Wir sprechen viel miteinander und verständigen uns permanent, oft ohne wirklich zu verstehen. Vor allem in der politischen Sphäre führen verklärende Floskeln häufig zu Verirrungen im Denken. Eine Denkschrift. Von Thomas Wischnewski
Kommunikation heißt das Zauberwort, wenn es darum geht, Menschen zu einem wechselseitigen Verstehen zu motivieren. Man könnte es schlichter sagen: miteinander reden oder schreiben – das hilft. Doch was so einfach daherkommt, ist viel komplizierter. Oft führen verwendete Begriffe zu unangemessenen Schlussfolgerungen und nicht selten zu einem verklärenden Denken weit ab der Wirklichkeit. Einer der komplexesten Bereiche ist in diesem Zusammenhang die Sphäre der Politik.
Hier ist schon der Austausch zwischen Vertretern von Parteien schwierig, noch missverständlicher sind dann die Vermittlungsversuche gegenüber Bürgern, die, um verstehen zu wollen, hauptsächlich zuhören oder lesen müssen. Man greife nur eine häufig verwendete Grundbotschaft aus dem Repertoire von Politikern heraus: Sie sprechen nämlich allzu gern von Lösungen, die ausgehandelt werden müssten. Was dabei unter den Teppich fällt, ist die Tatsache, dass Politik für jeden Lebensbereich nur einen Normenrahmen setzt. Die Wirklichkeit der Lösungen liegt stets in den Händen derer, die innerhalb dieses Rahmens handeln. Jedes Individuum muss die Lösungen für das eigene Leben finden, auf dem Bildungsweg, am Arbeitsplatz, innerhalb der Familie oder im ehrenamtlichen Engagement. Unternehmen ergeht es nicht anders. Wobei auch hier nur die Richtlinienkompetenz und die Maßstäbe im Management liegen, letztlich sorgen all jene, die Dienstleistungen und Produkte erzeugen, für die kontinuierliche Lösung innerhalb der gesetzten Prozesse. Die Umkehr dieses Verständnisses führt in die irrige Annahme, dass man quasi ständig von oben Lösungen erwartet. Nur kommen von dort eben keine. Ein anderes Beispiel: Im Politiker-Sprech heißt es oft, wir haben viel getan. Treffender wäre, man würde sagen, man hätte viel geredet, gestritten und verhandelt. Auch wenn das alles Tätigkeiten sind, die Benennung des konkreten Handelns wäre der Wirklichkeit näher.
Besonders nebelig scheint diesbezüglich das Verständnis über die realen Möglichkeiten, global Einfluss auf die Entwicklungen auf der Erde nehmen zu können. Hier stiften derzeit zwei völlig konträr verlaufende Ansichten Verwirrung. Einerseits fordert eine große Mehrheit in den Industrienationen mehr Umweltschutz und eine Eindämmung des Verbrauchs an Rohstoffen und anderen natürlichen Ressourcen. Dafür gibt es mittlerweile eine breite Unterstützung. Andererseits wird teilweise von denselben, insbesondere politischen Akteuren, die für Klima- und Naturschutz eintreten, zur Stabilität der eigenen nationalen Wirtschaftskraft fortwährend das Wort Wachstum gepredigt. Wie Umweltschutz und Produktionszuwachs da auf Dauer zusammenpassen sollen, ist wohl eher eine Vorstellung aus dem Reich der Fantasie.
Ein weiterer Begriff, der das Zeug zur Legendenbildung besitzt, ist das Wort Gerechtigkeit. Der Blick auf die zahlenmäßig weiterwachsende Menschheit verbunden mit der Forderung nach mehr Gerechtigkeit für besonders arme Menschen lässt Zweifel aufkommen, wie dies mit einer Verminderung des Ressourcenverbrauchs und des dafür nötigen Energieeinsatzes möglich werden soll. Ein Schlüssel für die Diskrepanz für zahlreiche Phänomene findet man im Unterschied zwischen den Worten Verständigung und Verstehen. Während erstes die Kommunikation meint – also über eine Sache zu reden –, verlangt das zweite die tiefe Einsicht und das Wissen darüber, wie wirklich etwas funktioniert. Ein Beispiel: Wir alle reden permanent über den Klimawandel, und wir möchten gern den proklamierten Prozess der atmosphärischen Erwärmung stoppen. Die Komplexität der Faktoren und Einflüsse in ihrer Vielschichtigkeit zu fassen, gelingt leider letztlich nicht einmal den dafür zuständigen Wissenschaftlern. Trotzdem verständigen wir uns fortwährend weiter darüber, ohne die Wirklichkeit endgültig zu verstehen.
