Alles bleibt anders

unnamedLeben, Gesellschaft und Politik müssen sich ändern. Der Ausspruch, so kann es nicht weiter-gehen, hat Hochkonjuktur. Parteien meinen zu wissen, was verändert werden soll, aber die Sehnsucht der Bürger erreichen sie kaum. Mit der AfD formiert sich eine Bewegung gegen ausgemachte Verkrustungen, die mit dem Ziel verändern will, dass es irgendwie bleibt, wie es war. Über Widersprüche von Stillstand und Veränderung. Von Thomas Wischnewski

Das politische Gefüge im Land unterliegt starken Bewegungen. Die Wahlerfolge der Alternative für Deutschland (AfD) bei Landtagswahlen gelten dafür als sichtbarer Beleg. Diese Veränderung in den Landesparlamenten wird von den anderen Parteien mit Rechtsruck etikettiert. Da der AfD-Aufschwung eng mit dem 2015 hereinbrechenden Flüchtlingsstrom verbunden ist, wird dies gern als Hauptquelle für den gewachsenen Zuspruch benannt. Doch dieser Schluss ist gefährlich vereinfachend, weil er andere, tiefere Ursachen ausblendet oder wenigstens vernebelt.

Rund um die jahrzehntelang vielfach wahrgenommene, beschaulich deutsche Gemütlichkeit sind große Unsicherheiten sichtbar geworden. Kriegerische Konflikte im Nahen Osten, in der Ukraine, in Teilen Afrikas und Asiens zählen dazu. Klimatische Veränderungen, Hungerkatastrophen und ausbrechende Epidemien rücken fortwährend in den Mittelpunkt. Ressourcenraubbau, die Zerstörung natürlicher Lebensräume globalisiert konkurrierende Arbeitsplätze und fragile Finanzspekulationen lassen die Vorstellungen über eine bessere Zukunft bröckeln. Dem gegenüber sieht man meist zerstrittene internationale Institutionen und ohnmächtig wirkende nationale Regierungen. „Globalisierungsschock und das Ende der Gemütlichkeit“ beschreibt der Politikpsychologe Prof. Thomas Kliche den gesellschaftlichen Zustand.

Keine dieser aufgezählten Schreckensszenarien kam über Nacht. Vielmehr sind sie Ergebnis langjähriger Prozesse. Sie sind vielfach benannt und ihre Entwicklung vorausgesagt worden. Um die destruktive Dynamik zu begreifen, bedarf es nicht einmal einer besonderen akademischen Vorbildung. In der Gesellschaft drang die unterbewusste Ahnung über den Weltlauf mehr und mehr ins Bewusstsein.

Innerhalb dieser Prozessspirale reift die Sehnsucht nach Lösungen. Offensichtlich existiert bisher kein ideologisches oder politisches Konzept mit befriedigenden Angeboten, um der Komplexität dieser Menschheitsprobleme praktikable Handlungsalternativen entgegenzusetzen. Hierin findet man einen Schlüssel für die harsche Kritik an den etablierten deutschen Parteien und Ansätze für die Abwendung vieler Bürger.

Die Widersprüchlichkeit in mancher politischer Forderung und in ideologischen Überzeugungen befüttert das Unverständnis gegenüber politischen Eliten. So wichtig und folgerichtig in der Proklamation einer Energiewende die Abkehr von fossilen Brennstoffen hin zu regenerativen Energieträgern erscheint, so widersinnig kommt vielfach die Ausbreitung monokultureller Landwirtschaftsflächen daher. Jede Vorschrift im Bauen oder in der Produktion muss sich einem Diktat angeblicher Energieeffizienz unterwerfen. Hier ist ein von Brüssel und Berlin aus forciertes Gesetzeskorsett geschnürt worden, bei dem anscheinend mehr Ideologie als Sachverstand Hand anlegte. Ein Manager eines großen Wohnungsbauunternehmens mit über 20.000 Wohneinheiten hat bisher keine energetischen Effizienzeffekte für sein Unternehmen ausmachen können.

