Wie Wünsche wahr werden? Einfach locker!

PG_Hunde019Vor 25 Jahren gründete Hans-Peter Kamieth die „Sunny Fahrschule“. Vieles in seinem Leben wirkt sehr locker. Doch steckte immer mehr dahinter.

Was willst du eigentlich noch erleben? Diese Frage stellte sich Hans-Peter Kamieth im Dezember 2011.

Warum fragt das ein Mensch, der auf ein facettenreiches Leben schaut? Der Inhaber der Magdeburger „Sunny-Fahrschule“ war gerade aus der Narkose einer Bypass-Operation erwacht. Kamieth musste für die Antwort nicht lange überlegen. „Ich will noch einmal auf die Bühne“ – so formulierte er den Wunsch der Wünsche. Für manche mag das Vorhaben ungewöhnlich, unerreichbar oder verrückt klingen. Für den damals 57-Jährigen war es ein Herzenswunsch fürs wieder schlagende Herz. Einfach nur locker. Und wirft man einen genaueren Blick auf den Lebensweg des Unternehmers, erkennt man Stationen, die ganz oft wie eine Erfüllung von Herzenswünschen aussehen.
Hoch im Norden, in Beetzendorf bei Salzwedel, wird Hans-Peter Kamieth am 8. Januar 1954 geboren. In Jübar, unweit von Klötze, wächst er auf. Besucht hier die Polytechnische Oberschule. Sein Vater der Jübarer Bürgermeister spielt Akkordeon und Schlagzeug. Seine Mutter ist Leiterin der örtlichen Kaufhalle und singt im Chor. Musik wird für den Altmärker schon früh zu einem wichtigen Zeitvertreib. Er spielt Schalmei und singt. Die 60er Jahre prägen den Jugendlichen musikalisch. Die Beatles sind längst Idole. Das Zeitalter des Klassikrocks blüht auf. Der Faszination dieses Stils kann sich auch Hans-Peter Kamieth nicht entziehen. Den ersten Bandkontakt bekommt er über seinen Freund, den Gitarristen  Jörg Homeier. Hier kümmert er sich um die Technik. Hauptsache dabei sein. Wünsche können wahr werden, wird er sich gedacht haben. Der Hauch von wilder Freiheit, Rebellion gegen den vorherrschenden Zeitgeist sowie weibliche Bewunderung, die Musikern entgegenwehte, wirkten magisch auf die junge Generation dieser Zeit.
Hans-Peter Kamieth nimmt Musikunterricht, macht die erste Bekanntschaft mit der Gitarre und singt. Seine Heiner und Jochen steckt mit der Leidenschaft an und zeigt ihnen das Spielen auf sechs Saiten. In seinem Ausbildungsbetrieb, dem Kombinat Elektronische Bauelemente Klötze (KEB) spielt der Elektronikfacharbeiter erstmals „die erste Geige“ und steht als Sänger und Gitarrist der KEB-Band selbst auf der Bühne. Mit dem wenige Jahre älteren Sänger Hannes Andratschke schließt er Freundschaft und fährt mit ihm regelmäßig nach Magdeburg. Die Maschinenbaumetropole war für den jungen Mann vom Lande eine völlig andere Welt. Für seine damalige Lebenserfahrung ein gigantischer Schmelztiegel für Ideen und Möglichkeiten. Nachdem Andratschke die Band „Actus Purus“ verlässt, gründete Kamieth mit den verbliebenen Musikern die „301 Band“. Musik war jetzt ganz zum Lebensmittelpunkt avanciert. Der spätere Lagerjob im Kraftverkehrs- und Instandsetzungskombinat Magdeburg (KIK) hatte eher eine Alibifunktion und ermöglichte Freiräume, um Auftritte leisten zu können. Ein Herzenswunsch ging in Erfüllung. In den nächsten Jahren suchte er die Bandbühne mit den besten Entfaltungschancen. Nach der „301 Band“ entstanden die „301 Bluesband“, „Elbstadtformation“ und „Roulette“. „Hape“ – so wird Kamieth von seinen Wegbegleitern genannt – sammelte weiter Erfahrungen. Er arbeitete an der Seite von Friedhelm Ruschak, Gregor, Jürgen und Kerstin Schienemann – lauter Magdeburger Musiker, die die Szene damals mitbestimmten.
