Verirrungen im Rassebegriff

menschenBei den Begriffen Rasse und Rassismus hängt das Verständnis häufig an der Verirrung der Nazis fest. Das erzeugt gefährliche Fehlbewertungen.

Von Prof. Dr. Gerald Wolf

Hunderassen und Pferderassen gibt es, Rassen von Katzen und solche von Karpfen, den Kois.

In der Tierzucht versteht man unter Rassen Züchtungsformen, die von einer bestimmten Tierart, dem Wildtyp, ausgegangen sind. Die genetischen Unterschiede halten sich noch immer in Grenzen, nämlich in denen der Art, selbst dann, wenn sich die jeweiligen Rassen in ihren körperlichen Merkmalen oder im Verhalten stark vom Ursprünglichen unterscheiden. In der Zoologie und Botanik spricht man mitunter ebenfalls von Rassen, wenn es um innerartliche Unterschiede geht, vorwiegend solche, die geografisch bedingt sind.
Seit längerem aber wird dafür der Begriff der Unterart bevorzugt. Wie nun sieht es mit unserer eigenen Art aus? Auch Homo sapiens hat im Ergebnis geografisch getrennter Entwicklungen unterschiedliche Typen hervorgebracht. Sie fallen ins Auge, wenn man die Kopfform, die Gestalt und die Körpergröße betrachtet oder die Hautfarbe, den Haartyp, den Lidschnitt vergleicht und die Form und die Länge der Nase. In ihrer jeweiligen Kombination ergeben sich Eigentümlichkeiten, durch die sich die Afrikaner südlich der Sahara trotz mannigfaltiger individueller Abweichungen noch immer von den Chinesen und den Japanern unterscheiden, die Ureinwohner Australiens von den Europäern und die wieder von den Inuit Grönlands und den Indios des Amazonasbeckens. Über eine lange Zeit hin hat man von Menschenrassen gesprochen, doch will das heute kaum noch jemand tun, zu tief sitzt die Abscheu vor dem, was in der Nazizeit mit entsprechenden „Argumenten“ passiert ist. Auch noch nach Auschwitz und Lublin-Majdanek gab und gibt es Konflikte, wofür Unterschiede in den Körpermerkmalen die vermeintliche Handhabe liefern, und das in ganz anderen Ecken der Welt. In Südafrika war es der Widerstreit zwischen der ansässigen dunkelhäutigen Bevölkerung und den „weißen“ Europäern, die mit ihrer selbsterklärten Vorherrschaft bis in die neunziger Jahre hinein die berüchtigte Rassentrennung (Apartheid) betrieben haben. In den USA gab es schlimmste Schwarz-Weiß-Konflikte, und Martin Luther King war es, der mit seiner berühmten Rede „I Have A Dream“ die Wende einleitete – eine eher unvollkommene Wende, wie sich zeigt. Auch sonst, wo immer die Interessen von Neusiedlern auf die der indigenen (lat. „eingeboren“) Bevölkerung stoßen, gibt es bis heute verdeckte oder offene Auseinandersetzungen rassistischer Art, gleich ob in Aus-tralien, in Amerika oder in den Ländern Afrikas oder Asiens.
Die Anstrengungen, die zur Überwindung solcher Konflikte unternommen wurden und werden, sind gewaltig. Das Erreichte aber ist oft unvollkommen und meist auch nicht von Dauer. Natürlich wäre das Einfachste, dem Rassismus die theoretische Grundlage zu entziehen, indem man behauptet, alle Menschen seien gleich, biologische Unterschiede zwischen den geografischen Menschengruppen wären pure Erfindungen, und all das, was Menschen unterscheidet, sei von der rein sozialen Art. Eine solche Auffassung macht umso weniger Probleme, je ferner man den Naturwissenschaften steht. Unter sozialwissenschaftlich Operierenden sind solche Denkarten sehr verbreitet. Ihre Auffassungen könnten leicht zum Allgemeingut werden, wenn es da nicht die harten Fakten gäbe, die dagegensprechen, nämlich solche in Form von genetischen Unterschieden. Sie sind zwischen den Bevölkerungsgruppen umso deutlicher ausgeprägt, je klarer und je länger diese in ihrer Entwicklung voneinander getrennt waren (Größenordnungen von tausenden und zehntausenden Jahren sind gemeint). Am besten untersucht wurden die medizinisch relevanten Unterschiede, z. B. Varietäten von Enzymen und molekularen Signalempfängern (Rezeptormoleküle), die Anfälligkeit gegenüber bestimmten Krankheiten, die Häufigkeiten gewisser Erbkrankheiten, die Medikamentenverträglichkeit oder die Verteilung von Blutgruppen. Es gibt wohl kaum ein gesundheitliches Problem, das alle Menschen ungeachtet ihrer Abstammung gleichermaßen betrifft. Selbstverständlich findet man biologische Unterschiede aber auch zwischen den Individuen innerhalb ein und derselben Bevölkerungsgruppe. Die genetischen Abweichungen sind im Einzelfalle oft viel stärker ausgeprägt als die durchschnittlichen zwischen den Bevölkerungsgruppen. Und dennoch gibt es sie, diese allgemeinen Gruppenunterschiede.
