„Die Stimme“ hat in Magdeburg einen Namen: Hannes Andratschke. Der gebürtige Oschersleber, von Anfangszeiten an begeisterter „Café-Impro-Gänger“, wuchs mit der Musik der Beatles und Stones auf, „verspielte“ seinen Wehrdienst bei der NVA in einer Band mit einem begabten, aus Weferlingen stammenden, blutjungen Keyboarder, der auf den Namen Ritchie Barton hieß und heute Sillys Mastermind ist, sang dann bei den beiden beinahe legendären Magdeburger Bands „Actus Purus“ und „Quintessenz“. Letztere verdiente sich die Bezeichnung als „Kaderschmiede der DDR-Rockmusik“.
Immerhin: In den siebziger Jahren bedeutete Magdeburg für die DDR-Rockmusik, was Hamburg für die westdeutsche Rockmusik war: Quell innovativer Ideen, außerordentlicher Musiker und, natürlich, auch ein ständiges Schrammen an den gesellschaftlichen Grenzen.
Rock´n Roll eben. „Bei „Quintessenz“ spielten wir so kompliziertes Zeug, dass man heutzutage damit ganze Säle leer spielen würde“, sagte Ritchie Barton mal im Rückblick auf diese Zeit, in der er mit dem heutigen RENFT-Gitarristen Gisbert „Pitti“ Piatkowski dort Musik von Bands wie „Coloseeum“ oder „King Crimson“ coverte. Die Magdeburger Band spielte seinerzeit auf höchstem Niveau und hatte ihre Zuhörer. Aus ihrer Auflösungsmasse ging das ‚Rock´n Roll Orchestra“ mit Alfred Raabe hervor.
„Nach ‚Quintessenz’ fragte mich Hermann Deckbar, ob ich nicht Lust hätte, in seiner neu gegründeten Band ‚Kraal’ mit Friedhelm Ruschak und anderen mitzuspielen. Wir hatten alle Lust auf eine in der Struktur einfachere Musik wie beispielsweise die von ‚Police’. Mir gefiel auch die Gruppe. Das waren alles sympathische Kerle. Wir harmonierten wie eine große Familie. Aber 1985 habe ich mir gesagt: ‚Junge, es ist an der Zeit, auch mal ein bisschen Geld zu verdienen.’“ Andratschke heuerte beim siebenundzwanzigköpfigen Orchester Kurt Dachwitz an, das damals die Stadthalle bespielte. „Da hatte ich alles zu singen, vom Big-Band-Sound bis zum Schlager. Das war eine verdammt gute Lehrzeit. Die möchte ich nicht missen!“
1988 wurde das Dachwitz-Orchester geteilt in ein Orchester, das fortan volkstümliche Melodien spielte, und in die „Da-Capo-„Band, unter anderem mit dem Sänger Hans Walsch und Oliver Vogt am Piano, die sich auf Joe-Cocker-Titel und Soulmusic spezialisierte. „Das war auch wieder musikalisches Lehrmaterial ohne Ende. Wir waren so überzeugt davon, dass, was wir zu bieten haben, beim Publikum tierisch einschlägt, dass wir gemeinsam sozusagen die schützenden Arme des Stadthallen-Orchesters verlassen haben. Aber da waren wir einem Irrtum aufgesessen. So gut die Musiker jeder für sich waren: Wir fanden kaum Veranstalter. Damit hatte sich das Bandprojekt innerhalb eines Jahres erledigt. In der Zeit kam Charlie Ludwig auf mich zu und warb mich für seine Crew. Mir gefiel an Charlies Konzept, dass er diese ganzen Oldies nicht nach dem Standard ihrer Aufnahmezeiten spielte, wie das eine richtige Oldie-Band machte, deren Ehrgeiz darin bestand, originaler als das Original zu klingen, sondern dass er die Songs ihrer Zeit entnahm und sie dem Zeitgeschmack entsprechend rockig spielte. Charlies Musik war authentisch, war urig rockig. Das war natürlich auch noch aus seiner MCB-Zeit beeinflusst, als sie im Trio damals Hart Rock spielten. Das fand ich richtig gut. Charlie kannte ich auch noch von MC, hatte sogar mal zur Aushilfe in Görlitz mit MCB einen Auftritt. Sie wollten damals Titel von ‚Kansas’ auf die Bühne bringen und dafür brauchten sie eben einen Sänger, der das singen kann. Von daher kannte ich ihn und schätzte ihn auch. Wir stellten 1989 das Repertoire der Crew ein wenig um, von den Stones ein wenig weg und hin zu CCR, die mir stimmlich auch mehr lagen, und hatten damit unser Erfolgsrezept für ‚Charlies Crew’, deren dreißigjähriges Bestehen wir am 22. Oktober im Alten Theater mit vielen Freunden, darunter ‚Basskran’ Marcus Schloussen, früher ‚Setzei’, ‚Reform’ und heute bei RENFT, mit Mitgliedern von LIFT etc. feiern. Wir gehen davon aus, dass wir dort nicht allein feiern werden.“
Uwe Jahn, den Mitbegründer von ‚Charlies Crew’, Bassisten und Sänger, kannte Andratschke aus dessen Zeit bei den „Brüdern“ und der Tangermünder Gruppe „Vehicle“. „Es kam so ein bisschen zusammen, was zusammen gehört.“ Nun ja, und ab 1989 konnte man aus den Tanzsälen in und um Magdeburg und anderswo die Crew-eigenen Fassungen von Titeln wie „Proud Mary“, „Bad Moon Rising“, „Down on the Corner“ mit Andratschkes Stimme und gegen Schluss des Abends auch die unnachahmliche Version des Lovin´-Spoonful-Hits „Daydream Believer“ mit Uwe Jahn am Mikrofon hören. Sozusagen bis zum heutigen Tag in dieser Besetzung. In den letzten Jahren auch mal mit Hilfe der nächsten Generation, also Charlie-Ludwig-Sohn Marcus Stieler an der Gitarre und Sebastian Symanowski am Schlagzeug, die inzwischen mit ihrer Band „mobilFUNKgerät“ erfolgreich unterwegs sind.
„Wie lange wir das nach dem dreißigsten Geburtstag noch machen wollen? Also für mich kann ich sagen: Soweit die Stimme trägt. Und ich denke, für Charlie und Uwe gilt das im Bezug auf die Fingerfertigkeit auch. Insofern ist das Jubiläum mit Sicherheit eine Zwischenstation.“ Gott sei Dank. Und da Andratschke wie Ludwig jedes Jahr ein Herz haben, also immer wieder auch im Bezug auf soziales Engagement Flagge zeigen, haben sie zu ihrem Jubiläum zur Neuauflage der „Tafelmusik“ eingeladen: 22. Oktober, 20 Uhr, Altes Theater. Dieses Mal geht ein Beitrag aus dem Verkauf der Karten an das „Kinder- und Jugendzentrum ‚Mühle’ in Olvenstedt. Also: Feiern und Gutes tun. Ludwig Schumann