Unbekannt, anders, nicht vertraut – Fremdes zeigt sich in vielem und stößt auf innere Fragezeichen. Im ärgsten Fall sogar auf Ängste. Ein untauglicher Gesprächsversuch, sich der Fremde zu nähern.
Ich: Gehen Sie! Sie sind mir fremd. Ich möchte mich nicht mit Ihnen unterhalten.
Die Fremde: Sie sind mir genauso fremd. Glauben Sie etwa, ich hätte mir die Begegnung ausgesucht?
Ich: Dann besteht ja Einigkeit und wir können unserer Wege gehen.
Die Fremde: Das würden wir sogar tun, wenn wir uns nicht fremd wären.
Ich: Da gebe ich Ihnen Recht.
Die Fremde: Schön. Das ist ein Zug, der mir nicht fremd ist.
Ich: Jetzt fangen Sie bloß nicht an, Gemeinsamkeiten aufzulisten. Das bringt nichts. Fremd bleibt fremd!
Die Fremde: Stimmt. Ich muss Ihnen erneut Recht geben.
Ich: Sie sind mir ein kluges Kerlchen.
Die Fremde: Wie wollen Sie das wissen, da ich Ihnen doch fremd bin.
Ich: Aber hallo, ich kann hören, was Sie sagen. Solche Aussagen weiß ich doch einzuordnen. Das heißt noch lange nicht, dass Sie mir deshalb nicht mehr fremd sein würden.
Die Fremde: Warum erzählen Sie mir das? Ich weiß das alles selbst. Beantworten Sie mir lieber die Frage, wann Sie aufhören, mit jemandem zu fremdeln.
Ich: Ganz einfach, wenn man sich vertraut ist.
Die Fremde: Ich bin nicht sicher, ob ich Ihnen je vertrauen könnte.
Ich: Klar. Da wir uns nicht kennen, ist das so.
Die Fremde: Sie meinen wir könnten uns kennenlernen?
Ich: Im Prinzip schon. Aber mal ehrlich: Wollen Sie das?
Die Fremde: Keine Ahnung. Ich kenne Sie ja nicht. Erst, wenn ich etwas über einen anderen erfahren habe, kann ich wissen, ob es lohnte, sich kennenzulernen.
Ich: Mir reicht, dass ich weiß, dass Sie die Fremde sind.
Die Fremde: Sie bleiben mir genauso fremd.
Ich: Gut, dann können wir endlich diese gegenseitigen Bestätigungen einstellen und unserer Wegen gehen.
Die Fremde: Wo wollen Sie denn hin?
Ich: Ich muss hier abbiegen.
Die Fremde: Nein, ich meine, wohin Sie mit Ihrem Leben wollen?
Ich: Das weiß ich doch jetzt nicht. Kann ja viel passieren. Keiner kann sein Leben voraussehen.
Die Fremde: Ja, manchmal ist einem das eigene Leben fremd.
Ich: Blödsinn. Die Zukunft ist ungewiss.
Die Fremde: Also fremd.
Ich: Von mir aus, die Zukunft ist mir fremd. Ihr Widerspruch ist mir befremdlich. Wollen Sie mich provozieren?
Die Fremde: Das liegt mir fern. Ich meine, mir ist das wesensfremd.
Ich: Hören Sie endlich mit der Begriffsklauberei auf. Das führt zu nichts.
Die Fremde: Nichts ist auch ziemlich fremd.
Ich: Wissen Sie, bis hierhin habe ich jede Menge Verständnis für Sie gezeigt, obwohl Sie mir fremd sind. Schluss jetzt damit!
Die Fremde: Jawoll. Schluss mit der Fremde. Schön, kommen wir uns nun doch näher.
Ich: Sie sind verdammt aufdringlich.
Die Fremde: Entschuldigen Sie bitte, woher wollen Sie das schon wieder wissen, da wir uns doch fremd bleiben wollen. Darf ich Ihnen noch eine letzte Frage stellen?
Ich: Nun machen Sie schon.
Die Fremde: Sind Sie sich oft selbst fremd?
Ich: Was soll das wieder heißen? Ich weiß genau, wer ich bin.
Die Fremde: Sind Sie sicher?
Ich: Ganz sicher. Von Ihnen lasse ich mir keine Persönlichkeitsspaltung einreden.
Die Fremde: Das meine ich nicht. Ich bin mir manches Mal selbst ganz schön fremd.
Ich: Kann ich gut verstehen. Sie heißen ja auch so.
Die Fremde: Wissen Sie denn, wer Sie in zehn Jahren sein werden? Oder stellen Sie sich vor, Sie begegnen sich selbst, als Sie noch ein Kind waren, vor 40 Jahren. Meinen Sie nicht, dass Sie sich in der Vergangenheit wie auch in der Zukunft fremd wären? Es ist, als gehöre Fremdes gleichsam zu uns.
Ich: Sie erzählen einen Quatsch zusammen.
Die Fremde: Oder Sie denken krauses Zeug.
Ich: Ich weiß genau, was ich denke.
Die Fremde: Ach ja, Sie wissen stets, wer Sie sind, auch heute schon, wer Sie mit 85 sein werden.
Ich: Das kann niemand wissen.
Die Fremde: Also bleiben Sie sich selbst ein Leben lang fremd, weil Sie nie wissen, wie Sie später sein werden. Und glauben Sie mir, sogar Ihren sehr vertrauten, nahen Mensch werden Sie ganz schön fremd vorkommen.
Ich: Ich habe Sie nicht eingeladen, mich zu belehren.
Die Fremde: Ich Sie auch nicht. Wir wollten uns schön fremd bleiben.
Ich: Nach diesem dummen Gespräch bin ich wieder ganz Ihrer Meinung.
Die Fremde: Wissen Sie, ich plage mich schon sehr lange mit mir herum, bleibe mir weiterhin fremd und begegne lauter Fremden wie Ihnen. Ich glaube, ich bin zu oft gespalten und habe mich in alle eingenistet.
Thomas Wischnewski