Ängste kontra Chancen

angst_spezialWas kommt mit den Flüchtlingsströmen auf uns zu? Angst wird von Angsthasen geschürt. Die Mutigen tun etwas.

Die Welt scheint aus den Fugen. Schreckensbilder vom Mittelmeer. Betroffenheit über das Leid Ertrinkender Menschen und Protest gegen die Abschottung gegen Flüchtlingsströme machen sich hierzulande Luft. Hilfe und Rettung wird gefordert und ist geboten.

Der argumentative Graben zwischen der Forderung nach mehr Flüchtlingsaufnahme und -unterstützung und der Ablehnung wird breiter und tiefer.
Hinter unzähligen Stimmen, die den Flüchtlingen in Not die Hand reichen möchten, mag manchmal Angst unausgesprochen bleiben, dass die entwurzelten Menschen nur nicht in die nähere Lebensumgebung einziehen sollten. Die zurückhaltende europäische und deutsche Politik spiegelt eigentlich nur die Ängste der eigenen Bevölkerung wider. Wie offen sind wir selbst unter dem Anspruch, helfen zu wollen? Möglicherweise ist das Ergebnis, dass Magdeburg unter Zeitdruck mit einem Berliner Investor aushandelte und nun für 20 Quadratmeter Flüchtlingsunterkunft pro Monat 480 Euro zahlen muss, ein Ausdruck dafür, dass sich innerhalb der Stadtmauern niemand fand, der sich diesem sensiblen Thema stellen wollte? Die Ängste über Konflikte, die sich mit der Flüchtlingsunterbringung in hiesigem Eigentum verbinden könnten, sind nach Berlin delegiert worden. Laut sind im Nachhinein die Kritiker, die selbst keinen Ausweg wissen. Hinter vorgehaltener Hand mag mancher aufatmen. Angst ist immer vor dem Unbekannten. Wer nur laut genug die Schrecken einer unergründlichen Zukunft prophezeit, ist gleichsam Erfinder und Förderer finsterer Zeiten.
Die Menschheitsgeschichte ist die Geschichte des Austauschs, der Vermischung, des Wandels und der gegenseitigen Bereicherung. Hätten Völker ihre Kultur nicht weitergetragen, hätten sich wiederum andere nichts von anderen angenommen, würden wir wohl noch immer als herumstreifende Wilde den Planeten bevölkern. Wobei dies für den Planeten sicher nicht zum Schaden wäre. Oft haben sich diese Prozesse sogar unter gewaltsamen Umwälzungen und Kriegen ereignet. Das aus heutiger Sicht dekadente Weltreich Rom brach wesentlich auch unter dem Eindringen der „Barbaren“ – unseren möglichen direkten Vorfahren – aus dem Norden zusammen.
Vielleicht sollten wir die eigene Dekadenz öfter ins Bewusstsein rücken und benennen, um zu verstehen, warum ganze Völker in Scharen aufbrechen und ihre Heimat verlassen. Kriege, Zerstörung und Verfolgung sind nur ein Symptom dieses Trends.
Die Ängste, die wir selbst schüren, überdecken stets die Chancen, die im Austausch und der Bewegung zwischen Menschen schlummern. Es ist leichter, vor Unheil zu warnen, als Lösungen und Wege anzunehmen. Schauen wir doch auf den eigenen, individuellen Lebensweg: Wie oft bleibt ein jeder selbst am bequemen Trott des Bekannten haften, als sich aufzumachen, etwas Neues zu wagen? Wir trauen uns gemeinhin zu wenig. Wer kann schon das Gleichgewicht benennen, das sich unter Bewahren und Überwinden einstellt? Niemand! Wir sehen heute gar nicht mehr, welche internationalen Einflüsse unseren Alltag bestimmen. Kaum ein Gegenstand, den wir täglich nutzen, wird ausschließlich in Deutschland produziert. An fast jedem Ding – selbst an der Kleidung, die wir tragen – klebt das weit entfernte Leben eines unbekannten Schöpfers. Trotzdem trauen wir fernöstlicher Elektronik und Geräten, für dessen Produktion wir selbst die Kompetenzen verlieren. Wir nehmen die fremden Dinge an und bezeichnen sie gar als Eigentum und zu uns gehörend.
Niemand weiß, wohin eine offene Gesellschaft steuert, welche Einflüsse sich durchsetzen, welche Veränderungen was auslöschen oder hervorbringen. Die Propheten und Proklamierer von Ängsten wissen genauso wenig von der Zukunft, wie die Heilsversprecher.
Man muss vom Leben schon probiert haben, bevor man weiß, wie es schmeckt. Wir stecken in Deutschland nur allzu oft in den eigenen Regeln fest, von denen wir glauben, sie könnten den Geschmack des eigenen Lebens garantieren. Wir blähen sogar die Apparate der Verwaltung auf und glauben, darunter würde Integration bzw. Austausch unter Menschen entstehen. Wer die Regel hochhält, unter der andere funktionieren sollen, muss selbstkritisch betrachten, ob er den eigenen Regeln gerecht wird. Angst als Schutzmechnismus ist genauso gesund wie das Risiko, sich neuen Möglichkeiten zu stellen. Menschen und Völker sind in der Geschichte immer dann erfolgreich gewesen, wenn sie Ängste überwunden und Chancen genutzt haben. Thomas Wischnewski