Sachsen-Anhalts Norden ist nicht gerade als Land der Burgen und Paläste bekannt. Deshalb darf sich in der Altmark jeder größere Herrensitz mit dem Ehrentitel „Schloss“ schmücken. So ist es auch in Tangerhütte, das gleich zwei Schlösser, eigentlich Fabrikantenvillen, zu bieten hat.
Das Besondere daran ist der herrliche, sie umgebende Park, der eng mit der Geschichte des Städtchens verbunden ist und heute ihr Aushängeschild darstellt. Seine Entstehung verdankt der Ort dem Geschäftsgeist zweier Magdeburger.
Der Name Tangerhütte tauchte erstmals Mitte des 19. Jahrhunderts auf. Damals waren in der Niederung des Flüsschens Tanger, nahe des Dorfes Vaethen, eisenerzhaltige Steine gefunden worden. Um sie zu schmelzen, wurde eine Hütte am Tanger gebaut. Schnell entwickelte sich das Werk zum florierenden Betrieb. Bereits im Jahre 1842 gründeten die Magdeburger Unternehmer Helmecke und Wagenführ das „Eisenhütten- und Emaillierwerk Tangerhütte“. Das Werk entwickelte sich schnell und verhalf der bis dahin unbekannten Region in der Altmark in kurzer Zeit zu einem starken wirtschaftlichen Aufschwung.
Um die „Tangerhütte“ wuchs eine kleine Siedlung, die schließlich mit dem Dorf verschmolz und 1935 Stadtrecht erhielt. Tangerhütte darf sich somit „Jüngste Stadt der Altmark“ nennen. Die Besitzer des Werkes gelangten zu Wohlstand und genossen die ländliche Idylle. Die Nachfahren von Johann Jacob Wagenführ ließen Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts die beiden einst prächtigen Villen errichten. Die Einheimischen sprechen vom „Alten Schloss“ und dem „Neuen Schloss“, um die herum eine ausgedehnte Parkanlage nach Pücklerschen Grundsätzen angelegt wurde.
Der Tangerhütter Stadtpark hat eine Fläche von rund 22 Hektar. Er wartet mit zahlreichen seltenen Gehölzen und mancher Überraschung auf. Ein Mausoleum, das bis in die 1970er Jahre die Gebeine der Fabrikantenfamilie beherbergte, die Pergola am Schwanenteich sind sowohl Blickfänge, als auch architektonische Meisterleistungen. Ein Wasserfall gänzlich aus Beton gegossen wurde zu einer der Sehenswürdigkeiten.
Die „Hütte am Tanger“ beschäftigte sich seit etwa 1840 eben nicht nur mit Eisen sondern auch mit „neuen Baustoffen“. Zwei Sphinxen am Eingang des Neuen Schlosses aus dem Jahre 1911 kamen aus dieser Werkstatt. Einmaliges Zeugnis technischer und künstlerischer Kreativität der Hüttenwerker ist der Kunstgusspavillon, der extra für die Weltausstellung 1889 in Paris gefertigt wurde. In den 90ern des 20. Jahrhunderts restauriert, ist er das Markenzeichen des Tangerhütter Stadtparks. Das acht Tonnen schwere Bauwerk besteht aus 441 Einzelteilen und wird von über 1.000 Schrauben zusammengehalten. Zu DDR-Zeiten recht verwildert (auch das hatte seinen Reiz), wurde das Areal in den zurück liegenden Jahren, weitgehend den ursprünglichen Plänen entsprechend, wieder hergestellt. Ein Megaprojekt für die finanziell chronisch klamme Kommune.
Möglich wurde es durch eine in dieser Form wohl einzigartige Initiative. Das Landesprojekt „Gartenträume – Historische Parks in Sachsen-Anhalt“ umfasst 43 grüne Oasen zwischen dem kleinen Ort Krumke im Norden und der einstigen Residenzstadt Zeitz im Süden des Landes. Der damit verbundenen großzügigen Förderung ist es zu verdanken, dass die Anlagen denkmalschutzgerecht wieder hergestellt, erhalten, gepflegt und touristisch vermarktet werden. Nur selten ist die Geschichte einer Stadt so eng mit der eines Parks verbunden wie in Tangerhütte. Und die Geschichte der Stadt begann mit zwei Magdeburger Unternehmern.
Christian Wohlt