind rund um die Uhr für Sie da“ heißt auch nichts anderes als „Wollen Sie wissen, wo Ihr Paket ist, drücken Sie die 2“. Ja! Ich will! Und erfahre prompt: „Ihr Paket wurde am Montag, 11.45 Uhr, an Sie übergeben.“ Verrät mir ein AUTOMAT! Nachforschungen vor Ort? Fehlanzeige! Von „Wir sind dafür nicht zuständig“ bis „Suchaufträge kann nur der Versender aufgeben“ reichen die Serviceauskünfte. Aha. Den Versender angeschrieben. Der antwortet: Das Paket wurde … an Sie übergeben. Aaaaaarg! Zwischendurch gelingt es mir, die Paket-Zustellerin zu erwischen. Sie meint, sie habe es beim Nachbarn abgegeben und mir eine Information zukommen lassen. Die muss sich James-Bond-mäßig nach dem Ausstellen selbst vernichtet haben. Also klappere ich alle Nachbarn ab. Niemand weiß etwas. Die Zustellerin ist nach unserem Gespräch ebenfalls spurlos verschwunden. Sie war Urlaubsvertretung, heißt es …
Doch ich will nicht undankbar sein. Durch diese Geschichte habe ich neue Leute kennengelernt und viele Geschichten gehört. Vom Fernseher, der nach der Internet-Lieferung kaputt war und sich für die Reparatur niemand zuständig fühlte. Weil das Gerät über Berlin, Wien, Amsterdam gesendet, aber wohl eher von einem Lkw gefallen war. Der Verkäufer konnte jedenfalls nicht ermittelt werden. Dann die Geschichte mit dem Auslandsmodell, verschickt aus China, was beim Onlinekauf nicht vermerkt war. Dann kam der Brief vom Zollamt. Mit einer netten Zahlungsaufforderung. Und der Information, dass selbst bei Annahmeverweigerung Zoll plus Bearbeitungsgebühr fällig seien … Letztlich der diskrete Hinweis eines anonym bleiben wollenden Herren, der darüber las (natürlich!), dass der Bezug von „Viagra“ aus Indien übers Internet mit einem Verfahren verbunden sei, wegen Verstoßes gegen das Patentrecht.
Die bunte Welt des Internet-Shoppens bringt tolle Erfahrungen, man lernt Menschen und Aktionen kennen, die einem sonst verborgen blieben. Und es gibt ständig hübsche Bilder. Wie … Oh jaaaaa, dieser Mantel … Da muss ich doch mal schauen … ob ich so einen hier vor Ort zu kaufen bekomme!