Die Frage nun, will man auf den ideologisch beladenen Rassebegriff verzichten, wie dann die biologisch bedingte Unterschiedlichkeit zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen benennen? Wohlmeinende überschlagen sich geradezu in Vorschlägen zur Ignorierung und Bagatellisierung des Problems. Und das nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Die UNO hat 1995 über die Unesco den Begriff „Rasse“ als „nutzlos“ deklariert. Bald danach verkündete die Vereinigung US-amerikanischer Anthropologen, von Rassen zu sprechen, entspräche einer „Weltsicht, die unsere Vorstellung von menschlichen Unterschieden und Gruppenverhalten entstellt“. Dabei wird sehr gern die behauptete biologische Gleichheit mit der Notwendigkeit der Gleichbehandlung in ein und denselben Topf getan. Im Untergrund, so scheint es herauf, lauert die Sorge, dass biologische Gruppenunterschiede etwas mit unterschiedlicher Wertigkeit zu tun haben oder zu tun haben könnten. Derlei Behauptungen gibt es zuhauf. Nach Lage der Fakten aber zeigt sich hierfür kein Anhalt. Glücklicherweise. Wer dennoch meint, den Ergebnissen der Genetik trotzen zu können und mit hohem Engagement immer wieder die biologische Gleichheit betont, macht sich verdächtig, die Gleichwertigkeit zu bezweifeln, mit anderen Worten, dass er ein versteckter Rassist ist.
Der Eifer im „Kampf gegen Rassismus“ geht mitunter so weit, dass Menschen hierzulande als Rassisten beschimpft werden, allein wenn sie sich gegen unkontrollierte Einwanderung wenden, zum Beispiel solche aus den Balkanländern. Die Rassismusgegner unterstellen damit, dass es zwischen der Bevölkerung Deutschlands und der der jeweiligen Balkanländer belangvolle genetische, sprich rassische, Unterschiede gibt, andernfalls wäre der Vorwurf ja gegenstandslos. Ganz unbeabsichtigt, wenn auch höchst unbedacht, stellt man sich mit solchem Rassismusgerede auf die Seite der Nationalsozialisten, die ja sogar unser unmittelbares Nachbarvolk, das der Polen, zu einer eigenen Rasse erklärten. Nämlich als eine von „Untermenschen“. Die mörderischen NS-Schergen behandelten sie dann auch so. In dieselbe Kategorie von Unwissenschaftlichkeit gehört die Zuordnung der Juden zu einer eigenständigen Rasse. Die Juden bilden eine über die ganze Welt verstreute Religionsgemeinschaft und verstehen sich am ehes-ten als eine eigenständige Ethnie [griech. ethnos – (fremdes) Volk]. Ähnlich sinnlos wäre es, von einer katholischen oder einer protestantischen Rasse zu sprechen, oder von einer buddhistischen, islamischen oder einer schamanischen. Nein, Ethnien sind hier gemeint, Bevölkerungsgruppen also, die sich in ihrem Selbstverständnis unterscheiden und das nicht auf Grund biologischer Besonderheiten, sondern allein wegen ihrer jeweiligen Kultur, Sprache, Geschichte, Wirtschaftsweise, ihres Brauchtums und dgl. Durch das von ihnen entwickelte Gemeinschaftsgefühl unterscheiden sie sich von anderen solchen Gruppen. Die Abgrenzung des Begriffs „Ethnie“ von dem des „Volkes“ oder der „Nation“ ist nicht einfach, oft eher künstlich. Auch hier lauern Probleme, indem es, ohne Rassenunterschiede herbeizuziehen, im Sinne eines Ethnozentrismus oder eben Nationalismus nicht selten zu Überlegenheitsfantasien kommt. Die Merkmale der eigenen Gruppe halten dann als Bewertungsgrundlage her, denen gegenüber die der Fremdgruppen als nachteilig ausgegeben werden. Die einstige begriffliche Verirrung der Nazis zur Rasse wird nun heute in derselben irrigen Weise im Rassismusverständnis weitergetragen und findet Anwendung, wenn Fremdes erkannt und bezeichnet wird.
