Das liebe Glück im Fußball

260915pg_ch_beck24Auf den heutigen Hochleistungsfußball hat der Zufall offenbar einen größeren Einfluss, als die meisten Fans und Fachleute annehmen. 40 Prozent aller Tore seien ein Produkt des Zufalls, glaubt der deutsche Prof. Martin Lames und will den Nachweis dafür antreten. Von Rudi Bartlitz

Das Wort vom Dusel-Sieg machte nach dem jüngsten 1:0-Erfolg des FCM gegen Kiel in den Medien die Runde. Ganz gewiss, an diesem Tag wussten sich die Blau-Weißen mit dem Glück wahrlich im Bunde. Was auch Torjäger Christian Beck hinterher bestätigte: „Wir haben eben momentan das Quäntchen Glück, das man braucht.“ Stimmt, denn hätten die Norddeutschen nur die Hälfte ihrer Chancen genutzt, oder eben in der einen oder anderen Situation ein bisschen mehr Glück gehabt, die Hausherren hätten als ziemlich bedröppelte Verlierer dagestanden.

Der Zufall (oder das Glück?) wollte es, dass zwei Tage zuvor eben jener FCM einen neuen Sponsorenvertrag mit der Lotto-Toto-Gesellschaft Sachsen-Anhalt bekannt gegeben hatte – ausgerechnet mit einem Wettspielanbieter. Sollte das mit dem Glück so schnell und gründlich gewirkt haben?, witzelten schon die ersten.

Doch Spaß beiseite, Lotto-Geschäftsführer Klaus Scharrenberg war es bei der Unterzeichnung des Kontraktes in fünfstelliger Höhe als exklusiver Sponsor durchaus ernst: „Mit unserem stärkeren Engagement honorieren wir die sehr positive Entwicklung beim FCM.“ Sein Unternehmen reiht sich mit diesem Vertrag in die Schar von fast 300 Sponsoren ein, auf die sich der Drittligist nach seinem vorjährigen Aufstieg in den Profifußball mittlerweile stützen kann. Und die dafür sorgen, dass der Verein mit einem Etat von rund 5,5 Millionen Euro kalkulieren kann – gegenüber 2012 ein Anstieg um etwa das Fünffache! Augenzwinkernd fügte der Lotto-Chef hinzu: „In dieser Sponsoren-Partnerschaft sind die Fußballer sozusagen für die sportliche Klasse zuständig, und wir unterstützen das durch den Faktor Glück.“

Da war es wieder, eines der immerwährenden und stets heißdiskutierten Themen, seitdem Männer gegen einen Ball treten: Ist Fußball letztendlich doch nichts anderes als ein riesengroßes Glücksspiel? Haben möglicherweise doch all jene Recht, die behaupten, die Jagd nach dem runden Leder sei im Prinzip ein großes Würfelspiel in gigantischen, extra dafür errichteten Betonschüsseln? Und die Leute bezahlen sogar Geld dafür, dabei zuschauen zu dürfen.

Was zunächst nach einer gewollten Humoreske klingen mag, entpuppt sich beim näheren Hinsehen als eine durch und durch ernsthafte Angelegenheit: Wie hoch ist der Anteil des Glücksfaktors (oder wissenschaftlicher ausgedrückt: des Zufalls) an einem Spielausgang? Entscheiden Glück oder Zufall am Ende sogar über Meisterschaft oder Abstieg mit? Oder: Gibt es ihn wirklich, den berühmten Bayern-Dusel?

260915pg_ch_beck24An Fragestellungen wie diesen haben sich, und das durchaus kontrovers und mit Hunderten sich eigentlich einander ausschließenden (Beweis-)Fakten, schon ganze Generationen von Trainern, Managern und Journalisten abgearbeitet. Welcher Fußballfan kennt dieses Phänomen nicht: Da spielt die eigene Mannschaft drückend überlegen, erspielt sich Chancen, erzielt aber kein Tor. Kurz vor Schluss haut der Gegner einfach einmal drauf, und durch eine Verkettung unglücklicher Umstände (Platz, Torwartfehler, Abpraller) landet der Ball zum Sieg im Tor.

Mittlerweile mischt auch die Wissenschaft bei dem Versuch kräftig mit, Phänomene wie diese aufzuklären. Und da ist ziemlich interessant, was die Herren Gelehrten so in Fragen Glück und Zufall herausgefunden haben. Der US-Wissenschaftler Eli Ben-Naim vom Los Alamos National Laboratory beispielsweise hat anhand ellenlanger Untersuchungsreihen unumstößlich nachgewiesen, dass die Rolle des Zufalles im Fußball signifikant höher angesiedelt ist als in anderen Mannschaftssportarten – zumindest in den typischen US-Disziplinen Eishockey, Basketball, Baseball oder American Football; selbiges gilt, so ließe sich aus deutscher Sicht hinzufügen, natürlich auch für den Handball. Ben-Naims Theorie, anders ausgedrückt: Je weniger Treffer in einer Sportart fallen, desto höher der Faktor Zufall.

Belegen ließe sich dies auch anhand der Fußball-Bundesliga. Im Schnitt fallen dort in einer Partie ungefähr drei Tore. Aufs Tor geschossen und geköpft wird natürlich wesentlich öfter, meist 15- bis 25-mal pro Mannschaft, aber in der Regel eben ohne Erfolg. Wenn von 15 bis 25 Versuchen nur ein bis zwei gelingen, dann versteht selbst ein mit der Statistik auf dem Kriegsfuß Stehender, dass hier das Glück, oder wie der Mathematiker sagt, der Zufall, ziemlich wichtig wird.

