Als langsamer Leser stolperte ich kürzlich über das lateinische Wort Lorica. Ach, dachte ich, das klingt, als rufe man Lores ältere, aber schöne Schwester. Hat sich was mit Schwester. Lorica steht für die Brustpanzerung römischer Soldaten – oder, in religiöser Hinsicht, für eine Art Schutzgebet. Da kann man sich jetzt aussuchen, was man braucht. Wenn es beispielsweise um die Windkraft geht. Um die wird es in diesem, unserem Lande ja wohl wieder verstärkt gehen. Da wird der Wind schärfer wehen und manch ein Erbauer wird sich hinter einer Lorica verstecken wollen, manche Bürgerinitiative neigt dann wahrscheinlich eher zum Schutzgebet.
Aus welchem Grund? Ich las in der Zeitung, dass die Basis der Grünen darauf bestand, das Umwelt- und Landwirtschaftsministerium zu übernehmen, auch wenn man keine Fachfrau dafür hat. Nun, hin und wieder hört man ja auch von erfolgreichen Quereinsteigern. Immerhin beschäftigte sich Claudia Dalbert mit der Bedeutung des Gerechtigkeitserlebens, also der Frage, wer für Gerechtigkeit eintritt und was die Folgen von Ungerechtigkeitserfahrungen sind. So wäre sie ja geschult, den Bürgerinitiativen im Lande, die ein Problem mit den Auswirkungen des wilden Bauens von Windkraftanlagen haben, ihr aufmerksames Ohr zu widmen.
Beginnen wir von vorn: Windkraft gilt als eine der wichtigen Säulen der Energiewende. In der anfänglichen Euphorie der Regierung Höppner wurden die Mühlen dort hingesetzt, wo jemand „hier“ rief. Dann kam der Herr Böhmer und brummte etwas von der „Verspargelung der Landschaft“. Das Böhmersche Brummen wurde aber bald übertönt vom Gedöns um die Arbeitsplätze in der entstehenden Windkraftindustrie. Und nun wurde auf Teufel komm raus gebaut. In der flächenmäßig viertgrößten Stadt der Bundesrepublik, in Möckern, gibt es mit Büden und Stegelitz zwei Windkraftgebiete. Ein drittes sollte nun hinzukommen, östlich des Stadtkerns von Möckern, wie das ein wenig hochtrabend heißt. Nun hatte aber seinerzeit der Stadtrat von Möckern gesagt, dass man mit den ausgewiesenen Gebieten genug getan habe für die Energiewende. Östlich von
Möckern die Landschaft solle landschaftlich und landwirtschaftlich entwickelt werden. Das hatte auch drei Gründe: Der Loburger Storchenhof braucht ein Auswilderungsgebiet. Die Großtrappe braucht einen Durchzugskorridor vom Fiener Bruch zum Zerbster Ackerland (bisher letzte Sichtung: 17.4.2016 mit Foto), der Rotmilan hat in diesem Gebiet eine seiner größten Horstdichten in Deutschland. Der Möckeraner Stadtrat beschloss das parteiübergreifend einstimmig. Soviel zum Gewicht von Demokratie. Eine Mehrheitsentscheidung, lernte ich seinerzeit, ist bindend. Das gilt natürlich nicht für eine gute und saubere Sache wie die Windenergie. Weder die dahinter stehende Firma noch die anonymen Landbesitzer (die so genannt werden, weil sie einst Rundschreiben herumgaben, die mit „Die Landbesitzer“ unterschrieben waren) ficht eine solche demokratische Mehrheit an. Es geht für alle Seiten um viel Geld, pardon, um den Einsatz für den Erhalt der Schöpfung, zu der man ja nun im Ernst nicht einzelne Vögel wie Rotmilane (keine Vegetarier!), Störche (dito und außerdem Kinderbringer) oder Großtrappen (zu groß für die Hähnchenmastanlage) zählen kann, wenn die Gefahr besteht, dass die Sonne verlischt.
Fakt ist: Auf unerklärliche Art und Weise verschwinden seit drei Jahren Milanhorste um Milanhorste. Kommt man mal nicht ran an den Horst, verschwindet auch schon mal der Baum. „Augenscheinlich handelt es sich dabei um einen Verstoß gegen den in § 28 des Naturschutzgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt festgeschriebenen Horstschutz. Die von Ihnen eingereichte Anzeige ist daher folgerichtig. Ein Zusammenhang mit der Mitteilung der Deutschen Wildtier Stiftung über eine Verdreifachung derart festgestellter Verstöße der Beeinträchtigung von Greifvogelhorsten im Zeitraum der letzten drei Jahre wäre denkbar.“ Das schrieb der Vorgänger von Frau Dalbert, Umweltminister Hermann Onko Aeikens, im März 2016 dem Sprecher der Bürgerinitiative „Unsere schöne Heimat“ in Zeppernick.
