… sie wisse nicht, warum Männer immer so drängeln würden. Wie drängeln, fragte ich und ob sie etwa Silvester in Köln gewesen wäre. Mit dem schlichten Wort „Blödsinn“ hatte sie meine Frage kurzerhand in die Luft gesprengt. Sie meinte vielmehr die Drängeleien, wenn man gemeinsam ausgehen wollte. Am vergangenen Wochenende sei sie mit ihrem Freund zu einer Geburtstagsparty eingeladen gewesen. Kurz vorm Losgehen hätte ihr Begleiter gefühlte 69 Mal gefragt, wann sie denn nun endlich fertig sei. Nur einen winzigen Moment hätte sie die verabredete Zeit überschritten.
Wie lang dieser Augenblick wirklich gewesen sei, wollte ich wissen. Ihrer Meinung nach könnte man die Zeitspanne vernachlässigen. Erstens wären sie trotzdem pünktlich genug gewesen und zweites verstehe sie diesen Druck nicht, mit der Männer Frauen vor dem Spiegel antreiben würden. Das sei total nervend. Ich musste ihr leider widersprechen. Zwischen Frauen und Männern gäbe es ein extrem unterschiedliches Zeitempfinden, behauptete ich. Meine Ex setzte diesen ihr eigenen skeptischen Blick auf, der mit einem kurzen Aufblitzen eine Supernova im Universum auslösen kann. Mich konnte sie damit jedoch nicht mehr aus der Fassung bringen. Also fuhr ich besonnen fort, ihr zu erklären, dass die unterschiedliche Lebenserwartung Einfluss auf das Zeitempfinden der Geschlechter hätte. Da Männer statistisch rund fünf Jahre kürzer lebten als Frauen, fühlte sich das starke Geschlecht mehr getrieben und besonders dann ungeduldig, wenn sie gezwungen seien untätig zu warten. Die holde Weiblichkeit könne in jeder Situation gelassener agieren, weil sie länger lebten. Ihrem Naturell entsprechend investierte das schöne Geschlecht dieses Mehr an Lebensspanne in die kosmetische Fürsorge. Ich sei echt ein Chauvi, sagte meine Ex. Das mag sie so sehen, antwortete ich. Allerdings solle sie mir erklären, wie wir Männer das machen können: fürs kürzere Leben gegenüber den Damen müssen wir dann auch noch mehr Geduld mit ihnen aufbringen. Ich halte das für sehr ungerecht und wünschte mir diesbezüglich etwas mehr Entgegenkommen. Gegen die Natur könne man eben nichts machen, meinte meine Ex. Stimmt, sagte ich, deshalb komme ein Mann auch aus der Ungeduld nicht so einfach heraus.
Thomas Wischnewski