Wenn man sich so lange wie ich mit dem Phänomen „Kabarett“ auseinander- und wieder zusammensetzt, so kommt man ins Grübeln. Ich frage mich noch heute, fast immer noch jungfräulich: Was macht den Reiz dieses kleinkünstlerischen Genres eigentlich aus? Sicher der Fakt, dass man auf einer Kabarett-Bühne frech und unbotmäßig sein darf und dafür in den meisten Situationen Lacher und manchmal auch Szenenapplaus erntet. Sicher der Fakt, dass man auf einer Kabarett-Bühne in Rollen schlüpfen kann, die im wahren Leben zwar existieren, aber erst durch den „Rollenschlupf“ des Kabarettisten auf einer Kabarett-Bühne dem Publikum die Erkenntnis beschert: Diese Typen gibt es ja wirklich. Egal, ob nun in der Politik, in der Wirtschaft oder in der real existierenden Menschheit.
Sicher der Fakt, dass man auf einer Kabarett-Bühne manchmal das tun darf, was man eigentlich gar nicht kann: zum Beispiel singen. Bei uns im Kabarett „… nach Hengstmanns“ wird viel, lange und auch laut gesungen. Oftmals sogar richtig. Aber warum? Ich denke, glaube und hoffe: Kabarett und Musik bedingen einander. Die Musik im Kabarett ist wie die Suppe im Salz. Musik im Kabarett ist wie ein Katalysator. Sie beschleunigt die Reaktion, hat aber trotzdem im Gegenlauf zur Chemie eine Auswirkung auf das künstlerische Endprodukt. Warum sinniere ich so akribisch über die Musik im Kabarett? Diese Ausgabe der Zeitung „Magdeburg Kompakt“ gedenkt in erster Linie Musikern, die hier in der Stadt gelebt und gewirkt haben. Und ich möchte an dieser Stelle „mitgedenken“. Ich würde, wenn ich könnte, ihm sogar ein Denkmal setzen: Nämlich Fred Rödel! Ein waschechter in Berlin geborener Magdeburger Kabarettkompo- und -pianist. Geboren am 16. April 1900 in – wie schon marginal erwähnt – Berlin.
Die Wirren des 2. Scheißkrieges verschlugen Fred Rödel irgendwann von Berlin in die Kriegsgefangenschaft, dann über Quedlinburg in unsere Stadt. Ich glaube, mich richtig zu erinnern. Es war die große Liebe. Nun nicht unbedingt zu unserer Stadt. Er kam immerhin aus Berlin. Es muss also eine andere große Liebe gewesen sein. Sie hieß Charlotte.
Fred Rödels künstlerische Meriten lesen heißt Staunen machen. Er komponierte mehrere Chansons für die damalige „Grand Dame“ dieses Metiers: Hilde Hildebrand. Selbst im ehemaligen „Westfernsehen“ war Fred Rödel musikalisch präsent. Und zwar im „Blauen Bock“. Nein, nicht in jenem, der in Magdeburg nun doch endlich seiner wahren Bestimmung weichen muss. Es war im „Blauen Bock“ des Heinz Schenk. Hier sang das seiner Zeit sehr bekannte „Medium-Terzett“ mit großem Vergnügen und großer Zuschauerresonanz einen der größten Gassenhauer – heutzutage sagt man wohl „Hit“ – von Fred Rödel. Es war den Schlager „Martha! Warum entschwandest du?“ Ob er dafür Tantiemen aus dem Westen bekam, weiß ich nicht. Ich weiß nur eines. Er war immer sehr gut gekleidet.
Doch was viel wichtiger war: Fred Rödel war ein irre guter Kabarettpianist. Mein Vater Erich Hengstmann traf ihn eines guten Tages. Die beiden wurden auf Anhieb Brüder im Geist. Mein alter Herr schrieb die Texte für Songs, Chansons, Couplets und andere Lieder, und Fred Rödel komponierte die Musik dazu. Mit einigem Abstand betrachtet: Kongenial! Mit etwa zehn Jahren begann ich Fred Rödel auf die Klavier spielenden Hände zu schauen. Zu dieser Zeit war er Pianist des ersten Kinderkabaretts der DDR, der „Kritiküßchen“. Ich wollte unbedingt so in die Tasten hauen können wie Fred Rödel. Viele Jahre später konnte ich es fast so. Und das mache ich noch heute. Bei passender Gelegenheit, leider zu selten auf der Kabarettbühne. Bei Familienfeiern traktiere ich die häusliche „Drahtkommode“ mit Melodien von „olle Fred“. Jeder gespielte Ton, jeder klingende Akkord lässt die Kunst eines Berliner Magdeburgers wieder lebendig werden. Ich hoffe, dass nicht nur ich mich an Fred Rödel erinnere. Im Jahre 1978 schloss Fred Rödel für immer den Deckel seines geliebten Klaviers. Frank Hengstmann