Ein anderes einleuchtendes Beispiel für politische Lähmung ist das Rentensystem. Jetzt legte die Bundessozialministerin Andrea Nahles zwar ein Rentenkonzept vor, das Beitragszahlungen und Rentenhöhen bis 2030 regeln sollte. Erstmals wurde damit auch die Einbeziehung Selbstständiger und Beamter in den solidarischen Generationenvertrag diskutiert. Nur kommt man heute zum Schluss, dass beispielsweise die Kosten für Beamte zu Doppelbelastungen führen würden, weil bestehende und kommende Ansprüche gedeckt werden müssten. Das könne das System heute nicht verkraften. Dieses Fazit ist jedoch ein Ergebnis verschlafener Reformen innerhalb der vergangenen zwanzig Jahre. Die demografische Entwicklung war da längst absehbar. Dennoch bleibt das Kostenargument fraglich. Schließlich müssen auch die Pensionen bezahlt werden und die speisen sich aus dem Steueraufkommen des Staates. Im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen wurden zuletzt keine Rücklagen für die Pensionsansprüche der Beamten gebildet. Dort schlummert eine finanzielle Last von rund 40 Millarden Euro. Wenigstens in diesem Bereich hat Sachsen-Anhalt vorgesorgt. Dennoch herrscht im Volk vielfach Unverständnis über dieses Versäumnis. Möglicherweise wäre die Einsicht über die Steuerung solcher Solidarfinanzierung vorhanden gewesen und viele Wähler hätten politische Veränderungsvorschläge akzeptiert und mit ihrer Stimme umsetzbar gemacht.

Offenbar ließen sich die bis dato großen Parteien CDU und SPD aber eher von einer Angst tragen, bei vielen Wählern durchzufallen. Die Verantwortung für solche Verkrustungsbeispiele sind natürlich nicht nur auf der politischen Seite, sondern ebenso im Wahlverhalten zahlreicher Menschen zu suchen. Wer gibt schon liebgwordene Gewohnheit auf? Und wenn es an den persönlichen Wohlstand ginge – egal, ob dies Zeitaspekte oder finanzielle Einbußen wären – sollte sie immer die anderen als einen selbst betreffen. Offensichtlich steckt die Gesellschaft in einigen Bereichen in der Sackgasse.

Eine weitere widersprüchliche Argumentation steckt in der Debatte um Ressourcenschutz und wirtschaftlicher Sicherung. Niemandem mit gesundem Menschenverstand geht auf, wie auf der einerseite der Schutz von Lebensräumen und gewissenloser Rohstoffabbau mit der ständigen Predigt nach Wachstum einhergehen sollen. Mit wirtschaftlicher Stagnation ist außerdem immer die Drohung zu Arbeitsplatzverlusten verbunden. Die Globalisierung oder präziser die weltweit uneingeschränkte Freiheit des Kapitals hat die Auflösung von Produktionsstätten in vielen europäischen Regionen befördert. Und da wundert man sich an Parteispitzen und akademischen Eliten über einen aufkommenden Hang von Nationalismus? Die starke Veränderung durch Internationalisierung und Ermöglichung, dass Konzerne überall auf der Welt nach günstigen Arbeitskräften suchen können oder Lagerstätten zu ihren Bedingungen ausbeuten können, ist eine wesentliche Ursache für eine gewisse Sehnsucht nach Stillstand und weniger Veränderung. Sogar das Wort Gerechtigkeit wird, wenn man es über die gesamte Menschheit stülpt, zu einer ideologischen Makulatur. Wenn darunter nämlich verstanden sein will, dass mehrere Milliarden Menschen an Wohlstand gewinnen könnten, der sich am Konsum messen lässt, wie sollte dies mit Energiewende und Ressourcenverknappung in Einklang zu bringen sein.

unnamedDen Europäern und insbesondere den Deutschen schwant endgültig, dass die Party vorbei ist. In einem Land wie den USA, in dem die Spaltung zwischen Arm und Reich bereits zu einer klaffenden Wunde geworden ist, fällt jede Trump-Botschaft zu einer Rückbesinnung auf nationale Prioritäten auf wohlwollendes Gehör.