Noch gravierender werden die Missverständnisse, wenn es um weltwirtschaftliche Mechanismen geht. Globalisierung hieß das Schlagwort der 90er Jahre. Die Folgen davon kann hierzulande jeder in der Wirklichkeit erleben. Ganze Fertigungsbereiche sind aus unserer Arbeitswelt verschwunden und werden auf anderen Erdteilen erledigt. Relativ einfache Produktionstätigkeiten, die einst für Massenbeschäftigung sorgten, sterben weiter aus. Dennoch treibt eine politische Elite den Prozess weiter. Die Verheißungen von heute nennen sich dann Freihandelsabkommen. Was ohnehin schon frei ist – nämlich global agierendes Kapital – soll unter Handelserleichterungen noch freier werden. Die Skepsis gegenüber CETA und TTIP speisen sich nicht nur aus Bedenken über die Aufweichung von Standards für Verbraucherschutz und an einer Schiedsgerichtsbarkeit jenseits des Rechtsstaates, sondern vielmehr aus der Vorstellung, dass entfesselte Gewinnchancen für Globalplayer soziale Verantwortung in einem nationalen Sinne eher als Ballast an Board ihrer Unternehmen sehen. Die Steuervermeidungstendenzen internationaler Großkonzerne bringen das ans Licht. Die Regulierungseinflüsse von Nationalstaaten marginalisieren sich. Die Entwicklung hat etwas von Goethes Ballade vom „Zauberlehrling“: „Herr, die Not ist groß! / Die ich rief, die Geister / werd ich nun nicht los.“
Da die herrschende Politik seit drei Jahrzehnten Markterweiterungen predigt und niemand auch nur kleine Einwände dagegen erhebt, sinkt deren Glaubwürdigkeit in der eigenen Bevölkerung. Nun dürfen wir monatsweise Erfolgsnachrichten kosten. Die Wirtschaft brummt. Die Steuereinnahmen klettern auf neue Höchststände. Die sozialversicherungspflichtigen Jobs rangieren ebenfalls auf Rekordhöhe. 5,9 Millionen Menschen leben dazu entweder von Hartz-IV-Geld oder sind Leistungsempfänger von Sozialgeld. Hinzu kommen noch einmal über eine Million Menschen, die Empfänger von Leistungen zur Grundsicherung sind. Bisher ist keine Trendwende in Sicht, unter der sich die Zahl von sieben Millionen Menschen verringern würde. Dennoch schürt man in der Politik weiterhin den Eindruck, den Koloss an weltkomplexen Wirtschaftsverflechtungen für die Nation zum Guten wenden, anstatt eher die Ohnmacht gegenüber der Kraft dieser globalen Mechanismen einzugestehen. Da helfen offensichtlich auch keine gebetsmühlenartigen Beteuerungen, dass man hier „gemeinsame Anstrengungen“ unternehmen müsste. Auch solche Floskeln wie „wenn alle mit anpacken…“ bleiben inhaltsleer.
Die gesellschaftliche Polarisierung zwischen konservativ-nationalen und linksliberalen Vorstellungen finden ihren Ausdruck unter einer wahrscheinlich unumkehrbaren globalen Entwicklung. Innerhalb dieser Auseinandersetzung befinden wir uns erst am Anfang. Wer glaubt, Weltrettung mit Forderungen nach mehr Menschlichkeit und sozialer Gerechtigkeit betreiben und damit in eine progressive Richtung steuern zu können, muss sich eine gewisse Naivität in der Haltung vorwerfen lassen.