Trotz seines Anspruchs, sich musikalisch entwic-keln und verwirklichen zu wollen, verlor er das berufliche Fundament nicht aus den Augen. 1976 ließ er sich zum Fahrlehrer ausbilden und heuerte 1978 bei VEB Taxi an. Die Anstellung erhielt er erst im zweiten Anlauf. Der Typ mit langen Haaren, Cowboy-Stiefeln und Doktor-Tasche erschien dem damaligen Chef zu locker und vielleicht etwas dekadent. Der Stellvertreter nahm ihn dann doch, als sich der Chef im Urlaub befand. In dieser Zeit musste Hans-Peter Kamieth allerdings mit einem schweren Schicksalsschlag leben. Zuvor hatte sich der 7. August 1977 als schwarzer Tag in sein Leben geschnitten. Er lag in Gardelegen im Krankenhaus. Seine Ehefrau, mit der er seit einem Jahr verheiratet war, sowie sein Vater kamen bei einem Verkehrsunfall auf dem Weg zu ihm in die Klinik ums Leben. Mit 23 Jahren schleppt man ein derart niederschmetterndes Ereignis wie eine Strafe mit sich herum. Als alleinerziehender Vater der damals einjährigen Tochter Beatrice musste für die Elternrolle allein Verantwortung übernehmen.
Das Leben muss weiter gehen und Wünsche hören nicht auf. 1984 gibt es mit Conny eine neue Ehefrau an seiner Seite und 1986 erblickt mit Claudia seine zweite Tochter das Licht der Welt. Inzwischen sah sich Hans-Peter Kamieth auch musikalisch angekommen. Beim Kali-Ensemble Zielitz war er Conférencier und Sänger. Tourneen ins sozialistische Ausland lieferten neue Eindrücke und öffneten sicher auch seinen Blick auf die Zeitgeschichte. Denn 1989 gehörte Hans-Peter Kamieth zu den vielen Menschen, die wochenlang unermüdlich auf die Straße gingen, um sich für gesellschaftliche Änderungen in der DDR einzusetzen. Meinungsfreiheit, Reisefreiheit und berufliche Selbstständigkeit – das waren jetzt seine geäußerten Wünsche an das Leben. Im selben Jahr kollabierte der Staatsapparat und diese Wünsche waren zum Greifen nah.
Im Wende-November beschloss er sein Glück in Hannover zu suchen. Sogar ein Job-Angebot als Fahrlehrer hatte er schon in der Tasche. Bei der Grenzpassage in Marienborn machte ihn ein Offizier darauf aufmerksam, dass er seinen Pass abgeben müsse und am nächsten Tag nicht einfach wieder einreisen könne. „Hape“ wollte aber einreisen. Da war noch ein Gig mit der Band zu absolvieren. Und Gigs gingen vor Katastrophe. Das ist ein altes Musikergesetz.
Die Musik hatte gewonnen. Hannover verloren.  Die politische Wende ging mit neuen Möglichkeiten einher. Berufliche Selbstständigkeit war einer seiner bedeutenden Wünsche gewesen. Jetzt konnte er den Wunsch anpacken. Zugleich brach aber der Lebensinhalt Musik weg. Mit Beginn des deutschen Vereinigungsjahres 1990 schmiss er den Job als Fahrlehrer beim staatlichen Taxi-Betrieb. Dann mietete er Räume in der Lessingstraße 66. Zementsäcke mussten geschleppt und die heruntergekommenen Zimmer für die eigene private Fahrschule hergerichtet werden. Vielleicht funktionieren solche Vorhaben nur, weil Kamieth – wie er selbst sagt – eben ein „lockerer“ Typ ist, der nicht nur Träume träumt, sondern Träume in Taten verwandeln kann. „Locker“ – das ist kein Image, das man sich selbst verpasst. Wenn Hans-Peter auf den eigenen Weg zurückblickt, kommen Reflexionen hervor, die zeigen, dass Gelassenheit und Souveränität mit gelebten Erfahrungen zu tun haben und nicht mit aufgesetzter Lockerheit. Er war nämlich stets viel zielstrebiger als nur „locker“.