Unter solchen Bedingungen wächst eben auch die AfD als neue politische Kraft heran. Die wirtschaftspolitischen Konzepte bisheriger Regierungsparteien wiesen ausschließlich weiter in die Richtung Globalisierung und Freihandel. Dass sich hier mittlerweile viele in den Weg stellen, kann man nur als eine mögliche Folge betrachten. Der Aufschrei gegen die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung ist unter dieser widersprüchlichen Entwicklung eher als ein Ventil zu verstehen, dass sich dem Druck eines vielseits empfundenen Stillstands öffnete. Die politische Auseinandersetzung wurzelt vielfach in einem jahrelangen Weiterso der Parteien. Und in der Sphäre, in der Visionen wie Energiewende, Klimapolitik, Wirtschaftswachstum durch Globalisierung und Freihandel proklamiert wurden, widersprechen sich häuftig Faktenlage und ideologische Zielsetzung. Man könnte einigen politischen Ansinnen mit dem Begriff „Behauptungspolitik“ beschreiben. Schließlich kehrten sich oft als gut bezeichnete Vorhaben wie Entwicklunghilfe, Demokratieexport oder militärische Interventionen ins genaue Gegenteil. Für manche politisch orakelte Behauptung gibt es wenig Belege über wirklich positive Effekte. Es sei denn, man sucht sie in der Sicherung von Rohstoffquellen und -wegen, weltweiter Warenlogistik und der Gewährleistung von Produktionsstandorten außerhalb Europas.

Das Verhaltensmuster, Entscheidungen allzu oft auf ideologische Annahmen zu bauen, hat sich eben auch die AfD zueigen gemacht. In gewisser Weise war die bisherige Parteienlandschaft hier mit guter Vorbildwirkung unterwegs. So behauptet man in der Petry-Meuthen-Partei, dass die deutsche Gesellschaft derart bis zur Unkenntlichkeit verändert wurde, dass man dies nun unbedingt wieder ändern wolle. Zugespitzt könnte man sagen, hier bricht sich eine Vorstellung nach Stillstand oder eben vertrauter früherer Gemütlichkeit in vorglobalisierten Zeiten Bahn. Der designierte Präsident Trump gibt hier die Marschroute vor. Freihandelsabkommen will er aussetzen, dem Apple-Konzern macht er Steuervergünstigungsangebote, wenn Produktionen zurück in die Vereinigten Staaten verlagert würden. Das mag in den Chefetagen globaler Unternehmen verheerend klingen und Finanzexperten drohen schon mit negativer Marktentwicklung. Aus ihrer Sicht ist die Reaktion schlüssig. Doch weder der weltumspannende Finanzmarkt noch die globalen Handelsmärkte scheren sich um nationale oder gar regionale Befindlichkeiten. Die rechtskonservative Tendenz in ganz Europa muss eben auch als eine Art Gegenbewegung zur Globalisierung gesehen werden. Dass darunter Ressentiments gegenüber Minderheiten aufbrechen, ist eine zutiefst beklagenswerte Erscheinung.

Reibung ensteht genau dort, wo einerseits politisches Ausharren von sich ändernden äußeren Bedingungen unterlaufen wird bzw. andererseits, wo Veränderungen vorangetrieben wurden, denen man besser mit Abwarten begegnet wäre. Das ist der Urkern von Politik. Man muss sich in allen Parteien schon an die eigene Nase fassen und die Versäumnisse letzter Jahrzehnte benennen, um sich aus der teilweise selbst um den Hals gelegten Schlinge ziehen zu wollen, sonst bleibt alles anders und keiner versteht das, aber das versteht jeder.