Wir lassen uns ebenso gern von einer Vorstellung tragen, dass der Blick in die Zukunft ein Leben erzeugte, das leichter, schöner und besser würde. Aber was soll man unter dem Komparativ dieser Adjektive verstehen? Weniger arbeiten, noch mehr Konsum, weiter und öfter verreisen? Wenn das persönliche Glück an den Erwerb eines Dritt-Fernsehers, eines Fünft-Handys oder an den regelmäßigen Kauf eines Neuwagens geknüpft wird, wie soll das wiederum mit Umwelt- und Klimaschutz oder mit sinkendem Ressourcenverbrauch in Einklang gebracht werden? Die Kehrseite der Medaille ist in der sich nicht verringernden Anzahl von Sozialleistung abhängigen Menschen zu sehen. Diese sind nämlich auf ein festgelegtes finanzielles Niveau reduziert. Sie haben quasi ihren festgelegten Wert, der auf ihrem Hartz-IV-Bescheid ausgedrückt wird. Wer spricht für Betroffene in diesem Bereich über die tatsächlichen Fakten? „Regelsatz“ heißt die Wertschätzung in der Verwaltungssprache und festgeschrieben ist sie für einen Alleinstehenden aktuell mit 404 Euro.
Wie der Rahmen für mehr Gestaltungsmöglichkeiten neu gesetzt werden kann oder wie man Sinnstiftung außerhalb der Arbeitswelt gesellschaftlich neu fassen könnte, darüber hört man aus den politischen Räumen wenig. Das Vorschriften-Korsett von Hartz IV oder bei den Hilfen zur Grundsicherung bietet keine wirklichen Gestaltungssphären für Menschen, die darin eingezwängt sind. Außerdem muss man sich stets vor Augen halten, dass eine steigende Anzahl von Menschen in Sozialleistungen einher geht mit einem wachsenden Potenzial für Missbrauch dieser Leistungen. Es existieren keine endlos dehnbaren Systeme, ohne dass sie unter einer zunehmenden Belastung destabil werden würden. Auch das spürt man in der Bevölkerung. Allerdings hält sich die Wahrnehmung über eine weiter verklärende politische Sprache. Alle versprechen Lösungen, aber es gibt gar keine politischen Lösungen und schon gar keine greifbaren wirklichen Lösungen für Betroffene.
Man kann auch auf den Ernährungsbereich schauen, um Sprachverirrungen zu sehen. Hier wird die Verklärung des Denkens schnell sichtbar. Inflationär reden wir vom „gesunden Essen“. Wer gesund ist, kann sich nicht gesünder essen. Man fügt sich selbstverständlich mit einseitiger oder Mangelernährung schwerwiegende Schäden zu. Aber die Vorstellung, dass es ein gesünderes Essen als ausgewogen und abwechslungsreich geben könnte, ist eine Legende. Ein Bio-Siegel auf Lebensmitteln gleicht heute bei industrieller Erzeugung eher einem Marken-Etikett als einer Vorstellung über romantische Landwirtschaftswirklichkeit.
Noch ein Wort zur scheinbar unerschöpflich reichhaltigen Internetwelt: Der erleichterte Zugang zu Wissen und Informationen ist ausgezeichnet. Allerdings führt die Datensammelwut von Google & Co. dazu, dass die Suchergebnisse, die bei jeder Suche ausgeworfen werden, im weiteren Verlauf verengter werden. Google kennt quasi durch die permanente Überwachung die Suchvorlieben eines Nutzers immer besser. Die Ergebnislisten werden mittels mathematischer Algorithmen mit der Zeit zunehmend präziser, was den tatsächlich vorliegenden Informationsschatz möglicherweise einengt. Die zunehmende Kritik gegenüber politisch Verantwortlichen findet eine tiefe Wurzel darin, wie verklärend dort häufig geredet wird. Es verwundert wenig, wenn daraus folgend irreführende Schlüsse von Bürgern gezogen werden. Darüber wundern sich dann wieder Politiker. Ein Ausbruch aus diesem Sprach-Teufelskreis ist nicht in Sicht. Es ist ergo kein Wunder, wenn die Welt oft Kopf steht.