Manege frei und Allez hopp

Circusgebäude 18.4.1926Im Zeitspiegel: Zirkusluft, Raubtiere und Akrobatik in Magdeburg

Unterhaltung und abendliches Vergnügen gehörten in den 1920er Jahren zu Magdeburgs Nachtleben wie der Dom zur Stadtsilhouette.

Ob mitten im Zentrum oder auch im Umland – gelegentlich „anrüchiges“ Entertainment und Kurzweil auf den Bühnen versüßten den vergnügungssüchtigen Elbestädtern die Nächte der „Roaring Twenties“. Der Begriff Goldene Zwanziger Jahre steht für den wirtschaftlichen Aufschwung der weltweiten Konjunktur und bezeichnet die Blütezeit der deutschen Kunst, Kultur und Wissenschaft. Während dieser Zeit kamen die ersten Massenmedien auf und erfreuten sich wachsender Beliebtheit. Familien besaßen eigene Radioempfänger, durch die gemeinsam mit Freunden Hörspiele oder Musik gehört werden konnte. Außerdem entstanden die ersten Kinos – die große Epoche des Stummfilms brach an. In Magdeburg zog es die Elbestädter zu Nachtzeiten in die Tanzlokale, Bars und Varités. Obszön, freizügig und musikalisch lässt sich das Nachtleben der Zwanziger beschreiben. Die Innenstadt wurde zum Mekka für Nachtschwärmer. Getanzt wurde zu Charleston, Shimmy oder Foxtrott. Musik und Tanzstil passten zur freizügigen Mode junger Frauen.

Auch die Varité- und Zirkuswelt mit ihren exotischen Attraktionen zählte zu den Besuchermag-neten. Kaum bekannt – mitten im Herzen der Altstadt residierte ein einzigartiges „Chapiteau“ mit mehr als 2.800 Sitzplätzen. Der erste feste Zirkusbau Deutschlands in der Königstraße (heute Walther-Rathenau-Straße) war mehr als eine überdachte Manege: Restaurationen, Tierschauen, Stallungen, Kino und Geschäfte luden bei den Veranstaltungstagen zum Flanieren und Amüsieren ein. Zahlreiche umjubelte Premieren renommierter Artisten künden von der künstlerischen Größe dieses Bauwerks.

Dessen Geschichte reicht zurück ins Jahr 1896. Magdeburg war in den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts bei Wanderzirkussen und Varieté-Ensembles beliebt. Größtes Event jener Zeit war die amerikanische „Buffalo Bill Wild-West-Show“ auf ihrer Europatour: Die Arena maß 13.000 Quadratmeter, mehr als 10.000 Besucher fanden hier Platz.

An mehreren Orten der Stadt gastierten die Artisten und lockten die Besucher an. Auch der „Circus Emanuel Blumenfeld Witwe“, der 1896 mit 28 Wagen und vier Zelten die Elbestadt besuchte. Ein denkwürdiges Gastspiel – hier in Magdeburg fand der „Circus Blumenfeld“ endlich ein geeignetes Areal für einen neuen Stammsitz und bewirtschaftete von nun an das von der Magdeburger Circus-Varieté Actiengesellschaft errichtete und bis dato größte Zirkusgebäude. Mit einer begeistert gefeierten Vorstellung brillierte die „Circusgesellschaft Krembser“ im neu eröffneten Zirkus-Varieté – mit Standing Ovations und nicht enden wollendem Beifall belohnten die Magdeburger die einzigartige zirzensische Leistung.

1914 kauften die Blumenfeld-Nachfahren das „Chapiteau“ und pachteten den dazugehörigen Grund und Boden für die Dauer von 30 Jahren. Den Enkeln der Blumenfelddynastie Alfred, Alex, Alfons und Arthur gelang es insbesondere nach dem I. Weltkrieg, den Zirkusbetrieb zu neuem Glanz zu führen. Bis 1920 sorgten sie für zahlreiche umjubelte Premieren, 1922 starteten die Artisten sogar zu ihrer ersten Auslandstournee. Weltwirtschaftskrise und Arbeitslosigkeit führten zum Besucherschwund und schließlich zum Aus – 1928 gingen die Blumenfelds pleite. Das Zirkusgebäude fand neue Mieter- Gastspiele und verstärkt Ringkampfveranstaltungen gehörten zum Tagesprogramm. Die Blumenfelds gerieten in der Zeit des nationalsozialistischen Rassenwahns in das Visier der Judenjäger – einige wenige schafften es, rechtzeitig zu emigrieren…

Große und namhafte Zirkusunternehmen gastierten unter der Kuppel des Varietégebäudes – Busch, Hagenbeck, Corty-Althoff, Krone, Sarassani – eine nicht wieder erreichte Glanzzeit dieses Genres. Trotz des schmalen Budgets in der Zeit des Zweiten Weltkrieges rissen diese Gastauftritte nicht ab. Im Herbst 1944 trafen bei einem Tagesangriff alliierter Luftstreitkräfte den Zirkusbau erste Bomben. Die Bombennacht am 16. Januar 1945 besiegelte das Schicksal des einstigen Prunkbaus endgültig. Ein Wiederaufbau war durch die vollständige Zerstörung unmöglich.