PG_Fahrschule001Das erste Fahrschulauto, ein Nissan Sunny“ wurde Namenspatron der Firma. „Sunny Fahrschule“ – das ist nun seit 25 Jahren ein Begriff in der Region. Rund 10.000 Menschen haben unter der Anleitung von Hans-Peter Kamieth und seinen Team-Kollegen den Führerschein gemacht. Heute stehen Bruder Jochen und Tochter Beatrice als Kollegen und Stütze an seiner Seite. Als Chef wollte er in dieser Zeit mehr als „nur“ Fahrlehrer sein. 20 Jahre lang, von 1992 bis 2012, agierte er in Stellvertreterfunktion im Vorstand des Landesverbandes der Fahrlehrer und prüfte künftige Ausbilder im Fach. Andere Fahrschulen beurteilte er als Gutachter und psychologisch fachliche Beratungen kann er ebenfalls geben. Verkehrssünder, die Punkte abbauen wollen oder sich auf eine Medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU) vorbereiten wollen, sitzen bei Kamieth am Tisch. Was willst du eigentlich noch erleben? Über die Antwort muss „Hape“ 2011, nach  22 Jahren nicht nachdenken. Als Fahrschul-Unternehmen hat er sich mit seinen neun Mitarbeitern etabliert und eine eigene Bühne gebaut. Was er wirklich vermisst, das ist die Musik, die ihn in den Jahren nach der Schule maßgeblich prägte. Wünsche können wahr werden, wenn man wirklich will. Natürlich nicht immer. Doch Hans-Peter Kamieth schaut auf seine Erfahrung, und so ein „lockerer“ Typ wie er, der kennt eine Menge Leute. Also fanden sich Gleichgesinnte. 2012 steht er beim „Impro Revival“ in der Festung Mark mit seiner neuen Band „Doc-Hape-Z“ auf der Bühne und feiert ein ganz persönliches Comeback. Im Publikum steht Stephan Trepte, ein alter Freund und Sänger bei Bands wie „Reform“ und „Lift“. Der macht ihm Mut und bestärkt ihn, weiter zu machen. Das Urteil eines Musikerkollegen ist ihm enorm wichtig. Locker ist eben nicht einfach locker.
Wer auf der Bühne steht, braucht Publikum, Beifall und Anerkennung. Anderenfalls wäre der Wunsch nicht richtig in Erfüllung gegangen und so locker, wie „Hape“ als Mensch sein wollte, wäre er dann bestimmt nicht. Von seinem Idol Udo Lindenberg schaut er sich gern noch etwas Lockerheit ab. Hin und wieder besucht er dessen Konzerte. An der Wand seines Büros hängt eine handsignierte Schallplatte, so richtig aus Vinyl. „Die Brücke in den Osten“ hat ihm Lindenberg höchst persönlich darauf geschrieben. Die Widmung besorgte Tochter Claudia, die jetzt bei Radio „Fritz“ Künstler trifft, die „Hape“ gern getroffen hätte. Da trägt sich offenbar durch die eigene Familie ein Wunsch weiter, ein anderer, weil Bruder Jochen mittlerweile nicht nur Fahrlehrer-Kollege ist, sondern auch Bandmitglied bei „Doc-Hape-Z“. Heiner, der ältere Bruder, hält der Musik ebenso die Treue und tritt in der Altmark regelmäßig als Solist auf. Eigentlich scheint der Kamiethsche Lebensweg ganz locker zu sein. Wer tiefer schaut, weiß, dass hinter locker nicht lässig steckt, sondern Arbeit an Herzenswünschen. Dabei kann sogar das Herz stehenbleiben, emotional oder gesundheitlich. Aber das müsse man locker sehen, hält einem Hans-Peter entgegen. Was passiert, das passiert und Wünsche sind zum Wahrwerden. Lockere Sprüche – die liebt „Hape“ auch und gibt sie gern weiter. Doch das ist eine andere lockere Geschichte.
Thomas Wischnewski

Die Sunny Fahrschule feiert 25. Geburtstag und wer will, kann mitfeiern. Am 8. August 2015, ab 12 Uhr, dreht sich an der Magdeburger Lessingstraße 66 ein Kinderkarussell. Es gibt Zuckerwatte, Erfrischungen, Currywurst und Schnuppertests am Fahrtrainer.
Von 17 bis 18 Uhr und von 19 bis 20 Uhr spielt nebenan, in der Bar „Tante Käthe“,
die Band „Doc-Hape-Z“ auf.