Angst und Ängste

Gerald Wolf 2Ängste in Teilen der Bevölkerung sollten politisch wegdiktiert werden. In drei Landtagswahlen hat sich diese „Angst“ gewehrt. Eine Angstanalyse.

Von Prof. Dr. Gerald Wolf

Rums, da ist es passiert! Die Angst der sich miteinander so gut vertragenden Altparteien wurde zur Wirklichkeit, ein Stachel piekt nun in ihrem Sitzfleisch: eine ungezähmte Opposition. Erstaunlich groß war der Anteil der Wähler, der mit den eigenen Ängsten nicht länger allein sein wollte.

Das politische Establishment sollte es ebenfalls mit der Angst kriegen, nämlich mit seinen Begründungen und Entscheidungen nicht mehr ohne Weiteres akzeptiert zu werden und um angestammte Pfründe, Posten und Pöstchen bangen zu müssen.
Angst und Ängste, Furcht und Phobien waren bisher eher Sache der Psychiatrie und der Hirnforschung. Seit einiger Zeit aber sprechen häufiger Politiker und Journalisten von Ängsten und Phobien. Als ob man es nicht mit Bürgern, sondern mit Patienten zu tun hätte. Von Fremdenfurcht ist zu hören und zu lesen, von Xenophobie, von Islamophobie, von Angstbürgern. In der Wahrnehmung des Autors war zunächst von „dumpfen Ängsten“ die Rede, gleichsam krankhafte Zustände also, von denen unter anderem die Sympathisanten der PEGIDA-Bewegung befallen seien. Um eine wirklichkeitsferne Islamisierung ginge es denen und um vermeintlich unbotmäßige Belas-tungen der deutschen Bevölkerung durch einen angeblich nicht mehr beherrschbaren Zuwandererstrom. Das Deutschnationale sei in Auflösung begriffen, so würde da befürchtet, und mache zunehmend ethnischen Grundsätzen anderer Platz. Von offizieller Seite hielt man dagegen, es gäbe ein demografisches Problem, man sei besorgt, Deutschland könne durch sinkende Geburtenraten seine Spitzenposition in Europa hinsichtlich Bevölkerungsdichte verlieren, mithin auch an Wirtschaftskraft. Die Migranten böten eine hochwillkommene Chance. Darauf reagierten Teile der Bevölkerung mit der Angst, dass Deutschland, obwohl ein vermeintlich reiches Land, seinen auf 2 Billionen Euro angehäuften Schuldenberg durch die massenhafte und unkontrollierte Zuwanderung noch weiter vergrößern müsse, schon um auf seinem hohen Sozialleistungs- und niedrigem CO2-Ausstoßungsniveau bleiben zu können. Auch wuchs die Angst vor zunehmender Kriminalität und steigender Gewalt bei abnehmender polizeilicher Potenz, ebenso die Angst vor außer Landes getriebenen IS-Kämpfern, die in einem allzu offenherzigen Deutschland eine neue Mitte finden könnten. Natürlich gibt es ebenfalls Angst und Ängste auf Seiten der Politik, vor allem die Bevölkerung könne durch ungünstige Nachrichten beunruhigt werden und an Bereitschaft verlieren, in die Betreuung der Zuwanderer und deren Integration Geld und Mühe zu investieren. Wovor wiederum die sogenannte Asylindustrie Angst hat, ebenso manche der wohltätigen, einschließlich kirchlichen Organisationen.
In der großen Politik spricht man nicht gern von Ängsten, hier werden Sorgen gepflegt. Zum Beispiel, nicht recht definieren zu können, in was sich die nach Deutschland gekommenen Menschen integrieren sollen, da das An-sich-Deutsche zugunsten des Gesamteuropäischen, ja des Globalen, am Verschwinden sei. Deutsch zu sprechen, zumal nur gebrochen Deutsch, könnte es doch wohl allein nicht sein. Auch die Sorge, Deutschland würde sich durch seine Willkommenspolitik in Europa isolieren, der EU gar einen – dem Wesen nach gutgemeinten – Dolchstoß versetzt haben. Sorgenvoll wird an die Entwertung des Euro und die der Sparguthaben gedacht oder an die Gefährdung der Altersvorsorge durch die immer höher tourende Geldpresse. Ebenso daran, Deutschland könne wegen der Niveauabsenkung im Bildungsbereich und durch Relativierung des Best-Eignungsprinzips in der Personalpolitik seine Weltmarktposition verlieren. In manchen Auslandsmedien werden wir Deutsche wegen der Willkommenspolitik als „hirnlos“, als „brainless“ bezeichnet, als antinational, ja als selbstmörderisch. Anders als in anderen Nationen aber müssen die hiesigen Regierenden keine Angst vor dem Volkszorn haben. Viel eher tendieren die Deutschen, vielleicht gerade mal zähneknirschend, zu der Ansicht: Wenn nicht die, die wir gewohnt sind, wer denn dann? Hauptsache, unsere Wirtschaftskraft trägt noch eine Weile, gleich ob dank der Politik oder trotz der Politik.
Was, müssen wir uns fragen, lässt sich gegen all diese Ängste unternehmen? Eine Möglichkeit ist, die Ursachen für die Ängste einfach wegzuerklären. Jedenfalls ist das besser, als mit Schönfärberei zu beruhigen. Viel überzeugender geht es mit Parteilichkeit: Das, was politisch gewollt, also gut ist, von der Tendenz her in den Vordergrund stellen und zusammen mit Belanglosigkeiten ordentlich ausbreiten, dafür anderes verschweigen. Lügenbeine sind kurz, Verschweigen trägt weiter. Ebenso bewährt hat sich die Praxis, Medienbilder so zu schneiden, dass ausschließlich Flüchtlingsleid gezeigt wird. Oder Abschiebeszenen zu bringen, von wegen, wer hier nicht hergehört, der gehört abgeschoben — dafür zu unterschlagen, dass Abschiebung nur in Ausnahmefällen gelingt, viel Geld kostet und nicht garantiert, dass Abgeschobene einfach nicht wiederkommen. Integrationsverweigerer, die lustlos herumhängen oder gar „Scheißdeutschland“ an Wände schmieren, sollten weiterhin als untypisch ignoriert werden. Ebenfalls besser verschweigen, dass es mit Menschen aus Ostasien kaum Integrationsprobleme gibt und dass deren Kinder oft sogar höhere Schulleistungen erbringen als deutsche. Wenn schon Ausländerkriminalität, dann sind diese grundsätzlich als Einzelfälle zu werten. Und besonders wichtig: Meinungen von außerhalb des politischen Mainstreams müssen, weil sowieso irrig, als aufgebauscht deklariert bzw. als Hetze und wenn nur irgend möglich als solche Parolen mit Gaskammergeruch demaskiert werden.
Schließlich wird die Öffentlichkeit, auf solche und ähnliche Weise geläutert, bald wieder an Zuversicht gewinnen. Sie verliert ihre Ängste und sagt sich, die da oben, die wissen Bescheid, auf die können wir weiterhin bauen! Wenn dann die Bevölkerung noch immer ihre Ängste behält, indem die Mandelkerne in ihren Hirnen unbeirrbar Warnsignale aussenden, dann, ja dann … — Also, man kann ja nicht jedem wie einem hochrangigen Politiker eine gepanzerte Limousine zur Verfügung stellen oder personellen Schutz angedeihen lassen. Der Personenschutz besteht aus Menschen, die ebenfalls ein Schutzbedürfnis haben, und deren Beschützer und ihre Familien und Freunde desgleichen. Ebenso geht es nicht an, jeden x-beliebigen Menschen wie einen Polizisten mit Brustpanzer auszustaffieren und zu bewaffnen. Es muss genügen, diesen unseren Menschen zu sagen, sie brauchten einfach keine Angst zu haben. Sollten dann immer noch Ängste zu verzeichnen sein, gibt’s schließlich die Anxiolytika, jene Medikamente also, die die Angst dämpfen.