Für das meiste Aufsehen in den letzten Jahren sorgte aber wohl die These des Augsburger Sportwissenschaftlers Prof. Dr. Martin Lames. Bei fast 40 Prozent aller Tore im heutigen Hochleistungs-Fußball, glaubt er nachweisen zu können, zieht der Zufall die Fäden! Einbezogen in die Untersuchungen wurden Tore europäischer Erstligen aus Deutschland, Italien, Spanien, England, Frankreich und den Niederlanden.

Doch was ist Zufall? Der Augsburger Professor versuchte, objektivierbare Kriterien aufzustellen, um zu definieren, wann von einem Zufallstreffer gesprochen werden kann. Lames: „Dafür haben wir in unserer Forschergruppe sechs Merkmale herausgearbeitet: Der Schuss wird abgefälscht, dem Torschuss geht ein Abpraller voraus, der Ball berührt Pfosten oder Latte, der Torwart berührt den Ball stark, das Tor wird aus sehr großer Distanz erzielt oder der Ball kommt vom Gegner. Wenn mindestens eins dieser Merkmale erfüllt ist, sprechen wir von Zufall.“

Und am Ende kam eben heraus, dass zwei von fünf Toren Zufallsprodukte sind. Für die Theorie der Leistungsstruktur im Fußball steht nun fest, davon ist Lames überzeugt, dass der Zufall als reguläre Einflussgröße zu betrachten ist und nicht, wie bisher meist geschehen, als vernachlässigbare Größe. Das sieht auch Trainer Roger Schmidt vom Bundesliga-Spitzenteam Bayer Leverkusen inzwischen so. „Im Fußball ist eben doch mehr Zufall als alle denken oder auch zugeben“, sagt er. Und wenn man den Einfluss des Zufalls reduzieren wolle, sollte man sehen, „dass sich das Spiel möglichst häufig vor dem Tor des Gegners abspielt. Zudem profitiert man vor dem Tor des Gegners häufiger vom Zufall als vor dem eigenen Tor“.

Und was heißt das nun praktisch für den Fußball? Für die Kontrollfreaks unter den Coaches – von denen es eine ganz Reihe geben soll – ist es jedenfalls zunächst keine allzu gute Nachricht. Zufall, das ist etwas, was sich ihrem Einfluss entzieht. Das mögen sie gar nicht. Und verweisen darauf, dass unzählige Co-Trainer, Fitnessberater und Mediziner versuchen, das Bestmögliche aus einem Team herauszuholen. So hätten viele Spielzüge, die als „schicksalhafte Fügung“ abgetan werden, mit Zufall meist wenig am Hut. Sie seien vielmehr Produkt intensiven Trainings und feinster Abstimmung. Kurzum, es gebe heute weniger glückhafte Umstände im Spiel als noch vor ein, zwei Jahrzehnten. Dumm nur, mit Zahlen belegen lässt sich dies kaum. Das Gegenteil – siehe oben – dagegen schon. Für Trainer wie Spieler ist es also sinnvoll, so paradox es klingt, den Zufall stärker in ihre Überlegungen und Berechnungen einzubeziehen. Nicht nur geplante Spielzüge führen zum Torerfolg, sondern auch nicht Vorhersehbares. Deshalb geht es nicht nur darum, schematisch Angriffe vorzutragen, sondern auch einfach Unordnung herzustellen, etwas zu riskieren und sich auf Unvorhergesehenes einzustellen. Lames: „Für den Stellenwert des Fußballs bei Zuschauern und Medien, für seinen Unterhaltungswert und den Spannungsgehalt einer Partie ist dieser hohe Zufallsanteil bei den relativ wenigen Toren im Fußball geradezu das Salz in der Suppe.“

Ob es einem Verein, um mit dem Zufall im Bundes zu sein, eventuell auch hilft (siehe FCM), sich ein Glücksspiel-Unternehmen als Partner an die Seite zu holen – das ist eine der Fragen, auf die Wissenschaft eine Antwort bisher schuldig geblieben ist.


Kompakt

Fast jeder vierte Euro, den Lotto Toto in Sachsen-Anhalt jährlich an Fördermitteln ausreicht, geht in den Sport. In absoluten Zahlen sind das 42,2 Millionen Euro. Zusätzlich zu den Förderprojekten bestehen sogenannte Sport-Patenschaften zwischen Vereinen oder Verbänden und Lotto. Egal, ob Vereine neue Trainingsmatten oder Duschkabinen brauchen, ob Boxhandschuhe ersetzt werden müssen oder zusätzliche Betreuer für ein Trainingslager benötigt werden. Eine Lotto-Sportpatenschaft kann bis zu 15.000 Euro betragen. Generell unterstützt jeder einzelne abgegebene Lotto-Tipp das Gemeinwohl in Sachsen-Anhalt: denn aus einem festen Teil der Spieleinsätze stammen die Fördergelder von Lotto Sachsen-Anhalt. Seit 1991 unterstützt das Unternehmen jedes Jahr durchschnittlich 360 gemeinnützige Vorhaben aus den Bereichen Soziales, Sport, Kultur, Umwelt und Denkmalpflege.