Leben ist auf dem Alten Markt eingezogen. Weihnachtliche Düfte steigen auf und die Jahreszeit wird mit traditionellen Weisen besungen. An „Boos Glühweintheke“ herrscht fröhliches Treiben und vom Oberstübchen heizt Live-Musik die Stimmung an.
Waltraud und Gunther Boos sind seit 1976 auf dem Magdeburger Markt zu finden. „Boos Glühweintheke“ ist eine feste Instanz und ein Stimmungsmagnet zum alljährlichen Adventsspaß rund um das Rathaus. Doch die Geschichte dahinter zeigt erst, dass man zum Schausteller geboren sein muss und bestätigt das alte Sprichwort: Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.
Das Schaustellergeschäft lebt die Familie Boos nämlich bereits in 5. Generation. Die eigentlichen Wurzeln liegen in Bechthein nahe der Rheinstadt Worms. Die erste nachweisliche Erwähnung für das Schaustellergewerbe geht auf Gunther Boos Urgroßvater Heinrich zurück. Vater Karl, 1899 geboren, hatte zunächst nichts mit dem reisenden Berufsstand am Hut. Er wollte einen „ordentlichen“ Beruf erlernen und Jura studieren. Doch der 1. Weltkrieg kam dazwischen. Außerdem verlor er als junger Soldat einen Finger. Die Karrierepläne wurden begraben und erstieg ins väterliche Geschäft ein.
Schon damals zog die Karawane mit ihren Schaugeschäften durch die Lande. Die jährliche Route führte über Hessen, Niedersachsen, Magdeburg, Berlin bis in schlesische Städte und schließlich zurück über Sachsen und Thüringen nach Worms. Damals waren die Fahrgeschäfte in der Tat noch echte Schaubetriebe. Man zeigte Exoten aus aller Welt bis die Cinematographen aufkamen und flimmernde Bilder auf den Volksfestplätzen Einzug hielten.
Der „Humoristische Wasserfall“ war das erste Geschäft, dass über zwei Etagen gebaut wurde. Damit reiste Gunther Boos Vater schon durch die Lande. Die Vergnügen der damaligen Zeit waren eben andere als heute. Auf einer Teppichrutsche schlitterte man rück- oder bäuchlings eine schräge Ebene hinab. Daran fand man selbst seinen Spaß und wurde gleichzeitig Belustigungsobjekt für andere Besucher, die den Damen unter den Rock schauen konnten oder sich über die ungeschickten Verrenkungen lustig machten.
Während des 2. Weltkrieges blieb Vater Boos in Magdeburg hängen. Die Fahrgeschäfte wurden in der Endphase des Krieges in Groß Ammensleben eingelagert. Bis 1947 gab es zunächst keine Volksfeste mehr. Die Menschen hatten nach Zerstörung und Leid andere Sorgen. Karl Boos lernte seine Frau Waltraut kennen und legte an der Elbe den Grundstein für den Fortbestand der Familie. Mit dem „Wasserfall“ ging es 1947 wieder an den Start. 1958 kam eine Schießbude dazu. Die „Fliegenden Hüte“, ein Ballwurfspaß war 1960 die neue Attraktion auf den Rummelplätzen. Die Köpfe, auf die man zielen konnte wurden von einem Magdeburger Bühnenbildner hergestellt. Mitte der 60er Jahre machte Karl Boos eine alte Zuckerwatte-Maschine wieder flott und die gesponnenen Zuckerfäden wurden zur beliebtesten Volksfest-Nascherei. Nach dem Willen des Vaters sollte Gunther Boos ebenfalls einen ordentlichen Beruf erlernen. Nach dem Abitur nahm er deshalb an der damaligen Technischen Hochschule ein Ingenieur-Studium für „Elektrische Ausrüstungen des Maschinenbaus“ auf. Einige Jahre arbeitete Gunther Boos in einem Rothenseer Betrieb.
Aber im Innern gab es diese Unruhe, unter der eingefahrene Abläufe und Wege grau erschienen. Gunther Boos lernte wie sein Vater ebenso eine Waltraud kennen. Deren Eltern waren schon selbstständig gewesen und es bedurfte keiner großen Überzeugungskraft, sie für die Wiederaufnahme des Schaustellerberufs zu begeistern. Seit 1981 reist die Familie Boos seither wieder durch die Lande und sorgt bis nach Polen, Tschechien und Österreich bei allen möglichen Volksfesten für gute Laune bei den Besuchern. Während der DDR-Ära musste Gunther Boos mit viel Kreativität attraktive Preise für seine Fahrgeschäfte organisieren. Vieles, wie originelle Aufkleber oder witzige Schilder, wurde selbst erfunden und hergestellt. Der Kartenblinker „Spiel mit“ ist siche vielen noch in Erinnerung. Die „Glühweintheke hat inzwischen 20-jähriges Bestehen. Nach ihrer Ausbildung sind nun auch die Söhne Hendrik und Stefan Boos in die Fußstapfen des Vaters gestiegen. Sie betreiben zwei große Fahrgeschäfte und organisieren seit sieben Jahren den Weihnachtsmarkt im polnischen Wroclaw mit. Bei der Vielfalt an Fruchtglühweinen auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt hat übrigens Gunther Boos auch seine Finger im Spiel. 1996 probierte er verschiedene Sorten aus und präsentiert jedes Jahr neue Kreationen. Ganz aktuell gibt es an „Boos Glühweintheke“ die Sorte „Glühblau“. Das ist ein heißes FCM-Aufsteiger-Getränk, das es auch im Stadion gibt. Oder man probiert mal den aktuellen Bratapfelglühwein aus. Man muss schon aus besonderem Holz sein oder das Blut der Ahnen in den Adern haben, um an wenigen Tagen die Heimat zu sehen und sonst stets unterwegs zu sein. (tw)