Angst als Teil unserer
Grundausstattung

Angst hat das Neugeborene nicht. Erst mit etwa acht Monaten zeigt es dieses Gefühl. Dann nämlich ist das Gehirn so weit gereift, etwas als ungewöhnlich zu erkennen und entsprechend mit Angstgefühl zu reagieren. Das passiert spontan, also ohne zuvor auch nur im Mindesten unangenehme Erfahrungen mit dem Ungewöhnlichen gemacht zu haben, mit dem Fremden. Die Fähigkeit, Angst zu empfinden, verlässt uns das gesamte Leben nicht mehr, sie gehört zur Grundausstattung der menschlichen Seele. Ebenso zum elementaren Verhaltensinventar der meisten Tiere, allemal der höheren. Überall begegnet man bei Gefahr denselben Verhaltensmustern: Flucht oder Verteidigung oder Erstarren. Dass ein solches angstgetragenes Verhalten lebensrettend sein kann, zumindest vor Schäden bewahren mag, liegt auf der Hand, und auch nur deshalb ist es so verbreitet. Bei Erkenntnis der Harmlosigkeit von bislang Ungewohntem schleift sich die Angstreaktion ab, Vertrauen stellt sich ein, Zutraulichkeit. Dem Menschenkind helfen Mama und Papa, Vertrauen zu entwickeln. „Nun guck doch mal, Paula, die süße Miezekatze, die gute“, heißt es dann. „Die tut dir nichts. Ganz, ganz lieb ist sie!“ Und zur Bestätigung wird das Katzentier gestreichelt. Bis auch Paulinchen mitmacht und das ursprünglich furchtauslösende Objekt zum Knuddeltier wird. Ebenso lernt das Kind, seine Furcht vor dem fremden Onkel zu verlieren, vorm Dunkel, vor der Maus, der Spinne, der Schule, am Ende sogar vor einer Ringelnatter. Aber wir lernen noch mehr, denn da erweist sich die Freundin als eine falsche Schlange, und Timo von nebenan als ein falscher Freund. Manche lernen es nie so recht, ihre Vertrauensseligkeit aufzugeben, und andere nie, Vertrauen zu entwickeln. Gleich ob Freunden, Bekannten oder Kollegen gegenüber, oder Politikern oder den Medien. Gerald Wolf