Aeikens macht mit seinem Hinweis auf die Untersuchungen der Deutschen Wildtier Stiftung auf einen Umstand aufmerksam, dass es sich bei den hier beobachtetem Verhalten um keine Einzelaktion handelt: So wurden in Niedersachsen eine Reihe von Seeadlern vergiftet oder erschossen, merkwürdigerweise im Einzugsgebiet von Windkraftbaugebieten. In Sachsen-Anhalt hält der Horstabbau in der Nähe von geplanten Windkraftanlagen ebenfalls seit Jahren flächendeckend an. Der Biologe Dr. Jochen Bellebaum von der Deutschen Wildtier Stiftung sagt zum Thema Rotmilan, für den Deutschland eine Weltverantwortung hat, weil hier der größte Bestand des Vogels weltweit lebt: „Die Bestände des Rotmilans sind im Südwesten Deutschlands zwar stabil, gehen in Ostdeutschland aber kontinuierlich zurück. Denn dort gibt es einen massiven Ausbau der Windenergie.“ Was sagen unsere Grünen dazu?
In einem Schreiben an den Sprecher der Bürgerinitiative meint die Landtagsabgeordnete Dorothea Frederking (mit Frau Dalbert im cc): Selbstverständlich wäre man auch für Artenschutz, aber man müsse erst mit Raumnutzungesanalysen das tatsächliche Flugverhalten „in einem bestimmten Raum durch bestimmte Vogelarten über einen bestimmten Zeitraum erfassen“, um „das Kollisionsrisiko von Vögeln an Windkraftanlagen zu prognostizieren.“ Im übrigen wolle man auch Möglichkeiten schaffen, die Mindestabstände der Anlagen zu Vogelhorsten auch unterhalb des Helgoländer Papiers, in dem diese geregelt sind, zu ermöglichen. Und ein Beispiel aus Brandenburg zeige, dass sich der Rotmilan dort erst nach dem Bau des Windparks angesiedelt habe. Der Rotmilan lebe dort problemlos mit den Windmühlen. Heilige Einfalt. Die Deutsche Wildtier Stiftung errechnete für Brandenburg bei einem Stand von 3.044 Windkraftanlagen zwischen 159 und 488 Kollisionen von Rotmilanen im Jahr, was 3,1 % der Nachbrut des Vogels anginge. Das sei die Grenze für die Beeinträchtigung der Population, wobei es sich dabei nicht um ein „Worst Case Szenario“ handele. Zusätzliche und größere Anlagen würden dann wohl die Zahl der Kollisionen erhöhen. Da in diesem Falle aber meist die Elternvögel betroffen sind, sind die Ausfälle im Horst durch verhungernde Vögel noch gar nicht erfasst. Dr. Klaus Richarz, langjähriger Leiter der Staatlichen Vogelschutzwarte für Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland, unverdächtig jeglicher Hysterie, kommt zu dem Schluss: „Wenn beim weiteren Ausbau der Windkraft nicht mehr Rücksicht auf die Lebensweise des Rotmilans genommen wird, ist sogar mit seinem Artentod zu rechnen.“ Vergiftete Seeadler in Niedersachsen, Horstabbau in Sachsen-Anhalt und eine grüne Partei, die den Artenschutz als Marginalie abtut: Die Windkraft hat längst ihre Unschuld verloren. Sie wird, je länger, je mehr zur schmutzigen Energie. Es geht um viel Geld. Für den Landbesitzer beispielsweise um 50.000 Euro pro Stellplatz. Jährlich. Wer das zahlt? Sie, die langsamen wie die schnellen Leser, wohlgemerkt, für jeden Stellplatz. Sie merken das kaum. Der Strompreis klettert einfach, trotz billiger Energie. So einfach ist das. Ja, wie heißt das in der Politik? Die Energiewende ist schließlich nicht zum Nulltarif zu haben. Ich kann Ihnen nur raten: Besorgen Sie sich eine Lorica. Am besten St. Patricks Lorica, das Schutzgebet des Heiligen Patrick:
„Ich erhebe mich heute
Kraft der Himmel,
Des Lichtes der Sonne,
Des Glanzes des Mondes,
Des Leuchtens des Feuers,
Des Eilens des Blitzes,
Des Sausens des Windes,
Der Tiefe des Meeres,
Der Festigkeit der Erde,
Der Härte der Felsen …“
Machen Sie es ihm nach! Werden Sie Teil dieses Schutzgebetes, erheben Sie sich gegen diesen Unfug!