Die Furcht vor den Anderen sitzt tief, denn Fremde könnten Böses im Schilde führen. Zu Zeiten der Menschwerdung war die Furcht vor Fremden ein wichtiges Überlebensprinzip, Arglosigkeit konnte rasch tragisch enden. Heute, im Zeitalter der Globalisierung und von Urlaubsreisen in ferne Länder, hat die Fremdenfurcht an Bedeutung verloren. Ja, sie ist großenteils nicht nur unsinnig geworden, sondern auch kontraproduktiv. Dennoch, die Fähigkeit, Angst zu produzieren, gehört in unser Erbgepäck, was sich deutlich schon in der Kindheit zeigt. Entwicklungspsychologen sprechen von der Achtmonatsangst: In diesem Alter demonstrieren Kinder fremden Personen gegenüber zum ersten Male Furchtsamkeit, wiewohl sie in ihrem kurzen Erdendasein mit bislang Unbekannten nie schlechte Erfahrungen gemacht haben. Es handelt sich hierbei, wie bei sämtlichen anderen Gefühlsqualitäten auch, um eine rein subjektive Form des Erlebens, um sogenannte Qualia. Sie sind allesamt angeboren und nicht erlernbar. Allerdings haben Neugeborene die meisten dieser Erlebnisqualitäten noch nicht in ihrem Repertoire, so eben auch nicht das Angstgefühl, einfach weil die dafür zuständigen Hirnprogramme im Laufe der nächsten Wochen und Monate erst ausreifen müssen. Bei Erwachsenen kann die Angst Fremden gegenüber psychopathologische Züge annehmen, nämlich wenn sie sich als objektiv unbegründet und krankhaft überwertig erweist. Dann spricht man von Xenophobie.
Die Politik hat die Vokabel „Xenophobie“ aus dem Wortschatz der Psychiater übernommen, wenn es um Haltungen zur Zuwanderung nach Deutschland geht, die sie nicht akzeptieren kann oder will. Politiker tun das, ohne zwischen Menschen mit psychiatrischen Problemen und solchen mit (zumindest vermeintlich) objektiv begründeten Befürchtungen zu differenzieren. Neben dem Rassismusvorwurf wird im gleichen Zusammenhang auch gern von „dumpfen Ängsten“ gesprochen, von Zuständen also, wie sie Patienten mit Angststörungen eigen sind. Das Motiv liegt auf der Hand: Die Psychiatrisierung von Andersdenkenden wirkt wie ein Hammer. Am Ende sind es nur noch wenige, die sich getrauen, offen gegen die aktuelle Zuwanderungspolitik zu protestieren. Wer schon lässt sich gern als „Rassist“ beschimpfen, als rechtsextrem, als Mischpoke, als Pack, oder als Nazi gar? Zuhause natürlich und unter vorgehaltener Hand im Kollegen- und Bekanntenkreis wird kräftig diskutiert, mitunter auch nur bedeutungsschwer abgewinkt. Wir Ostdeutschen fühlen uns an alte Zeiten erinnert, die eigentlich überwunden schienen. Jeder Einzelne möchte sich als vollwertiger Bürger geachtet wissen, und das eben auch mit all den doch wohl verständlichen Sorgen und Befürchtungen in Hinblick auf die Zuwanderungspolitik. Kaum jemand will in Frage stellen, dass Menschen, die vor dem Islamismus fliehen, dringend unserer Unterstützung bedürfen, wenn ihnen diese ihre reichen muslimischen Nachbarländer verweigern. Allerdings eben wird diesen Weg auch der IS nutzen, um seine Angehörigen, Menschen von beispielloser Grausamkeit, bei uns einzuschleusen. Und wie soll das mit der Einwanderung aus den nicht bedrohten Regionen weitergehen? Womöglich kommen da auch anderweitig gefährliche Menschen, warum wohl sonst gibt man uns keine entsprechend aufgeschlüsselte Kriminalitätsstatistiken zur Kenntnis? Selbst für den, der nicht die mindesten Ansätze zum Rassismus aufweist, stellt sich die  Frage, wie lange es noch ein „deutsches Volk“ im Sinne einer relativ einheitlichen ethnischen Gruppe geben wird, wenn heute schon ein Drittel aller Kinder und Jugendlichen einen Migrationshintergrund hat (Erklärung der Bundeskanzlerin auf dem Deutschen Fürsorgetag im Juni dieses Jahres). Immerhin erhebt das Grundgesetz das deutsche Volk zum souveränen Träger der Staatsgewalt (Art. 20). Und erst recht ist zu fragen: Wenn die hiesige Politik bei der Durchsetzung demokratischer Prinzipien in Bezug auf die Zuwanderer tatsächlich keine Alternative sehen sollte, wie steht es dann mit der Politik der übrigen EU-Staaten? Ist deren Staatsführung, wenn sie von einem anderen Verantwortungsverständnis getragen wird, weniger demokratisch? Müssen solche Regierungen wegen ihrer Abschottung gegen Zuwanderer aus Sorge vor Überfremdung, vor zunehmender Kriminalität und auch um den Geldbeutel ihrer Bürger und den Staatshaushalt nicht als „rassistisch“ eingestuft werden, einfach dem hierzulande geübten Wortgebrauch folgend? Und wenn ja, können wir dann mit solchen Ländern überhaupt noch in einer Staatengemeinschaft leben?